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Wer war Stepan Bandera?

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Sicher kein Idol für eine demokratische und unabhängige Ukraine.

Der 1909 im ostgalizischen Dorf Staryj Uhryniw (heute Iwano-Fran­kiw­sk/U­kraine) geborene Bandera trat 1929 in die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) ein, war 1932 eine der versiertesten Propagandisten und koordinierte die Terroranschläge im polnischen Ostgalizien. Den Terror sah Bandera als Teil einer »per­ma­nen­ten Revo­lu­tion«, die später in die »natio­nale Revo­lu­tion« münden sollte. Ziel: Die Errich­tung eines ukrai­ni­schen Staates.

Zu den spektakulärsten Anschlägen der Bandera-Terroristen zählte die Ermor­dung des pol­ni­schen Innen­mi­nis­ters Bro­nisław Pier­acki 1934 in Warschau. In zwei Prozessen 1935 und 1936 wurde Bandera zum Tode verurteilt, das Urteil aber letztendlich in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.

Bandera nutzte die Prozesse gekonnt für seine Propaganda, weigerte sich, Polnisch zu sprechen, verwendete nur seine ukrainische Muttersprache. Die Tumulte im Gericht rückten Bandera ins mediale Interesse, er wurde zum Sprachrohr der ukrainischen Nationalisten.

Aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts besetzte die Rote Armee die Westukraine, die OUN-Nationalisten und ihr bewaffneter Arm, die UPA, leisteten dagegen Widerstand. Nach dem Angriff des Dritten Reichs auf die Sowjetunion rückte 1941 die deutsche Wehrmacht in die Ukraine ein. Die OUN bot sich als Bündnispartner an. Viele OUN-Mitglieder beteiligten sich an den Massakern der Wehrmacht und der Sonderkommandos an den jüdischen UkrainerInnern.

Die ukrainischen Nationalisten begrüßten den Einmarsch der Wehrmacht, empfanden sie als Verbündete gegen die Sowjets und als Partner bei der Gründung des ukrainischen Staates. Die OUN rief am 30. Juni 1941 in Lwiw, im ehemaligen habsburgischen Lemberg, den unabhängigen ukrainischen Staat aus. Nicht mit dabei war Stepan Bandera, den die Gestapo verhaftet hatte. Nazideutschland unterband die Staatsgründung, die Nazis hatten mit der Ukraine anderes vor, die Ausplünderung und einen erbarmungslosen Krieg gegen die »slawischen Untermenschen«.

Für viele WestukrainerInnen galt die Proklamation als ein Akt der nationalen Selbstbehauptung, der Erneuerung ukrainischer Staatlichkeit. Verdrängt wurde erfolgreich der von Bandera gepflegte Totalitarismus und seine bedingungslose Nähe zu Nazideutschland. Bandera wollte letztendlich, schreibt Historiker Wilfried Jilge, nur einen faschis­ti­schen Satel­li­ten­staat, der der kroa­ti­schen Usta­scha weit näher­kam als einer wirk­li­chen Unabhängigkeit.

Bandera nutzte seine Unterwürfigkeit wenig, er kam ins KZ Sachsenhausen, seine Brüder nach Auschwitz, wo sie ermordet wurden — wie andere OUN-Aktivisten auch. Sie waren der alles durchdringenden nationalsozialistischen Kolonialisierung der Ukraine im Weg. Im Untergrund organisierten die abgetauchten OUN-Militanten 1942/43 die Ukrainische Aufstandsarmee UPA, in die auch ukrainische Hilfspolizisten eintraten, die sich an deutschen Massenmorden an Juden beteiligt hatten.

Nachdem die sowjetische Armee die gesamte Ukraine wieder unter ihre Kontrolle bekommen hatte, ließen die Nazibehörden Bandera frei und suchten wieder eine Zusammenarbeit mit den ukrainischen Nationalisten. Stepan Bandera gründete den Ukrainischen Nationalkongress, den der NS-Staat als legitimen Vertreter der ukrainischen Nation anerkannte. Die OUN und die UPA schienen sich aber von Bandera entfernt zu haben.

Die UPA bekämpfte die deutsche Zivilverwaltung, die Sicherheitspolizei, den SD. UPA-Partisanen versuchten, ZwangsarbeiterInnen zu befreien. Die ukrainische Untergrundarmee führte einen Zweifrontenkrieg, gegen die Rote Armee und gegen die NS-Besatzungsbehörden. Nach der Niederlage des Dritten Reichs hofften die ukrainischen Nationalisten auf westliche Bündnispartner im Kampf gegen die Sowjetunion.

In der westlichen Ukraine hielt der UPA-Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer bis 1949 an, bis in die 1950er Jahre gab es antisowjetischen Aktivitäten. Gegen die hochgerüstete und siegreiche Rote Armee sowie gegen die sowjetischen Sicherheitskräfte hatte der ukrainische Widerstand aber keine Chance, das Land war ausgeblutet. Bandera versuchte noch 1945 in Wien, eine OUN-Exilorganisation zu gründen, die wegen interner Auseinandersetzungen in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Bandera setzte sich nach Bayern ab, wo er 1959 von einem KGB-Agenten ermordet wurde.

Der sowjetische Propagandakrieg gegen Bandera, gegen OUN und UPA ging weiter und wurde auch von der ukrainischen Sowjetrepublik sorgfältig gepflegt. Im Visier waren besonders in der Westukraine AutorInnen und BürgerrechtlerInnen, allesamt als bürgerliche Nationalisten verunglimpft. Erben von Bandera, gifteten die Sowjetbehörden.

Erst der Zusammenbruch der totalitären Sowjetunion ermöglichte 1991 den ukrainischen Frühling. Bei einem Referendum stimmte die Ukraine fast geschlossen für die staatliche Unabhängigkeit. In einer gemeinsamen Erklärung 2014 wandten sich die ehemaligen Präsidenten Krawtschuk, Kutschma und Juschtschenko an den russischen Präsidenten Putin, seine »aggressive Außenpolitik« gegenüber der Ukraine aufzugeben.

Ausgerechnet der demokratische Hoffnungsträger Juschtschenko erklärte Stepan Bandera ohne Not zum Nationalhelden. Bandera und seine Proklamation einer unabhängigen Ukraine — gerichtet gegen die Nazis und die Sowjets — galt als Richtschnur des politischen Handelns der jungen selbständigen ukrainischen Republik. Offensichtlich gaben die Versuche einer staatlichen Eigenständigkeit im Ersten Weltkrieg nichts her, nicht die proklamierte ukrainische Sowjetrepublik 1917, nicht der 1918 vom zaristischen General Pawlo Skoropadsky — mit Unterstützung Deutschlands und Österreich-Ungarns — gegründete ukrainische Staat, nicht die 1918 entstandene Westukrainische Volksrepublik und auch nicht die anarchistische Bauernföderation von Nestor Machno in der Zentralukraine. Gegen diese ging die Rote Armee mit besonderer Brutalität vor. Mehr als eine Million Machno-Anhänger metzelten die Rotgardisten nieder.

Als eine Ironie der Geschichte beschreibt die Historikerin Franziska Davies, dass ausgerechnet die Sowjetmacht mit der Gründung der ukrainischen SSR jene Grenzen zog, die Russland heute mit seinem Krieg radikal verändert. Die Sowjets setzten damals letztendlich den Traum von Bandera in die Realität um.

Für den polnischen Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe eignet sich Bandera trotzdem nicht als Vater der ukrainischen Selbständigkeit. Bandera war Faschist, strebte einen faschistischen Satellitenstaat an, der ethnisch homogen war und deshalb von Nicht-UkrainerInnen »gesäubert« werden musste. Für die Umsetzung dieses Staatskonzepts war Bandera verantwortlich und somit auch für die damit zusammenhängenden Verbrechen. Grzegorz Rossoliński-Liebe arbeitete besonders die UPA-Verbrechen gegen die polnische Bevölkerung in Galizien auf. Die ehemals vorherrschende gegenseitige Ablehnung hat eine Vorgeschichte.

Die polnische Elite des habsburgischen Galiziens unterdrückte die ukrainische Mehrheitsbevölkerung auf vielfältige Weise. Zwischen 1918 und 1919 führten die nach dem Zusammenbruch des Zaren- und des Habsburgerreiches entstandene polnische und ukrainische Republik Krieg um Ostgalizien. Die polnischen Milizen verteidigten erfolgreich Lemberg gegen die ukrainische Armee, General Pilsudski ließ massenhaft Ukrainer internieren, besonders Angehörige der Intelligenzija und nationalbewusste Ukrainer. Bauern wurden ausgepeitscht und Dörfer niedergebrannt.

Die polnische Armee ging nicht nur repressiv gegen die ukrainische Bevölkerung vor, im Visier waren auch die ukrainischen Juden. Ihnen warf die polnische Armee vor, die ukrainische Staatsgründung zu unterstützen. Das östliche Galizien wird nach dem Ende des Ersten Weltkrieges auf der Pariser Friedenskonferenz Polen zugeschlagen.

Die nationalen Bruchstellen in dieser ethnisch Mix-Region blieben nicht folgenlos. Die Warschauer Historikerin Bogumila Berdychowksa widmete ihre Recherche der vergessenen Geschichte der ukrainischen Bevölkerung in Polen. Eine Geschichte voller Tabus.

Polen verdrängte lange seine Kriegsverbrechen an der ukrainischen Zivilbevölkerung im polnisch-ukrainischen Krieg 1944-1947 und die Massenumsiedlung von 150.000 UkrainerInnen aus Südost-Polen in die polnisch gewordenen ehemaligen deutschen Ostprovinzen zwischen Masuren und Oberschlesien.

Dem ging ein sogenannter Bevölkerungsaustausch zwischen der Volksrepublik Polen und der ukrainischen Sowjetrepublik voraus. Aus dem ehemaligen Galizien, der Westukraine, wurden auch unter Zwang mehr als 800.000 Polen »umgesiedelt«, aus Polen eine halbe Million UkrainerInnern. Mehr als 1,7 Millionen Menschen mussten 1947 die polnischen Ostgebiete verlassen, die Teil der weißrussischen Sowjetrepublik wurden.

Ethnische Säuberungen, vorexerziert zwischen 1939 und 1940 von Nazideutschland und der Sowjetunion im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts.

Trotz des Völkermordes Nazideutschlands an der polnischen Nation war die Vertreibung der Ostpreußen, der Pommern und der Schlesier keineswegs eine humanitäre Aktion. Die Vertreibung, die von den Alliierten als Aussiedelung beschönigt wurde, war nichts anderes als ein Verbrechen.

Angesichts der Geschichte in den »bloodlands« — um den US-amerikanischen Historiker Timothy Synder zu zitieren — ist der ukrainische Faschist Stepan Bandera nicht mehr als eine blutige historische Fußnote. Er eignet sich aber zweifelsohne nicht, Pate einer unabhängigen demokratischen Ukraine zu sein.

Der ehemalige ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnik, ist mit seinen Verharmlosungen eines Faschisten nicht allein.

Der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi lobte den faschistischen »Duce«, Mussolini, er sei der wichtigste italienische Staatsmann gewesen. Faschistische Hierarchen legten im Nachkriegsitalien steile politische Karrieren hin, wie der Mitautor der faschistischen Rassengesetze, Amintore Fanfani, als christdemokratischer Ministerpräsident. Laut Umfragen würden mehr als 23 Prozent der ItalienerInnen die faschistischen Enkel von den Fratelli d’Italia wählen.

Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich konnte die rechtsradikale Marine Le Pen ihre Wählerbasis beträchtlich ausbauen.

In Spanien gründeten ehemalige Mitstreiter des faschistischen Generals Franco nach seinem Tod die rechtskonservative spanische Volkspartei PP. Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit? Fehlanzeige. Im Gegenteil. Die neuen spanischen Faschisten von der Vox-Partei bekennen sich ungeniert zu General Franco.

Nicht von ungefähr warnte die Historikerin Franziska Davies die deutsche Öffentlichkeit, mit dem Finger auf die angebliche ukrainische Verherrlichung des Faschisten Bandera zu zeigen.

Die Aufarbeitung der Nazivergangenheit in Deutschland begann auch erst in den frühen 1970er Jahren. Der erste Bundeskanzler, Konrad Adenauer (CDU), hatte sich noch den Verwaltungsjuristen Hans Globke, Mittverfasser der Nürnberger Rassengesetze, als Chef des Bundeskanzleramtes ins Kabinett.

Der naziverseuchte Justizapparat bremste lange den Generalstaatsanwalt von Hessen, Fritz Bauer, und seine Ermittlungen gegen die Täter im Vernichtungslager Auschwitz aus. Nazijuristen machten in der deutschen Justiz ungehindert Karriere. Der NS-Marinerichter Hans Filbinger von der CDU wurde Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Im Apparat des deutschen Außenministeriums saßen lange Zeit unbehelligt Mitarbeiter und Diplomaten aus der NS-Zeit.

Bandera eignet sich zweifelsohne nicht als Idol ukrainischer Staatlichkeit, aber genauso wenig als Kronzeuge für eine vitalen ukrainischen Faschismus.

Serie I II III


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