Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, am 5. November 1992 vom Europarat beschlossen, ist ein leistungsfähiges Werkzeug des Minderheitenschutzes. Sie stellt zahlreiche konkrete Anforderung an den Umgang mit minoritären Sprachen, um deren Fortbestand und Entwicklung zu garantieren. Außerdem wird die Umsetzung in den jeweiligen Ländern periodisch strengsten Überprüfungen unterzogen.
»Regional- oder Minderheitensprachen« sind laut Charta Sprachen, »deren Zahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung des Staates« und »die sich von der (den) Amtssprache(n) dieses Staates unterscheiden«.
Italien hat den Text erst im Jahr 2000 unterzeichnet, doch seitdem ist nichts mehr passiert: Regierungen egal welcher Couleur haben Ratifizierung und Umsetzung auf die lange Bank geschoben. Damit befindet sich die Halbinsel in Gesellschaft von Ländern wie Bosnien-Herzegowina, Russland, Adserbaidschan oder Minderheitenschutz-Verweigerer Frankreich [Liste].
Für einen Staat, der sich für seinen Umgang mit Minderheiten gern selbst lobt, ist dies auf den ersten Blick sehr merkwürdig. Bei näherer Betrachtung der Materie und genauer Lektüre der Charta wird jedoch schnell klar, dass es mit dem Eigenlob schnell vorbei wäre, und sich Italien durch die Ratifizierung vielmehr den erhobenen Zeigefinger der internationalen Gemeinschaft einhandeln würde.
Der letzte periodische Bericht über Spanien ist ein interessantes Fallbeispiel. Zunächst hat der Sachverständigenausschuss die Situation vor Ort bis ins Detail überprüft, dabei noch Informationen von Regierung, Opposition und NGOs eingeholt. Der Bericht gibt darüber Auskunft. Selbst in Regionen wie Katalonien und Baskenland, die für manche Lösungen in höchsten Tönen (u. a. als »best practice«) gelobt werden, wurden noch zahlreiche bisweilen stark verbesserungswürdige Zustände festgestellt und aufgezeigt. An die Zentral- und Autonomiebehörden ergehen konkrete Aufforderungen durch die Experten und das Ministerkomitee.
Auch Südtirol würde meiner Einschätzung nach insgesamt nicht glänzend, aber — im Unterschied zu den meisten anderen Minderheiten in Italien — immerhin mehr als passabel abschneiden. Der Ruf der SVP nach einer raschen Umsetzung des Papiers ist jedoch nach anfänglichem Engagement längst verhallt. Ihren Einsatz hat die Sammelpartei seit Jahren vom tatsächlichen Interesse der Bevölkerung entkoppelt und die heutige Autonomie zum Paradies auf Erden erklärt. Eine realistische Einschätzung durch unabhängige Beobachter passt da nicht wirklich ins Konzept. Das eine oder andere hätten sie sicher auszusetzen an der angeblichen Modellautonomie. Noch stärker dürfte jedoch ins Gewicht fallen, dass der halbherzige Schutz der ladinischen Minderheit, einschließlich ihres hochgepriesenen Schulmodells, einer Überprüfung schwerlich standhalten könnte. Die Ladiner wären hierzulande die großen Nutznießer der Umsetzung der Charta durch Italien, und für die SVP wäre es womöglich eine unangenehme Entblößung.
Brennerbasisdemokratie ruft sämtliche Parteien in Südtirol dazu auf, sich für die Umsetzung der Charta einzusetzen!
Minderheitenschutz Plurilinguismo Politik Vorzeigeautonomie | Charta der Minderheitensprachen | | | France Italy Ladinia Spanien Südtirol/o | SVP | Deutsch
16 replies on “Die Charta der Minderheitensprachen.”
[…] nur ~1.800 Sprechern) kommen noch einmal gesonderte Rechte zu. Anders als Italien hat Finnland die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen unterzeichnet und […]
[…] Recht auf muttersprachlichen Unterricht genießt. Finnland hat — anders als Italien — die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen ratifiziert und die darin enthaltenen Rechte ausdrücklich auf die Roma […]
[…] Beschlüssen hat die technische Regierung um Professor Mario Monti jetzt unerwartet die Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats* ratifiziert. Wie das zusammenpasst, ist nicht ganz nachvollziehbar. Trotzdem […]
[…] auch: [1] [2] Sprachencharta: Doch nicht. Chëst articul él gnù publiché te Politik, Recht, Sprache da […]
[…] ist. Dabei schreibe die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (welche Italien nie ratifiziert hat, Anm.) ausdrücklich vor, dass das geographische Gebiet jeder Minderheit zu achten sei, »um […]
[…] Generationen, geschwunden, sodass eine Erholung unwahrscheinlich scheint. Die weiterreichende Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, welche vielen Gemeinschaften das Überleben und eine freiere Entwicklung sichern könnte, hat der […]
[…] auch: [1] [2] [3] Gesetzgebungskommission für Charta. Chëst articul él gnù publiché te EU, Politik, […]
[…] Ratifiziert Italien endlich die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen? […]
[…] di uno stato-nazione, prospettata da Campostrini, o potrebbe essere più moderno aderire alla Carta Europea delle minoranze, firmata ma mai ratificata dall’Italia, perché la costringerebbe a cambiare radicalmente le […]
[…] hat Senator Francesco Palermo (SVP-PD) einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem Italien endlich die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ratifizieren soll. Am 5. November 1992, also vor über 20 Jahren, wurde dieses Regelwerk vom […]
[…] anche: [1] [2] […]
[…] Ortsnamen sind ein wichtiges Kulturgut, gerade für sprachliche Minderheiten, weshalb internationale Minderheitenschutzvereinbarungen fast immer auch das Recht auf eine unversehrte Toponomastik beinhalten. So zum Beispiel die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. […]
[…] müsse tatsächlich in jeder Region in der Mehrheit sein. Die von Italien nie ratifizierte Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats empfiehlt sogar ausdrücklich, innerstaatliche Verwaltungsgrenzen so zu gestalten, […]
[…] die Zuständigkeit, ihre Amtssprachen festzulegen. Ferner ist in Deutschland (seit 1999) im Unterschied zu Italien die »Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen« in Kraft. In manchen Gemeinden […]
[…] anche: [1] […]
Damit man nochmal sieht, was die Charta der Regional- oder Minderheitensprachen bewirkt: Der umfassende periodische Bericht der Bundesrepublik Deutschland (2013) mit den Empfehlungen des Europarats und der Beschreibung ergriffener Maßnahmen.