Das Cineforum führte am 12. April den russischen Film Der Zeuge von David Dadunashvili vor — trotz Protesten von Ukrainerinnen und Ukrainern. Das darniederliegende Cineforum verkommt zu einem russischen Propagandaforum.
In einer Mitteilung, eine Art Manifest orthodoxer Rechthaberei, wandte sich das Cineforum gegen die ukrainischen Kritiker:innen. Ihre Vereine seien »Phantomvereine, die absolut nicht Teil der kulturellen Landschaft dieses Landes sind«. Eine andere Version von Ausländerfeindlichkeit. Außerdem: Wer stellt fest, wer Teil der kulturellen Landschaft ist?
Doch damit nicht genug der Untergriffigkeiten und Unterstellungen: Die angegriffenen »Phantomvereine« sind laut Cineforum Kulturvereinigungen unter Anführungszeichen, die nicht transparent seien, auf alle Fälle aber anti-russisch, pro-ukrainisch und radikal neoliberal.
Das ach so liberale und angeblich hinterfragende Cineforum attackierte die Ukrainer:innen, weil sie den Sitz der russischen Kulturvereinigung Borodina in Meran aus Protest besetzt hätten. Mit auch noch »ziemlich intoleranten Slogans wie russische Kultur tötet«. Den Cineforum-Macher:innen kann empfohlen werden, sich in die Texte von Oleg Senzow, Mikhail Zygar, Serhii Plokhy oder Sergej Gerassimow hineinzulesen. Deren These: »Russische Kultur tötet«. Der größte Feind der russischen Kultur sind aber nicht Ukrainer:innen, sondern Wladimir Putin und sein Regime. Sie verfolgen russische Künstler:innen.
Fakt ist und bleibt, die Borodina versteht sich als Putins Botschaft in Südtirol.
Das Cineforum kritisierte die ukrainischen Protestler:innen auch dafür, dass sie eine Einladung zur Vorstellung des Films Stalins Schatten abgelehnt haben. Laut sowjetischer und russischer Propaganda gab es den Hunger-Holocaust in der Ukraine nicht. Gehungert, so ihre These, wurde in der ganzen Sowjetunion. Das ist aber nur die halbe Wahrheit: Laut der US-amerikanischen Historikerin Ann Appelbaum war die »Hungerkatastrophe« in der Ukraine politisch herbeigeführt, also gewollt. »Roter Hunger« geißelt Appelbaum die stalinistische Hungerpolitik, der bis zu sechs Millionen Ukrainer:innen zum Opfer fielen.
Andreas Perugini vom Cineforum reagierte wenig verständnisvoll auf die Kritik, wetterte über das »Delirium«, kündigte frotzelig an, auch einen ukrainischen Propagandafilm vorführen zu wollen. Perugini, einst bei den linkspopulistischen Cinque Stelle aktiv, rutschte letzthin ins rechtsradikale Eck ab. Hin zur neofaschistischen CasaPound. Warum sollten ukrainische Flüchtlinge einen Film zum stalinistischen Hunger-Holocaust anschauen, den Perugini verharmlost?
Noch viel mehr ärgert sich das Cineforum über den Brunecker Ableger von Liberi oltre le illusioni. Schwer fassbar, keine altoatesini Mitglieder, selbsternannte Liberale, radikale Neoliberale, die nicht interessiert seien an individuellen Freiheiten und verfassungsmäßigen Rechten. Cineforum zerbricht sich auch den Kopf darüber, wer diesen schwer fassbaren Verein finanziert. Vielleicht die CIA oder gar der Mossad in Kooperation mit der »US-amerikanischen Ostküste«.
Dem Verein unterstellt das Cineforum Stasi-Methoden, weil er angeblich mit Verboten gegen Andersdenkende vorgehen will. Ungeheuerlich findet das Cineforum, dass es auf der Website von Liberi oltre le illusioni »neben der reichlich vorhandenen ukrainischen Propaganda auch Links zum Kauf von Waffen für Kyjiw« gibt. Gerechtfertigter Widerstand gegen die russischen Marodeure, ukrainische Propaganda? Waffen für Kyjiw, für die Verteidigung, das nervt eigentlich nur Putin-Russland und seine rechten und linken Verbündeten in Europa.
Furchtbar findet Perugini, dass der Verein Liberi oltre le illusioni Teil der Partei Fare per ferma il declino des Marktliberalen Oscar Giannino ist.
Miese Propaganda
Zurück zum Film Der Zeuge, den Perugini nicht als »kriegstreiberische Propaganda« empfindet. Ist er aber. Der Zeuge ist ein russischer Propagandafilm über den russischen Krieg in der Ukraine, der derzeit durch Italien tourt. Der Propagandafilm des Kremls war im vergangenen Jahr an den russischen Kinokassen ein totaler Flop.Wahrscheinlich nicht von ungefähr.
Russlands erster abendfüllender Film über die Invasion in der Ukraine erzählt die fiktive Geschichte von Daniel Cohen, einem belgischen Geiger, der nach einer Reise nach Kyjiw in den Konflikt hineingerät und Zeuge schrecklicher Verbrechen ukrainischer Nationalisten im Dorf Semidveri wird. Daraufhin beschließt er, der Welt die »Wahrheit« über die »Geschehnisse« in der Ukraine zu erzählen.
Butscha? Tausende Kriegsverbrechen der russischen Armee, ihrer Söldner aus allen Ecken der Welt? Im Film Der Zeuge kein Thema.
Der Film ist eine Sammlung vieler Lügen des Kremls, mit denen die Invasion in der Ukraine gerechtfertigt wurde. Wladimir Putin und der Kreml begründeten den Einmarsch mit der »Entnazifizierung« der Ukraine.
Umstrittene Vorführung in Bologna
Der Film wurde am 27. Januar — dem internationalen Holocaust-Gedenktag — in der liberalen und linksgerichteten Stadt Bologna gezeigt. Der Zeuge wurde im Kulturzentrum Villa Paradiso auf einer Veranstaltung gezeigt, an der Vincenzo Lorusso von der pro-russischen Organisation Donbas Italien und der kremlfreundliche Journalist Andrea Lucidi teilnahmen. Üble kaltschnäuzige Putin-Propagandisten.
Der Facebook-Post, in dem die Vorführung des Kulturzentrums angekündigt wurde, provozierte unzählige kritische Kommentare. Die User warfen den Veranstaltern vor, ein hasserfülltes, pro-russisches Propagandaevent zu veranstalten. Auf die Frage eines Nutzers nach einer Erklärung erklärte das Zentrum »demokratisch«, man gebe »unterschiedliche Initiativen« Raum.
Die Nutzer beschuldigten das Zentrum, einige der bissigsten Kommentare gelöscht zu haben, darunter auch solche, die sich auf die UN-Resolution zur Verurteilung des russischen Einmarsches in die Ukraine bezogen. Einige beschuldigten das Zentrum, Ideen von Demokratie und Meinungsfreiheit zu missbrauchen, um »die Verbreitung von Terror und prorussischer, faschistischer Propaganda« zu rechtfertigen.
Die Stadtverwaltung, die das Zentrum wie andere Initiativen auch unterstützt, bezeichnete die Vorführung des Films als »inakzeptabel«.
Nach Ansicht des Kulturzentrums Villa Paradiso verletzt die Aufforderung, die Veranstaltung abzusagen, das »Recht der Menschen, sich frei über den Konflikt in der Ukraine zu informieren«. In ihrer Antwort auf die Anfrage der Stadtverwaltung betonte die Villa Paradiso, dass sie mit der Vorführung des Films gegen kein Gesetz verstoßen würde.
Rechtsradikale Organisationen boten Villa Paradiso an, den Film Der Zeuge vorzuführen.
‘Der Zeuge’ tourt durch Italien
In den vergangenen Monaten war das Propagandamachwerk bereits in Rom, Florenz, Reggio Emilia, Cesena und anderen Städten zu sehen.
In Rom ging der Vorführung des Films eine Videobotschaft von Karen Badalov, dem Hauptdarsteller, voraus. Badalov wendet sich an die italienische Öffentlichkeit und spricht über seine Liebe zu Italien, zum italienischen Kino und wünscht sich, dass sich die Zuschauer mit seiner Figur im Film identifizieren können.
Er beklagt sich darüber, dass der Trailer des Films auf YouTube blockiert wurde. Offensichtlich, so sein Einwurf, gehöre die Redefreiheit »der Vergangenheit« an. Er lobt die römischen Veranstalter, dass sie sich gegen eine angebliche Zensur wehrten.
Mehr russische Propaganda in Italien
Eine weitere pro-russische Propaganda-Veranstaltung, eine Konferenz über die ukrainische Stadt Mariupol, fand am 20. Jänner in Modena statt. Mariupol wurde beschrieben als »die Stadt, die den Aufstand des Donbas gegen Kyjiw symbolisiert«, die nun von Russland wieder aufgebaut wird.
Auf der Konferenz sprachen der Präsident der Vereinigung Italien-Russland Luca Rossi, der russische Konsul Dmitri Schtodin und der Journalist Andrea Lucidi.
Der Mitte-Links-Bürgermeister von Modena, Giancarlo Muzzarelli, distanzierte sich von der Veranstaltung und erklärte, die Stadt unterstütze nicht »Initiativen, die eine pro-russische Interpretation des Krieges in der Ukraine anbieten«.
Es hagelte also Kritik und Proteste gegen den Film Der Zeuge. Zurecht. Der Film macht die Ukrainer zu Tätern, die Russen zu Opfern. Geht’s noch, Cineforum? Deren Reaktion: Hoffentlich gebe es keine Vergeltungsmaßnahmen. Auch eine Unterstellung, denn Vergeltungsmaßnahmen gegen Kunst und Kultur stehen auf der russischen Agenda.
Mit keinem Satz in der ewig langen Pressemitteilung distanzieren sich Perugini und das Cineforum vom russischen Eroberungskrieg in der Ukraine. Abschließend betont Perugini, dass er und das Cineforum nie Pro-Putin waren, viele andere hingegen schon, die ihn einst als großen Staatsmann hofiert hatten. Er vermutet, dass er und seinesgleichen in Russland in Haft wären, wegen ihrer unbequemen politischen Haltung. Sicher nicht, wer es glaubt, wird selig!
Der in Bozen lebenden ukrainischen Aktivistin Iryna Panchenko warf Perugini rotzig frech vor, ihren Flüchtlingsstatus politisch zu missbrauchen, aus einem Land zu stammen, in dem die Demokratie nicht sonderlich konsolidiert sei.
Panchenko weiß sich zu wehren. In einem Schreiben an Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) drängt sie darauf, mit öffentlichen Mitteln nicht mehr Initiativen zu unterstützen, die russische Propaganda betreiben.
»Schützenhilfe« erhält Panchenko von den Radikalen, die sich konsterniert zeigen, dass das öffentlich geförderte Cineforum den Putin-Streifen vorstellte.
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