Im Jahr 2019 feierte die Redaktion 30 Jahre Heimat Fremde Heimat (HFH) — und zwar im Burgtheater mit viel Prominenz. Der Künstler André Heller meldete sich mit einer Videobotschaft und appellierte an den ORF, die Sendung »nicht anzurühren«. Als ob er es erahnt hätte.
Zwei Jahre nach der Pensionierung der — mit Lorbeeren verabschiedeten —Redaktionsleiterin Silvana Meixner war am 22. Dezember Schluss, zum letzten Mal strahlte der ORF die Sendung Heimat Fremde Heimat aus. Eine Sendung, die seit 35 Jahren unterschiedliche Minoritäten verbindet, die nationalen Minderheiten, die migrantischen Communities und diverse andere.
Ein reizvolles Labor über das bunte Österreich der ethnischen, kulturellen, religiösen und sexuellen Vielfalt. Die Republik, demokratische Enkelin der multinationalen Doppelmonarchie. Heimat Fremde Heimat war auch ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Minderheitenredaktionen in Kärnten und im Burgenland. Kein Zufall, kam die Sendung doch 1989 gleichzeitig mit den Schwesterredaktionen im Burgenland (Dober Dan Hrvati) und in Kärnten/Koroška (Dober Dan Koroška) auf den Schirm.
Nicht der ORF hatte damals entdeckt, dass Österreich mehr ist als die Mehrheitsbevölkerung. Abseits im Land leben — eine überschaubare Zahl — Österreicherinnen und Österreicher, für die Slowenisch, Kroatisch, Ungarisch und Romanes die Muttersprachen sind. In den Metropolen stellen die Nachfahren von Arbeitsmigranten und Geflüchteten einen nicht unbeträchtlichen Teil der Wohnbevölkerung. Wie die nationalen Minderheiten wurden auch sie im ORF zuvor nicht gehört und nicht gesehen.
Smolle, Kletzander, Meixner
Es war der Grünen-Abgeordnete Karel Smolle, Kärntner Slowene, der die erwähnten ORF-Sendungen »erhandelte«. Erstmals waren die »anderen Österreicher:innen« zu hören und zu sehen. Gesicht und Stimme für dieses diverse Österreich im Fernsehen wurde die Journalistin Silvana Meixner. Für sie war der Begriff »Diversität« die Programmvorgabe. Sie und ihre Mitredakteur:innen zeigten auf, wie sich die Probleme marginalisierter Gruppen — autochthone, migrantische, sexuelle Minderheiten, Menschen mit Behinderungen — ähnelten, wie diskriminierend sich Mehrheitsstrukturen auf Marginalisierte auswirkten. Aber auch Alternativen wurden gesucht und aufgezeigt, wie die langsam entstandenen minoritären Allianzen.
Meixner und ihr Team brachen Nischen auf, Enklaven, vernetzten sie, wie die migrantischen Communities, Volksgruppen, Frauen, Menschen mit Behinderung und LGBTIQ+. Sie wurden zu Agierenden, die ihre Anliegen formulierten.
Menschenrechtsjournalismus
Fernsehjournalismus mit einem Hauch aktivistischer Menschenrechtsarbeit. Dafür war Silvana Meixner verantwortlich. Sie geriet deshalb auch ins Visier des bombenden Neonazis Franz Fuchs, der Meixner 1993 eine Briefbombe schickte. Sie kam mit den Worten zurück, sie sei wieder da und lasse sich von den Nazis nicht vom Schirm bomben. Ihre Reaktion darauf: noch mehr Diversität.
Im Jahr 2019 feierte die Redaktion mit viel Prominenz. Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek würdigte Silvana Meixner und ihr Sendung, es sei » bewundernswert, dass Silvana Meixner diesen Anschlag auf ihr Leben überwinden und etwas Großartiges aus dieser Sendung machen konnte! Das ist aller Ehren und Ehrungen wert.«
Als Meixner 2023 in den Ruhestand ging, wurde sie von der ORF-Generaldirektion gefeiert. Magazine-Hauptabteilungsleiterin Lisa Totzauer würdigte die Zielstrebigkeit Meixners und ihr Eintreten für Werte, die in der Hektik des Arbeitsalltages oft ins Hintertreffen geraten würden. Zwei Jahre nach ihrem Ausscheiden stellt der ORF Meixners Sendung, ihre Erbschaft, ein.
Harmonisch war das Verhältnis zwischen ORF-Spitze und der Minderheitenredaktion selten. 2003 ersetzte der ORF die Moderatoren von Heimat Fremde Heimat, Silvana Meixner und Lakis Jordanopoulos, durch einen ehemaligen Zeit-im-Bild-Moderator. Dagegen hagelte es Proteste, der ORF windete sich mit fragwürdigen Argumenten aus dem selbst verursachten Schlamassel.
Pionier Kletzander
Vorarbeit für Meixner leistete Helmuth Kletzander, er schuf die Grundlagen für Heimat Fremde Heimat. Mit seinem Gespür für Geschichten holte Kletzander 1998 auch einen Preis für seine Redaktion. Schon Kletzander war »minoritärer« Netzwerker, organisierte 1998 mit der Österreichischen Liga für Menschenrechte, mit der Initiative Minderheiten und dem Boltzmann-Institut im ORF-Zentrum in Wien die Internationale Tagung Minderheiten und Menschenrechte.
Kletzander sorgte dafür, dass mit Meixner und Meryem Citak Nichtdeutschsprachige in ihren Muttersprachen moderierten, »Gastarbeiter« in ihren Sprachen (mit Untertiteln) interviewt wurden. Eine innovative Leistung von Kletzander, der sich Angehörige der verschiedenen Communities in »seine« Redaktion holte.
Kletzander stieß die ORF-Tür weit auf, wegen seines minimalen Budgets installierte er die Videojournalist:innen, die große BBC als Vorbild, die überall hin ausschwärmten, vor Ort waren.
Kletzander entwickelte mit einer Mitarbeiterin eine eigene homepage für die Sendung, Volksgruppen/Diversität, HeimatFremdeHeimat. Die Diversität ging also frühzeitig online, sie spiegelte neben der 30-minütigen Sendung (um 13.30 auf ORF 2) Veranstaltungen, Initiativen, Kuriositäten, Projekte, nationale und internationale Neuigkeiten aus interkultureller Sicht.
Meixner-Stempel
Silvana Meixner drückte dem Kletzander-Piloprojekt einige Jahr später ihren Stempel auf. Sie und ihr Team entwickelten interkulturelle Projekte, sprachen damit Junge und interkulturell Bewegte an. Das HFH-Teleobjektiv ging an Schulen, ORF goes to school und präsentierte die divers gewordene Schüler:innenschaft.
In Projekten wie Schule fürs Leben – das Projekt wurden mit hunderten Schüler:innen Methoden des Widerstandes gegen rassistische Praxis aufgegriffen. Immer öfter rückten weibliche Vorbilder in den Vordergrund. Aus diesen Projekten entwickelte sich eine Art Kaderschmiede für ethnische Jouranlist:innen.
Die HFH-Redakteure Meryem Citak und Mehmed Akbal besuchten Moscheen, kritisierten deren Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft und wurden dafür von türkischen Medien übel attackiert. Citak besuchte die »neuen Österreicher:innen«, die Nachfahren der Arbeitsmigranten, für ihren Film Kolarić’ Erben erhielt sie den Journalistenpreis Prälat Ungar.
Neu war auch, dass in Sendereihen das Verhältnis zwischen Österreich und den Nachbarländern über die Volksgruppen erklärt wurde. In einer Großstadtserie stellte HFH die europäischen Hauptstädte aus der Sicht von Communities und Volksgruppen vor.
Eine nicht unbedeutende Rolle spielte auch Südtirol im Format Heimat Fremde Heimat. Es ergab sich eine Zusammenschau zwischen jungen Südtiroler:innen und Angehörigen der österreichischen Minderheiten. Was verbindet, was trennt, was kann voneinander gelernt werden? Daraus entstanden — den Südtiroler ORF-Journalisten Claus Gatterer als Vorbild — die interkulturellen Claus-Tandems, die junge Journalismusaspirant:innen aus Südtirol und den österreichischen Communities und Volksgruppen zusammenführten.
HFH – nicht nur eine Sendung
Und immer wieder ging es auch um den österreichischen Nationalsozialismus, um die Opfer der Nazis. Sie wurden gemeinsam gesehen, das Leid jüdischer Menschen, von Roma, Kärntner Sloweninnen, Zeugen Jehovas und LGBTIQ+. Das transgenerationale Trauma fand Platz in der Berichterstattung.
HFH praktizierte die Gegenrede, in der Reihe Weitblicke. Prominente saßen an einem virtuellen Stammtisch und redeten und argumentierten gegen Fremdenfeindlichkeit, Hass, Neid und Angst an. Mehr als 200 Prominente aus Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft beteiligten sich.
Neu war, dass der Frauenanteil bei den Interviewpartnerinnen so hoch war, dass die Redakteurinnen scherzhaft angehalten wurden, auch Männer zu interviewen.
HFH stand tatsächlich für einen diversen Journalismus, der vieles einschloss. Auch Musik. Im Projekt Hausgemacht war die Musik der österreichischen Volksgruppen zu hören und zu sehen.
Und, nicht weniger wichtig und bedeutsam, seit April 2015 stand die Sendung, die abwechselnd von Ajda Sticker und Marin Berlakovich moderiert wurde, auch im Teletext-Gehörlosenservice mit Untertiteln zur Verfügung. Eine Sendung, gestaltet von einer Redaktion, die sich zu einem Kompetenzzentrum in Sachen Diversität entwickelt hatte.
Hausgemachte Konkurrenz
All das gibt der ORF jetzt auf. Laut Teletest schauten sich letzthin 50.000 Personen die Sendung an, davor und danach sollen es deutlich mehr gewesen sein. Seitenblicke, Weekend, Rosamunde Pilcher. No na.
Aber nicht nur: Der ORF platzierte auch die anderen Minderheitensendungen in Burgenland, Kärnten und der Steiermark (also Dobar dan, Hrvati, Dober dan, Koroška beziehungsweise Dober dan, Štajerska) um 13.00 Uhr als Konkurrenz zu Heimat Fremde Heimat. Unbewusst oder gewollt? Und überhaupt: Minderheitensendungen am Sonntag, zur Mittagszeit? Da kann man kaum von Primetime reden. Das sagt viel aus.
Dieses Format wird im neuen Jahr ersetzt, »durch ein neues, zeitgemäßeres Volksgruppenmagazin wie auch ein Reportageformat«, berichtet Die Presse, die darauf hinweist, dass der ORF der APA einen entsprechenden Standard–Bericht-Bericht bestätigt habe.
War Heimat Fremde Heimat nicht zeitgemäß? Meinen die ORF-Gewaltigen damit vielleicht »unbequem«?
Alexander Pollak von SOS-Mitmensch nennt die Absetzung der Sendung einen großen Schaden, weil damit Themen wie Minderheiten und Vielfalt aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. »Das aufzugeben ist nicht ohne Risiko«, bedauert er. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Cëla enghe: Zwischen Schwund und Digitalisierung, Vom Versuch, »normal« zu sein, Diversität, volksgruppen.orf,
Scrì na resposta