→→ Autorinnen →→ Gastbeiträge →→

Tourismus fünf Milliarden Euro schwer?

Autor:a

ai


Wenige zweifeln am wirtschaftlichen Gewicht der Tourismusindustrie. Doch der HGV meint, die Bevölkerung schätze das zu wenig und rechnet die Tourismuserlöse hoch.

Der HGV hat erstmals eine eigene »Hochrechnung« vorgelegt, um das wirtschaftliche Gewicht seiner Branche nach Umsätzen zu belegen. Weil der Sektor unter Rechtfertigungsdruck stehe, so HGV-Pinzger in den Dolomiten (27./28. September 2025) und sein Beitrag nicht wahrgenommen werde, müsse man Zahlen bringen. Rätselhaft, warum dann diese apologetische Studie nur exklusiv dem Athesia-Blatt zugeleitet wird. Im Übrigen gibt es für diesen Zweck auch die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die den Beitrag des Tourismus amtlich und umfassend berechnet. Das ASTAT weist für 2022 eine Wertschöpfung des Sektors von 2,859 Milliarden Euro aus: 2024 könnten es auch 3 Milliarden Euro sein, aber nicht 5 Milliarden. Umsätze sind eben nicht Wertschöpfung, womit für die volkswirtschaftliche Analyse und für den Vergleich mit anderen Sektoren mit dieser Art Berechnung nicht viel gewonnen ist. Dankbar wird allerdings das Finanzamt sein, das sonst mühsam sogenannte »studi di affidabilità fiscale« erstellen muss. Was die HGV-Studie dabei diskret verschweigt, ist der Nettogewinn der Tourismusunternehmen, wohin dieser transferiert wird und warum eine so florierende Branche immer noch rund 70 Millionen Euro an jährlichen Subventionen einstreicht. 

Wie dem auch sei: am wirtschaftlichen Gewicht des Tourismus zweifelt in Südtirol wohl kaum jemand. Mit einem Anteil von 11,5 Prozent (2023) an der Gesamtwertschöpfung ist der Tourismus hierzulande stark, aber nicht überragend, wie von der Lobby immer behauptet. Verwiesen wird dabei immer auf die Vorleistungen, wie z.B. auf die touristischen Lebensmittel- und Getränkeausgaben in Höhe von 830 Millionen Euro (Dolomiten, 27./28. September 2025) an Landwirtschaft, Brauereien, Weinkellereien. Dabei wird verschwiegen, dass die Südtiroler Landwirtschaft überraschend wenig ans Gastgewerbe liefert, während der Löwenanteil der Lebensmittel der Gastronomie importiert wird. Man denke z.B. ans Fleisch. Verschwiegen wird, dass auch alle anderen Sektoren Vorleistungen beziehen. Wäre es nicht der Tourismus, täten dies eben mehr Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen.

Einen gewichtigen Teil der Ausgaben bilden die Investitionen, so die Studie, nämlich knapp 1 Milliarde Euro, die laut HGV-Studie jährlich in die Modernisierung, Ausstattung und den Ausbau der Betriebe gesteckt wird. Davon profitiert das Bauhaupt- und Baunebengewerbe. Doch in einer Situation touristischer Überentwicklung ist das kein Segen mehr, sondern zeigt ungebrochenes Wachstum an. Befeuert wird es durch die Bettenbaubeschleunigungsverordnung von 2022, die dem Land in drei Jahren einen Zuwachs von 34.000 Betten beschert hat (Stand August 2025), aber seltsamerweise »Bettenstopp« genannt wird. Tendenz nach oben, keine Obergrenze in Sicht, was wiederum das Baugewerbe beruhigt. Doch anscheinend will der HGV nicht wahrhaben, dass 1 Milliarde Euro im Jahr in Erweiterung, Neubau und Modernisierung der Hotels das heutige Problem spiegelt: ein gewaltiger Fluss an Ressourcen, Energie und Baumaterial, der sich laufend über Südtirols Landschaft ergießt. Der HGV präsentiert es als Wohltat, doch geht es um Überinvestitionen in Beherbergungskapazität, die nur mit immer mehr Ankünften und Nächtigungen zu amortisieren sind.

Die Tourismuslobby scheint in ihrem Wachstumsdenken dermaßen gefangen zu sein, dass sie die Kehrseite dieser Entwicklung einfach verkennt. Feuer mit Öl zu löschen, wird nicht gut funktionieren. Immer mehr Menschen stoßen sich am Übermaß, am ungebrochenen Wachstum, an den zunehmenden Belastungen, wie auch repräsentative Erhebungen ergeben haben. Sie zweifeln nicht am Erlös der florierenden Branche, sondern am Leitmotiv »Nie genug«. Sie leiden am Verkehr, am Lärm, an Überfüllung, hohen Preisen, fehlenden Mietwohnungen. Immer mehr Menschen möchten der gnadenlosen Vermarktung des Landes endlich Grenzen setzen (Südtirol liegt an 3. Stelle in der EU nach Tourismusintensität). Mit etwas weniger Tourismus geriete die Wirtschaft nicht in Krise, sondern andere Branchen erhielten mehr Chancen, z.B. die sozial wichtigen Bereiche Gesundheit, Pflege, Bildung und Kultur. Der HGV verweist auf die 14 Prozent Beschäftigten im Gastgewerbe: Wäre es nicht hilfreich gegen den Personalmangel in wichtigen Branchen, wenn etwas weniger Menschen Gäste bedienen und Betten bauen? Wäre es nicht denkbar, dass der HGV sich eine Hochrechnung gönnt, wieviel die Branche zum menschengemachten Klimawandel beiträgt und warum der Klimaschutz in seinen Analysen keine Rolle spielt? Und schließlich: leben wir noch immer in einer Gesellschaft, die Wohlstand und Lebensqualität an den Umsätzen und Renditen der Hotellerie bemisst? 


Autor:innen- und Gastbeiträge spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung oder die Position von BBD wieder, so wie die jeweiligen Verfasser:innen nicht notwendigerweise die Ziele von BBD unterstützen. · I contributi esterni non necessariamente riflettono le opinioni o la posizione di BBD, come a loro volta le autrici/gli autori non necessariamente condividono gli obiettivi di BBD. — ©


Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.

Comentârs

One response to “Tourismus fünf Milliarden Euro schwer?”

  1. G.P. avatar
    G.P.

    Zahlen – auch jene des HGV – “lügen” immer, weil Interpretationssache.

Scrì na resposta

Your email address will not be published. Required fields are marked *

You are now leaving BBD

BBD provides links to web sites of other organizations in order to provide visitors with certain information. A link does not constitute an endorsement of content, viewpoint, policies, products or services of that web site. Once you link to another web site not maintained by BBD, you are subject to the terms and conditions of that web site, including but not limited to its privacy policy.

You will be redirected to

Click the link above to continue or CANCEL