Im Jahr 2007 hatten sich die Bürgerinnen der ladinischen Gemeinden Venetiens — Anpezo, Col und Fodom — auf direktdemokratische Weise für die Angliederung an Südtirol ausgesprochen. Das »Souramont« genannte Gebiet war vom faschistischen Regime zum Zwecke der rascheren Assimilierung unter den Einfluss Venedigs gebracht worden, nachdem es über Jahrhunderte zu Tirol gehört hatte. Bis heute sind die sprachlichen und kulturellen Rechte der Ladinerinnen in Venetien praktisch inexistent.
Die Wiedervereinigung der ladinischen Bevölkerung in einer einzigen Region entspräche den Grundsätzen der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, die empfiehlt, administrative Grenzen so zu wählen, dass Minderheiten nicht getrennt werden.
Noch 2010 hatte sich der Präsident Venetiens, Luca Zaia, dagegen ausgesprochen, den demokratischen Willen der drei Gemeinden zu respektieren. Nachdem der Regionalrat im Jahr 2012 einen Antrag verabschiedete, die eigene Loslösung von Italien zu prüfen, scheint jedoch auch wieder Bewegung in diese Angelegenheit zu kommen: Mit den Stimmen von Lega Nord und PDL — aber gegen den Widerstand der Demokraten! — machte der Regionalrat in Venedig gestern den Weg frei, damit das italienische Parlament die gewünschte Angliederung umsetzen kann. Fünf Jahre nach dem Referendum wird die Angelegenheit also (im Sinne des Verfassungsartikels Nr. 132) nach Rom weitergeleitet.
Siehe auch 1›
18 replies on “Souramont: Venetien macht Ernst.”
Interessant wie sich die Dinge oft von einem Tag auf den anderen in eine neue Richtung entwickeln. Da kann man nur hoffen, dass sich die SVP in Rom nun auch mal aktiv für die Angliederung der Gemeinden einsetzt.
Frage: Was sagt die SVP zur Tatsache, dass sich ihr Bündnispartner PD augenscheinlich gegen eine Angliederung der drei ladinischen Gemeinden an Südtirol stark macht?
Wahrscheinlich nix. Leider.
Der PD ist offensichtlich selbst dann gegen die Selbstbestimmung, wenn sie nicht gegen die Verfassung verstößt (im Gegenteil, Art. 132 sieht den Regionenwechsel vor) und nicht die »heilige« nationale Einheit gefährdet. Und der PD ist auch nicht für Minderheitenrechte und für den Respekt eines demokratischen Entscheids, sondern (sogar gegen die Rechten!) für die Beibehaltung eines faschistischen Unrechts. Erschreckend. Und die nennen sich »Demokraten«.
Ich habe den PD in Venetien angeschrieben und warte gespannt auf eine Stellungnahme.
Jetzt habe ich eine Antwort von Sergio Reolon, Regionalratsabgeordneter des PD in Venetien und ehemaliger Präsident der Provinz Belluno bekommen:
Herr Reolon weiß also — gegen deren demokratischen Willen — besser als die Ladiner, was für sie gut ist. Nämlich die Fortsetzung eines faschistischen Unrechts und somit ihr Verbleib bei einer Region, die nicht nur nie etwas für deren kulturellen Fortbestand unternommen hat, sondern auch noch nichtladinische Gemeinden als ladinisch eingestuft hat, um die ladinische Kultur zu verwässern. Wenn sich Grenzen nicht nach sprachlicher, kultureller, religiöser Zugehörigkeit orientieren sollen, ist dann Reolon auch für die Auflösung des italienischen Nationalstaats (oder waren etwa kleine und schwache Minderheiten für »immani disastri« verantwortlich)? Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen beinhaltet ja nicht zufällig das Prinzip, dass administrative Grenzen Minderheiten nicht auseinanderdividieren sollen.
Divide et impera, scheint das Leitprinzip zu sein, dem der PD in Venetien folgt. Die Zersplitterung von ethnischen Minderheiten auf unterschiedliche Verwaltungseinheiten ist eine gängige (nationalstaatliche) Methode um diese zu marginalisieren. (siehe als Beispiel auch die ungarische Minderheit in der Slowakei). Mit fadenscheiniger Argumentation versucht Herr Reolan dieses Prinzip auch noch zu rechtfertigen.
Ich habe Herrn Reolon vier Fragen geschickt:
Ich gehe nicht davon aus, dass ich eine Antwort bekomme, doch vielleicht bewegen ihn meine Fragen wenigstens zum Nachdenken.
Eine erfreuliche Neuigkeit. Interessiert das viele in Südtirol?
Ob das viele Südtiroler interessiert? Naja, ich denke, dass
da einige befürchten, dass die neuen Gemeinden den Italiener-Anteil
in Südtirol erhöhen. Das stimmt wohl auch, aber nur unwesentlich:
In den 3 Gemeinden wohnen etwa 8000 Einwohner. Bei 505.000
Südtirolern macht das grad mal 1,5% aus. Und davon werden sich wohl
etwa 1/3 als Ladiner erklären, also wird der Italiener-Anteil um
etwa 1% steigen. Gemessen an der touristischen Bedeutung dieser
Dolomitentäler aber denke ich, dass sie eine grosse Bereicherung
für Südtirol sind. Und von kulturellen Standpunkt her passen die 3
Gemeinden sowieso besser zu uns als zum Veneto. Die SVP täte ls gut
daran diese Gemeinden willkommen zu heissen.
Sie hat sich schon mehrmals ablehnend geäußert. Leider scheint man nicht mal dazu den Mut zu haben. Kein Wunder, dass mit so einer Partei “kein Staat zu machen” ist.
Meines Wissens ist die SVP ziemlich geschlossen dafür, einschließlich des Landeshauptmanns. Nur der Ladinerlandesrat (!) ist dagegen.
Stimmt, vielleicht fiel daher auch die eine oder andere Wortmeldung aus der SVP zurückhaltend aus, was wohl der Grund für meinen (falschen) Eindruck ist.
Hallo, die Bewohner der 3 Gemeinden sind Ladiner.
Sie fühlen sich als Tiroler und wollten sowohl nach dem 1. als auch nach dem 2. Weltkrieg bei Südtirol bleiben. So jedenfalls die Aussagen von Leuten dort.
Ich habe als Ladiner die Beitrittsbestrebungen unserer Nachbarn zuerst auch argwöhnisch beobachtet. Vor allem, weil ich der Meinung bin, dass sie wenig “ladinisch” sind (und kaum Ladinisch sprechen) und vor allem aus wirtschaftlichem Opportunismus handeln.
Mittlerweile habe ich mich aber davon überzeugt, dass diese 3 Gemeinden historisch, kulturell und touristisch sehr viel mit uns gemensam haben und gut zu uns passen. Also respektiere ich deren Willen Provinz zu wechseln und befürworte die Angliederung.
Die Gefahr ist aber gross, dass nach Cortina und Co. auch die südlicheren Gemeinden zu Südtirol wollen. Einige haben den Willen dazu bereits bekundet. Und nachdem die Provinz Belluno von oben herab “beschlossen” hat (siehe Minderheitengesetz 482/21999), das weitere 36 Gemeinden nördlich von Belluno (z. B. Agordo, Alleghe, Cencenighe, Falcade, …) “ladinisch” sind, obwohl dort nachweislich niemand Ladinisch spricht(!), wird es schwer werden, dieser Bestrebung entgegen zu wirken. Also wehe den Anfängen!
In Col und Fodom wird einer Studie des Istitut Ladin Majon di Fascegn zufolge deutlich mehr Ladinisch gesprochen, als in Gröden (siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Ladinische_Sprache#Status). In Cortina ist das zwar anders, doch (freilich subjektiven, nicht represäntativen) Beobachtungen eines Bekannten von mir, der dort lebt, zufolge steigen Interesse und Kenntnis der Sprache gerade bei den Jüngeren exponentiell an.
Was die »falschen Ladiner« anlangt: Es ist ein Prinzip der Selbstbestimmung, dass auch das Gebiet, an das sich ein anderes angliedern möchte, zustimmen muss. Wenn also zum Beispiel Südtirol für eine Angliederung an Österreich stimmen würde, müsste Wien dem zustimmen, sonst wird daraus nix. Ähnlich kann Südtirol sehr wohl die »falschen Ladiner« ablehnen.
Hallo, jetzt muss ich mich wundern …. Sie haben sich als Nachbar erst jetzt überzeugt? Unsere Nachbarn in Aschaffenburg gehören zum Land Bayern, aber dass sie so babbeln wie wir, weiß ich schon ewig :-)
Ich sehe diese Gefahr eher als irrelevant. So wie pervasion schon angeführt hat, bedarf es für die Angliederung an Südtirol auch die Zustimmung unseres Landes. Col, Fodom und Anpezo sind Teil des historischen Tirols und wurden vom faschistischen Regime aus dieser Einheit herausgerissen. Der Wunsch der drei ladinischen Gemeinden Teil Südtirols zu werden ist somit eine Wiedergutmachung faschistischen Unrechts. Dies trifft bei den “falschen ladinischen Gemeinden” nicht zu.
Fuer die Ueberlebung der Ladiner als Minderheit ist es eine grundsaetzliche Voraussetzung die Angliederung der Suramunt Ladins an Suedtirol und der Region Trentino Suedtirol! Das wuerde unter anderem einen besseren Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Sprachgruppen in Suedtirol ermoeglichen!