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Ein Recherche-Duo nimmt das Korruptionsurteil gegen die katalanische Politikerin Laura Borràs i Castanyer auseinander

Vorausgeschickt: Die ehemalige katalanische Kulturministerin und Präsidentin des katalanischen Parlaments Laura Borràs wurde vom Oberlandesgericht in Barcelona wegen Betrugs und Urkundenfälschung im öffentlichen Amt zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Außerdem darf Borràs in den nächsten 13 Jahren kein öffentliches Amt mehr bekleiden. Die 52-jährige Vorsitzende der Partei Junts ist wegen der Ermittlungen bereits im vergangenen Jahr als Präsidentin des katalanischen Parlaments suspendiert worden.

Der Vorwurf: Zwischen 2013 und 2018 soll Borràs als Präsidentin der öffentlichen Kultureinrichtung Institució de les Lletres Catalanes (ILC) Verträge im Gesamtwert von gut 335.000 Euro ohne Ausschreibung an einen Bekannten vergeben haben. Das urteilende Gericht sprach sich ausdrücklich für eine Begnadigung durch die Regionalregierung aus. Borràs kritisierte das Urteil als einen »Skandal«. Es ziele darauf ab, »die Unabhängigkeitsbewegung zu zerstören«. »Es wird mich aber nicht daran hindern, weiter für das einzige Ziel zu arbeiten, für das ich in die Politik gegangen bin: die Unabhängigkeit zu erreichen«, kündigte Borràs an.

Alexander Schönberger, Professor für Romanische Philologie, greift in seiner pro-katalanischen Petitionskampagne immer wieder das Vorgehen der spanischen Justiz gegen katalanische Unabhängigkeitspolitikerinnen und Politiker sowie AktivistInnen auf. Schönberger sieht im Korruptionsurteil eine LawfareKampagne gegen die prominentesten katalanische Politikerinnen wegen ihres Engagements für die staatliche Unabhängigkeit Katalonien. Laura Borràs gilt auch als Vertraute des katalanischen Exilpräsidenten Carles Puigdemont.

Der Vorwurf von Professor Schönberger wird von einer Recherche gestützt. Zwei katalanische Autoren recherchierten und dokumentierten den Fall Borràs, den es so nicht gab, kommen David Ros i Serra und Isidre Llucià i Sabarich zum Schluss. Sie beschreiben die behördlichen Ermittlungen und die Gerichtsverhandlung als Lawfare, juristische Kriegsführung. Die beiden Autoren der Recherche kennen die Materie, sie waren mehr als 40 Jahre Mitarbeiter als Gemeindesekretär und Rechnungsprüfer für Kommunalverwaltungen tätig.

Das Vorgehen der Justiz gegen die ehemalige Parlamentspräsidentin kritisieren Serra und Sabarich als unbegründet, sie habe als Präsidentin der Institució de les Lletres Catalanes gesetzeskonform gehandelt. Das gefällte Urteil sei die Folge einer Kumpanei der politischen Macht, der Justiz und der Medien, denen es darum gehe, die Staatsräson zu schützen. Diese gehe vor, auch auf Kosten der Wahrheit. Die Autoren zitieren aus einem Polizeibericht, laut dem die Ermittler schlussfolgerten, dass sich daraus »kein strafrechtlicher Sachverhalt ableiten lässt«. Die ehemalige ILC-Präsidentin habe gesetzmäßig einen öffentlichen Auftrag vergeben. Die Vergabe des inkriminierten Auftrages sei keinesfalls eine Verwaltungsübertretung und somit auch keine Straftat. Die Autoren zitieren die Richterin des Gerichts, laut der nicht davon ausgegangen werden kann, dass Borras eine Straftat der Falschbeurkundung begangen habe.

Die Durchsicht der Ermittlungsakten ergab, so das Fazit der Autoren, dass es keine Unregelmäßigkeit bei der Vergabe, keine persönliche Bereicherung gegeben hat, wie das auch Urteil bestätigt. Dann gebe es auch keine Korruption. In ihrem Dossier zitieren die Autoren auch das Urteil:

Als Beweis dafür wird uns bereits im Prozess deutlich gemacht, dass die anfänglichen Ermittlungen, die darauf abzielten, die mögliche Begehung eines Verbrechens der Veruntreuung öffentlicher Gelder zu untersuchen, schließlich in sich zusammenfielen, und dass weder für diese Art von Straftat noch für irgendeine andere, aus der sich ableiten ließe, dass irgendeine der Personen, die mit diesen Ereignissen in Verbindung stehen, einen Gewinn oder einen wirtschaftlichen Vorteil erzielt hat, Anklage erhoben wurde. Das bedeutet, dass es keine Aufzeichnungen über einen wirtschaftlichen Schaden für die ILC gibt, der aus diesen Ereignissen resultiert.

Wie aus dem Urteil auch hervor gehe, schreiben die Autoren, wurde Borràs nicht wegen dieser angeblichen Straftat vor Gericht gestellt, obwohl dies sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch von verschiedenen Medien immer wieder behauptet wurde. Der Fall Laura Borràs sei ein drastisches Beispiel für Justizkrieg. Lawfare steht für Krieg gegen den Feind mit juristischen Mitteln, Gebrauch und Missbrauch des Gesetzes, juristischer Krieg, juristische Verfolgung. Der Prozess sei deshalb kein faires Verfahren gewesen, klagen Serra und Sabarich an. Sie verweisen auf Damià Del Clot, der in seinem Buch Lawfare: L’estratègia de la repressió contra l’independentisme català (»Lawfare: Die Strategie der Repression gegen die katalanische Unabhängigkeit«) schreibt:

Schon der Franquismus bediente sich des Gesetzes und der Ausnahmegerichte, um die politische Dissidenz zu vernichten […] Heute ist Lawfare eine Strategie, die die Komplizenschaft der Regierung, der Medien, der Justizakteure und vor allem eines tiefen Staates erfordert, der die Staatsräson schützen will. Und das ist nur möglich, wenn man sich des Straf- und Verfahrensrechts des Gegners bedient.

Schade, dass sich der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Manfred Weber, für diesen Fall nicht interessierte. Stattdessen will er im Zusammenspiel mit der spanischen PP-Gruppe in der EVP-Fraktion die Amnestie katalanischer PolitikerInnen und AktivistInnen als einen Anschlag auf die Rechtsstaatlichkeit verhindern. Mit Borràs bestrafte die spanische Justiz offensichtlich eine enge Vertraute von Puigdemont, Vorsitzende seiner liberal-konservativen Junts per Catalunya. Die Partei hatte im Herbst die katalanische Regierung mit der Linken ERC verlassen. Während Regionalpräsident Pere Aragonès (ERC) im Verhandlungsweg ein Unabhängigkeitsreferendum anstrebt, will Junts die Unabhängigkeit notfalls auch ohne Zustimmung der Zentralregierung in Madrid erreichen.

Seit einer Gesetzesänderung ist gewaltloser Separatismus in Spanien nicht mehr strafbar. Diese Reform hatte die Linksregierung von Pedro Sánchez (PSOE) unter dem Protest konservativer Richter beschlossen. Das von der spanischen Regierung 2017 für illegal erklärte Unabhängigkeitsreferendum war gewaltlos verlaufen. Für Gewalt hatten die eingeflogenen Spezialeinheiten der Guardia Civil gesorgt.


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