Der Handels- und Dienstleistungsverband hds zeigt sich also besorgt, weil Trentino-Südtirol »trauriger Spitzenreiter bei der “Fachkräfteflucht”« sei. Das zeige eine aktuelle Studie der italienischen Fondazione Nord Est:
Im Verhältnis zur Bevölkerungsanzahl sind die 1570 jungen Menschen aus der Region, die 2023 abgewandert sind, viel mehr als jene etwa aus der Lombardei, wo bei einer Einwohnerzahl von über 10 Millionen insgesamt 5760 Personen abgewandert sind.
– Pressemitteilung hds (Hervorhebung im Original)
Die Studie zeigt aber gar nicht, dass Südtirol Spitzenreiter bei der Abwanderung wäre. Vielmehr geht es darin ausschließlich um den Wegzug ins Ausland. Menschen, die von der Lombardei nach Venetien oder von Südtirol ins Piemont ziehen, scheinen in der Statistik gar nicht auf. Hierzulande liegt es aber für Wegzugwillige buchstäblich nahe, nicht unbedingt in eine Region Italiens, sondern ins benachbarte — vor allem deutschsprachige — »Ausland« zu ziehen, wo zudem die Lebens- und Arbeitsbedingungen meist deutlich besser sind.
Auch wenn es um die Wahl des Studienorts geht ist es ja so, dass ein sehr großer, wohl mit keiner italienischen Region vergleichbarer Anteil der Südtirolerinnen sich für andere Länder des deutschen Sprachraums entscheidet, auch weil sie sie (insbesondere aus sprachlicher Sicht) gar nicht als Ausland betrachten.
Regelmäßig wird behauptet, dass die Grenzen in Europa nicht mehr existierten. Handeln Menschen dann danach, wird das nicht goutiert — oder zumindest nicht richtig rezipiert.
Denn obwohl sie oft sogar in derselben Region (im historischen Tirol) bleiben oder lediglich in die nächstgelegene Metropole (München) ziehen, scheinen weggezogene Südtirolerinnen in der Statistik von Fondazione Nord Est als »Flüchtige« auf, während gleichzeitig Menschen aus italienischen Regionen, die dasselbe im Inneren des Staatsgebiets tun (und sich also auch in ihrem Sprachraum bewegen), erst gar nicht berücksichtigt werden.
Die Studie ist »nationalistisch«, indem sie nur grenzüberschreitende Migration als Abwanderung betrachtet, was zwar legitim, aber speziell aus Südtiroler Sicht irreführend ist.
Ja, die Attraktivität Südtirols für hier Aufgewachsene und auch für Menschen aus dem restlichen deutschen Sprachraum, mit dem wir im Wettbewerb stehen, muss tatsächlich dringend erhöht werden. Die vom hds zitierte Studie sagt darüber jedoch weniger aus, als die besorgte (und meiner Meinung nach irreführende) Stellungnahme vermuten ließe. Vielmehr zeigt sich, dass der Kontakt zwischen Südtirol und dem restlichen deutschen Sprachraum noch aufrecht ist.
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