Die italienische Verfassungsreform von 2001, mit der unter anderem die Möglichkeit eingeführt wurde, Regionen mit Normalstatut neue Zuständigkeiten zu übertragen, enthielt in Artikel 10 eine sogenannte Besserstellungsklausel für die autonomen Regionen sowie für die autonomen Länder Südtirol und Trentino:
Die Teile des vorliegenden Verfassungsgesetzes, die Autonomieformen vorsehen, die umfassender als die bereits bestehenden sind, werden bis zur Anpassung der jeweiligen Statuten auch auf die Regionen mit Sonderstatut und auf die autonomen Länder Trient und Bozen angewandt.
– Verfassungsgesetz Nr. 3/2001 (Art. 10)
Hervorhebung und Übersetzung von mir (Original anzeigen)
Sino all’adeguamento dei rispettivi statuti, le disposizioni della presente legge costituzionale si applicano anche alle Regioni a statuto speciale ed alle province autonome di Trento e di Bolzano per le parti in cui prevedono forme di autonomia più ampie rispetto a quelle già attribuite.
– Legge costituzionale n. 3/2001 (art. 10)
Damit sollte vermieden werden, dass Regionen mit Normalstatut durch die Verfassungsreform — zumindest bereichs- und zeitweise — autonomer werden als Regionen und Länder mit Sonderstatut. In der Folge konnte Südtirol dank dieser Klausel tatsächlich mehrere neue Zuständigkeiten übernehmen.
Sollte die aktuelle Autonomiereform (Entwurf) zur Wiederherstellung der beschnittenen Kompetenzen als Anpassung des Statuts gemäß Artikel 10 der Verfassungsreform von 2001 gewertet werden, könnte das bekanntlich zentralistisch ausgerichtete Verfassungsgericht entscheiden, bereits übertragene Zuständigkeiten wieder abzuerkennen oder zu beschneiden.
Alles, was diesmal nicht ausdrücklich ins Statut geschrieben wurde, könnte somit — zumindest theoretisch — ganz oder teilweise zurück an den Zentralstaat gehen.
Auf Vorschlag der SVP hat der Landtag bei der Genehmigung des Reformentwurfs am 7. Mai unter anderem folgendes angemerkt:
- mit dem gegenständlichen Verfassungsgesetzentwurf erfolgt keine vollständige Anpassung des Autonomiestatuts an die Verfassungsreform von 2001 und die Besserstellungsklausel gemäß Artikel 10 des Verfassungsgesetzes Nr. 3/2001 findet in Bezug auf die im Verfassungsgesetzentwurf nicht explizit geregelten Bereiche weiterhin Anwendung;
Das zeigt einerseits, dass tatsächlich eine entsprechende Befürchtung besteht. Andererseits könnte es blauäugig sein, diesen Hinweis lediglich als Bemerkung einzufügen, die keinerlei rechtliche Verbindlichkeit hat, sondern im Grunde bloß Ausdruck einer Hoffnung — eine Beschwörung — ist.
Letztendlich wird nämlich allein das italienische Verfassungsgericht entscheiden, ob es die Autonomiereform als (vollständige) Anpassung im Sinne der Reform von 2001 interpretiert oder nicht. Gerade das Verfassungsgericht hat seit 2001 gezeigt, dass es vor keiner argumentativen Kapriole zurückschreckt, um die Einschränkung autonomer Zuständigkeiten zu rechtfertigen.
Alles was nicht ausdrücklich in der aktuellen Reform geregelt wurde, könnte mit dem etwaigen Wegfall der Besserstellungsklausel zur Disposition stehen. Schon 2001 wurde die Rechnung ohne die Verfassungsrichterinnen gemacht — hoffen wir also, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Vermutlich aber wäre größere Vorsicht angezeigt gewesen und hätte eine Bemerkung wie die des Landtags zumindest in den eigentlichen Reformtext gehört.
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