Gestern war ich bei der Minority Rights Lecture an der Eurac, wo ich den Auftritt der Kärntner Slowenin Ana Grilc echt beeindruckend fand: Als junge weibliche Aktivistin ist sie neben drei männlichen Professoren1Peter A. Kraus ist Professor, Oskar Peterlini Vertragsprofessor, Matthias Scantamburlo Assistenzprofessor Vertrags aufgetreten und hat einen »militanten« Wind in die Veranstaltung gebracht.
Interessant fand ich unter anderem ihre Forderung, auch in Wien/Dunaj und Graz/Gradec gewisse Minderheitenrechte einzuführen, obwohl die beiden Städte nicht zum historischen Siedlungsgebiet der Sloweninnen und Kroatinnen gehören. Durch Akademisierung und Landflucht hätten sich in den großen Städten aber nicht wenige Mitglieder der Minderheit niedergelassen, die dann nur geringe Möglichkeiten vorfinden, ihre Sprache und Kultur zu leben.
Doch eigentlich will ich an dieser Stelle einen anderen Aspekt herausgreifen, der für Südtirol ebenfalls von Bedeutung ist.
Grilc berichtete nämlich, dass — vor allem bei der »vorigen Generation« — das Narrativ geherrscht habe, »die Kärntner Slowenen können kein Slowenisch«, was sie treffend als »internalisierte Minderheitenfeindlichkeit« bezeichnete.
Bei Minderheiten, deren Sprache woanders Staatssprache ist, ist dieses Vorurteil weit verbreitet und ein wichtiges Mittel der Minorisierung. Die Sprache der Minderheit wird regelmäßig am Standard gemessen, der in »ihrem« nationalen Mutterstaat gilt. Unterschiede werden dann — insbesondere von Mitgliedern der Mehrheit — als »falsch« interpretiert, als angeblicher Beweis, dass die Minderheit gar nicht die Sprache spricht, die sie zu sprechen vorgibt. Dabei wird verkannt, dass häufig auch im sogenannten Mutterstaat kaum jemand den geschriebenen Standard spricht und dass dieser auch nicht grundsätzlich eine größere Würde besitzt als die Sprache der Minderheit. Ihren selbstgebastelten Befund nutzen Mitglieder der Mehrheit dann oft zur Entwertung der Minderheit und auch als Ausrede, um deren »unreine«, »falsche« Sprache nicht zu erlernen. Häufig übernehmen Minderheiten das Narrativ, was Grilc so passend als »internalisierte Minderheitenfeindlichkeit« einordnete.
Nicht selten bewerten auch die Mehrheiten im sogenannten Mutterstaat — in Bezug auf Südtirol etwa die Deutschen aus Deutschland — die von Minderheiten im Ausland gesprochenen Varianten besonders streng. So streng, wie sie es in ihrem eigenen Land nicht machen würden, weil ihnen gar nicht in den Sinn käme, die »Deutschheit« von Saarländerinnen oder Sächsinnen in Abrede zu stellen.
In Südtirol ist diese Spielart der Minorisierung allgegenwärtig. Wie oft hört und liest man, die deutschsprachigen Südtirolerinnen beherrschten — was auch immer das ist — gar kein richtiges Deutsch? Wie oft wird dies als Grund angeführt, weshalb italienischsprachige Südtirolerinnen nicht Deutsch lernen wollen oder aber es im Alltag angeblich nicht pflegen können? Als wäre es nicht möglich, eine Variante des Deutschen zu sprechen, sondern nur einen reinen Standard.
Regelmäßig wird sogar behauptet, die deutschsprachigen Südtirolerinnen würden lieber Italienisch sprechen als (»richtiges«) Deutsch, weil sie es nicht beherrschten.
Die Unsicherheit, die durch das Vorherrschen solch glottophober Narrative bei deutschsprachigen Südtirolerinnen entsteht, führt wohl auch dazu, dass ein gestörtes Verhältnis zur Standardsprache besteht.
Zu den — zugegebenermaßen wenigen — Vorteilen von »Minderheiten ohne Mutterstaat« gehört, dass sie es selbst sind, die definieren, was in ihrer Sprache richtig oder falsch ist, bestenfalls auch einen eigenen Standard.
Cëla enghe: 01
02
03
04
05
06
|| 01
- 1Peter A. Kraus ist Professor, Oskar Peterlini Vertragsprofessor, Matthias Scantamburlo Assistenzprofessor
Scrì na resposta