Vor wenigen Tagen ist im Guardian ein Essay des Schriftstellers und Aktivisten Ngũgĩ wa Thiong’o (1938-2025) — mit einer Einleitung von Aminatta Forna — erschienen.
Einige Auszüge daraus möchte ich hier wiedergeben:
Nehmt uns unsere Sprache und wir werden vergessen, wer wir sind: Ngũgĩ wa Thiong’o und die Eroberungssprache
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Take away our language and we will forget who we are: Ngũgĩ wa Thiong’o and the language of conquest
Sprachliche Eroberung ist — anders als die militärische Form — billiger und wirksamer: Der Eroberer muss sich nur darauf konzentrieren, die Köpfe der Eliten einzufangen, die dann die Unterwerfung in der übrigen Bevölkerung verbreiten werden. Die Eliten werden Teil der sprachlichen Armee des Eroberers.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
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Language conquest, unlike the military form, is cheaper and more effective: the conqueror has only to invest in capturing the minds of the elite, who will then spread submission to the rest of the population. The elite become part of the linguistic army of the conqueror.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
Eine Variante der irischen Situation, in der sich die Intellektuellen — selbst nach der Unabhängigkeit — in der imperialen Eroberungssprache flüssiger ausdrücken als in den Sprachen ihres eigenen Landes, ist in jeder postkolonialen Situation vorhanden.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
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A variation of the Irish situation, where even after independence, the intellectuals express themselves more fluently in the language of imperial conquest than in the languages from their own country, is present in every postcolonial situation.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
Das Volk der Samen in Norwegen machte zwischen 1870 und 1970 — sie nennen es das brutale Jahrhundert — eine ähnliche Erfahrung, als versucht wurde, sie zu fließenden Norwegisch-Sprechern zu machen. Gewalt gegen autochthone Sprachen ist ein konstantes Thema bei der Verbreitung von Englisch in Irland sowie in Schottland und Wales. In Wales mussten sich diejenigen, die auf dem Schulgelände Walisisch sprachen, mit einem Schild vor die Klasse stellen, auf dem »Walisisch nicht« (»Welsh not«) geschrieben stand. Gewalt war bei der Schaffung der psychologischen Verbindung zwischen Sprache, Kultur und Denken zentral: Kolonien des Geistes. Man sollte meinen, dass die neuen Nationen nach Befreiung und Unabhängigkeit zumindest dieses ungleiche Machtgefälle beseitigen würden. Doch genau das ist die Macht der Kolonien des Geistes: Die Negativität gegenüber sich selbst wurde als ein Weg der Realitätsbetrachtung verinnerlicht.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
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The Sami people in Norway went through a similar experience in the period between 1870 and 1970 – what they call the brutal century – in an attempt to turn them into fluent Norwegian-language speakers. Violence against native languages is the running theme in the spread of English in Ireland, and in Scotland and Wales. In Wales, those who spoke Welsh in the school compound were made to stand in front of the class, with a placard reading WELSH NOT hanging from their neck. Violence was central in creating the psychological bond of language, culture and thought: colonies of the mind. You would think that after liberation and independence, the new nations, at the very least, would dismantle that unequal power relationship. But that is precisely the power of the colonies of the mind: negativity toward self has become internalised as a way of looking at reality.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
Das von der ersten Generation der [derart] Konditionierten erlebte Trauma kann als normales Verhalten weitergegeben werden, das keinerlei Erklärung oder Rechtfertigung bedarf; die späteren Generationen verstehen vielleicht noch nicht einmal, warum sie mit den autochthonen Sprachen Schmerz und mit den fremden Sprachen und Kulturen Freude verbinden.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
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The trauma experienced by the first generation of the conditioned can be passed on as normal behaviour that needs no explanation or justification; the later generations may not even understand why they associate pain with native languages and pleasure with foreign languages and cultures.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
Im Fall der Sprachen müssen wir die allgemeine Auffassung zurückweisen, dass das Problem eines bestimmten Landes oder gar der Welt die Existenz zahlreicher Sprachen und Kulturen und sogar Religionen sei. Das Problem ist ihr Verhältnis im Sinne einer Hierarchie. Meine Sprache steht in der Hierarchie über deiner. Meine Kultur steht höher als deine.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
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In the case of languages, we have to reject the commonly held wisdom that the problem in any one country or the world is the existence of many languages and cultures, and even religions. The problem is their relationship in terms of hierarchy. My language is higher in the hierarchy than yours. My culture is higher than yours.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
Selbst wenn eine der Sprachen zur Kommunikationssprache über viele [andere] Sprachen hinweg wird, sollte das nicht auf der Grundlage ihrer angenommenen inhärenten Nationalität oder Globalität geschehen, sondern aufgrund von Bedarf und Notwendigkeit. Selbst dann darf [die Kommunikationssprache] nicht auf dem Grab anderer Sprachen wachsen.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
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Even if one of the languages emerges as the language of communication across many languages, it should not be so on the basis of its assumed inherent nationality or globality, but on the basis of need and necessity. And even then, it should not grow on the graveyard of other languages.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
Ich glaube, dass das Ziel von Bildung ein Wissen ist, das [uns] ermächtigt, das unsere wahre Verbindung zur Welt aufzeigt — aber von unserer Basis ausgehend. Von unserer Basis aus erkunden wir die Welt; aus der Welt bringen wir zurück, was unsere Basis bereichert.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
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I believe that the goal of education is knowledge that empowers, that shows our real connections to the world, but from our base. From our base, we explore the world: from the world, we bring back that which enriches our base.
– Ngũgĩ wa Thiong’o
Ngũgĩ wa Thiong’o ist unter anderem Autor von Dekolonisierung des Denkens (Decolonising the Mind).
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