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Lebensmittelausgabe für Geflüchtete.
Was falsch gemacht werden kann…

Autor:a

ai

Heute habe ich einige ukrainische Geflüchtete zur Lebensmittelausgabe in Brixen begleitet, die sich in einem Nebengebäude der ehemaligen Reatto-Kaserne¹⁾ befindet.

Und das ist die aktuelle Zugangssituation:

Bild (und Unkenntlichmachung der Nummernschilder) von mir

Der Eingang zur Ausgabestelle befindet sich im Bild auf der rechten Seite, wegen des gesperrten Gehsteigs legal (und ohne Gefahr für die körperliche Unversehrtheit) nur mit dem Auto zu erreichen. Glücklicherweise haben ja alle Geflüchteten ein eigenes Fahrzeug… nicht. Zudem: Kein Schild, kein Hinweis, gar nichts weist auf den Eingang hin. Nur an dem weiter hinten im Innenhof gelegenen Gebäude hängt ein Laken mit einem roten Kreuz.

Seit ich mit der Situation der Geflüchteten persönlich konfrontiert bin, habe ich den Eindruck, dass so ziemlich alles falsch gemacht wird, was nur falsch gemacht werden kann. Sicher tue ich damit einigen auch unrecht, doch bei manchen anderen frage ich mich mittlerweile wirklich, wozu ihnen bei der Geburt ein Denkorgan mit auf den Lebensweg gegeben wurde. So schlampig kann man ja eigentlich gar nicht sein.

Dabei heißt es auch noch, dass die ukrainischen Geflüchteten sogar privilegiert seien und besser behandelt würden als andere. Es geht also sogar noch schlimmer.

Geführt wird die Ausgabestelle in Brixen vom Roten Kreuz. Sie ist auch jetzt, in einer Situation, in der täglich neue Geflüchtete bei uns ankommen, nur einmal wöchentlich (dienstags) von 8.15 bis 11.00 Uhr geöffnet. Am Eingang steht ein kleines Schild mit den Öffnungszeiten auf Italienisch, Deutsch und Arabisch²⁾.

Englisch oder (wegen der aktuellen Situation) Ukrainisch? Fehlanzeige.

Auf die inakzeptable Zugangssituation hingewiesen, die uns übrigens auch abgeschreckt hatte³⁾, antwortete mir eine betagte RK-Mitarbeiterin, dass das aber erst seit zwei Tagen so sei. (Aha… als ob das für die, die heute zur Ausgabestelle kommen, etwas ändern würde.) Wennschon solle ich mich aber an die Gemeinde wenden.

In der gesamten Einrichtung spricht niemand Deutsch, jedenfalls habe ich es mit mehreren Mitarbeiterinnen versucht. Und auch als ich angeboten habe, frisch eingetroffene Lebensmittel schleppen zu helfen, wurde ich erst verstanden, als ich meine Frage auf Italienisch wiederholt habe.

Mit Englischkenntnissen sieht es wohl genauso mager aus, denn zwischen den von mir begleiteten Geflüchteten und den RK-Mitarbeiterinnen musste ich (Englisch-Italienisch und umgekehrt) dolmetschen. Es geht unter anderem um wichtige Dinge wie Lebensmittelallergien, denn die Waren werden nicht von den Empfängerinnen ausgesucht sondern zugeteilt und sind auch keineswegs durchgehend mehrsprachig beschriftet.

Als nach uns die nächste ukrainische Familie an der Reihe war, wurde ich zunächst gebeten, auch für sie zu übersetzen — bis klar war, dass sie ebenfalls jemanden dabei hatte, der Italienisch konnte.

Die von den Geflüchteten zu unterschreibenden Unterlagen sind natürlich nur auf Italienisch. Auch sonst gibt es im Gebäude bis auf die bereits erwähnten Öffnungszeiten am Eingang so gut wie keine mehrsprachigen Hinweise. Ist ja auch bloß ein Ort für Menschen unterschiedlichster Herkunft, die sich hier ein wenig Entgegenkommen und Respekt erhoffen.

Am Ende der Ausgabeprozedur bekommen die Geflüchteten einen Fresszettel, auf dem (wiederum nur auf Italienisch) steht, dass sie erst in zwei Wochen (am 26. April) wiederkehren dürfen. Warum nenne ich es einen Fresszettel? Weil es sich um einen von Hand abgetrennten und entsprechend unansehnlichen Abschnitt handelt. Ich weiß nicht, ob es auch in der Ukraine so schlampig-respektlos zugeht wie hier.

Um die schweren Lebensmittel, die aber wohl kaum für zwei Wochen reichen würden, nicht schleppen zu müssen, habe ich letztendlich doch noch das Auto geholt. So konnten insbesondere die Kinder das Gelände auch verlassen, ohne sich erneut in Gefahr zu begeben. Durch die »bequeme« Lage am Mittelanschluss der Umfahrungsstraße darf man aber nur in eine Richtung ausfahren, und zwar stadtauswärts — wir müssen stadteinwärts.


Nach den letzthin gemachten Erfahrungen (01 02 03…) frage ich mich ehrlich gesagt nicht mehr, warum so wenige Zuwandernde Deutsch lernen, sondern warum es überhaupt jemand macht. Es gibt hierzulande nicht nur keinerlei Anreiz dafür, sondern sogar jede Menge Anreize dagegen. Gerade wenn wir davon ausgehen, dass sich Menschen, die in ein neues Land kommen, zunächst aus (aufwands-)ökonomischen Gründen für eine Sprache entscheiden und nicht mehrere gleichzeitig erlernen. Das Ergebnis sehen wir zum Beispiel in den Schulen.

Dabei bezieht sich meine konkrete Erfahrung auf Brixen und Umgebung — in Bozen und Meran wird es wohl eher noch schlimmer sein.

Siehe auch: 01 02 03 | 04 | 05

1) Efrem Reatto, »Held« des völkerrechtswidrigen faschistischen Angriffskriegs gegen Abessinien (vgl.)
2) um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Arabisch ist keineswegs ein Problem, vielmehr sollten noch mehr Sprachen vorhanden sein
3) mangels Beschilderung und nach dem Motto »dort kann die Ausgabestelle nicht sein, weil man ja gar nicht hinkommt«



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Comentârs

7 responses to “Lebensmittelausgabe für Geflüchtete.
Was falsch gemacht werden kann…

  1. G.P. avatar
    G.P.

    Mir tut regelrecht das Herz weh, wenn ich das lese. Und warum das alles so ist wie es ist?
    1. Die Politik ist – salopp gesagt – hauptsächlich mit sich selber beschäftigt.
    2. Und der Rest ist der “Siamo in Italia”-Mentalität geschuldet.

  2. Stuff avatar
    Stuff

    Die “Siamo in Italia”-Mentalität hat in den letzten Jahren wieder deutlich Auftrieb erhalten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das politisch so gewollt ist, zumal die Annexion jetzt über 100 Jahre her ist. Mittlerweile nehmen es viele Südtiroler als gegeben hin, wer es hingegen hinterfragen möchte, wird fast schon als verdächtig angeschaut. Bin gespannt, was uns zum Hundertjährigen des Faschismus blüht…

  3. donald avatar
    donald

    Wer sprachlich derartig versiert ist und sich um die Belange von Flüchtlingen kümmert, hilft der Sache mehr, wenn er die nötigen Schilder usw. übersetzt, anstelle in einem Blog darüber schreibt, dass sie nicht übersetzt sind.
    Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Hat schon Erich Kästner so behauptet.

    1. Simon avatar

      Okay ich übersetze die Schilder und kritzle die Übersetzung genau wohin? Soll ich dann auch gleich das ganze Land abfahren mit dieser Initiative? Weil das, was ich mit dem Blog erreiche(n möchte) ist eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Problematisierung/Sensibilisierung.

      Geflüchtete zum Beispiel zur Lebensmittelausgabe zu begleiten — oder die Verantwortlichen dort auf die inakzeptable Zugangssituation hinzuweisen — ist nicht genug des Guten? Vielleicht nächstes Mal auch einen Spaten mitnehmen und die Einfahrt verbessern?

      Im Ernst: Wenn es den Willen und die Sensibilität für Mehrsprachigkeit gäbe, würde das Rote Kreuz in Brixen genügend Leute (mich eingeschlossen) finden, die irgendwas auf Deutsch und ggf. Englisch übersetzen könnten. Dass alles einsprachig Italienisch ist, zeugt von absolutem Desinteresse und national(istisch)er Logik. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die die Übersetzungen gar nicht haben wollen… weil sie sie sonst schon hätten.

      1. G.P. avatar
        G.P.

        Genau auf den Punkt gebracht. Bravo!!!

      2. donald avatar
        donald

        In welcher Form Sie sich aktiv beteiligen, muss Ihnen überlassen werden. Tatsache ist jedoch, dass durch aktives Zutun mehr erreicht wird als durch Schreiben auf einem Blog, den – mit Verlaub – nur sehr wenige lesen.
        Die geringe Anzahl der Kommentatoren lässt auf eine ebenso geringe Leserschaft schließen.

      3. Simon avatar

        Um Mutmaßungen über die Größe der Leserinnenschaft überflüssig zu machen, veröffentlichen wir halbjährlich eine Blogstatistik.

        Dennoch lässt sich der Einfluss eines Blogs daran wohl nur bedingt messen. So kriegen wir regelmäßig Rückmeldungen über das, was wir hier schreiben; zudem veröffentlichen wir unsere Inhalte auch in den sozialen Netzen und taggen dabei häufig Entscheidungsträgerinnen, womit sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Beiträge auch von denen gelesen werden, die sie direkt betreffen.

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