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Leben mit noch mehr Verkehr?
Mobilitätsplan

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Zwei gewichtige Planungswerke sollen den Weg in eine klimafreundlichere Zukunft mit weniger Verbrauch von fossiler Energie weisen: der Klimaplan 2040 und der Landesplan für nachhaltige Mobilität 2035, kurz LPNM.

44% der heutigen CO2-Emissionen Südtirols stammen aus dem Verkehr. Das Bild ist nicht vollständig, weil meist auswärts getankt wird, um unser Land zu erreichen oder zu durchqueren. Klar ist: die Klimaneutralität bis 2040 steht und fällt mit der zügigen Reduktion dieser Treibhausgasquelle. So ist es nur konsequent, dass 60 von 157 Maßnahmen des neuen Klimaplans nur den Verkehr betreffen. Doch wird man damit die Ziellinie bis 2040 reißen?

Rein rechnerisch eher nicht. Da ist zunächst der Güter-Transitverkehr auf der Brennerachse. Der LPNM erwartet bis 2040 auf Schiene und Straße zusammen ein Plus von 39,5%, wobei der Lkw-Transitverkehr trotz dann acht Jahre Vollbetrieb des BBT nur um ein Zehntel sinken wird. Dieses Riesenbauwerk wird somit nur das erwartete Wachstum der über den Brenner beförderten Gütermenge von heute bis 2040 halbwegs auffangen, kaum mehr. Güterverkehr belastet, auch wenn 2040 etwas leiser und emissionsärmer.

Dann setzt der Klimaplan das Ziel, den motorisierten Individualverkehr bis 2037 um 30% zu senken. Der Mobilitätsplan will den Verkehr mit konventionellen Nutzfahrzeugen bis 2037 gar um 100% senken, also komplett dekarbonisiert. Laut dem Planszenario 2035 des LPNM wird über die Umsetzung der vielen Maßnahmen eine CO2-Reduktion um 27% erwartet. Somit werden auch nach 2035 noch 73% der heutigen Emissionen in die Luft geblasen. Für den Rest verweist der LPNM auf den Klimaplan, der vorsieht: »Ab 2040 darf es nur mehr emissionsfreien Transport geben« (S.37). Das Wie lassen beide Pläne offen, zumal bis zum 31.12.2034 Verbrenner-Kfz zugelassen werden dürfen und nicht anzunehmen ist, dass in der EU schon in 14 Jahren alle Lkw auf Batterie- oder Brennstoffzellenantrieb umgerüstet sein werden. Das ACI geht von einem Anteil der Elektrofahrzeuge am gesamten Kfz-Bestand von höchstens 13% in 2030 aus.

Dann gibt es noch den touristisch bedingten Individualverkehr. Nirgendwo wird im LPNM auf die über 11 Millionen Pkw eingegangen, die jährlich die Brennerautobahn nutzen. Bei den gut 8 Millionen Südtirol ansteuernden Touristen soll der Anteil der mit Bahn und Bus anreisenden Gäste auf 20% erhöht werden, mehr als eine Verdoppelung der heutigen Quote. Wenn nun die Zahl der Gästeankünfte insgesamt weiter wächst wie bisher, wofür die IDM mit Millionen an Steuergeld eifrig wirbt, wird es unterm Strich beim Volumen des heutigen touristischen Individualverkehrs bleiben. Auch hier setzt der Klimaplan auf Dekarbonisierung. Doch auch E-Mobilität erzeugt Lärm, Staus, verseucht Böden und Gewässer über den Reifenabrieb, beansprucht viel noch fossil erzeugten Strom. Wenn ein Land als autogerechter Rummelplatz vermarktet wird und jeder Gast bis in den hintersten Winkel ein gut gepflegtes Straßennetz nutzen kann, bleibt Südtirol für das eigene Mobil attraktiv.

Völlig unterschätzt wird dabei der Reboundeffekt: Wer ein leistungsfähiges E-Auto und demnächst E-Motorrad hat, fährt billiger und umweltfreundlicher. Die Fahrten nehmen dann eher zu und nicht ab. Wer als Frächter mit Wasserstoff- und E-Lkws arbeitet, wird die teuren Fahrzeuge noch mehr nutzen. Man unterschätzt auch, dass die Dekarbonisierung der Pkw-Flotte weit über 2040 hinaus dauern wird, weil das Zulassungsverbot für Verbrenner erst 2035 in Kraft tritt. Nicht zu vergessen ist der hohe Eigenbestand an Kfz, nämlich gut 550.000 (2021, ff Nr.27/2023). Braucht es wirklich mehr als ein Fahrzeug pro Einwohner? Der LPNM setzt zwar voll auf den »Umweltverbund«, also Ausbau von Bahn, Bus, Fahrrad und Fußgängermobilität, will die Dekarbonisierung, weniger Individualverkehr. Doch warum blendet der LPNM den gesamten Bereich der bis 2035 anstehenden Investitionen in die Straßeninfrastruktur einfach aus? Warum empfiehlt er nur digitale Kontingentierungssysteme für sensible Gebiete und überlastete Städte und gibt sie nicht als Teil der Strategie vor?

Fazit: Der übermäßige Motorisierungsgrad der Einheimischen, weiter steigende Touristenzahlen im Transit und auf den Straßen in Südtirol und weiter steigender Güterverkehr. Ein solches Mengengerüst an motorisiertem Verkehr kann nicht emissionsfrei organisiert werden. Einen Ausweg aus dem Dilemma böte das Slotsystem kombiniert mit Kostenwahrheit und Kontingentierung. Das angepeilte Buchungssystem für den Güter-Transitverkehr auf der Autobahn, Teil des Brenner Digital Green Corridor, könnte theoretisch auch gedeckelt und mit einer Transitbörse kombiniert werden. Wenn dies technisch machbar ist, warum nicht großräumiger ansetzen? Ein digitales gesamtalpines Güterverkehrsmanagement würde zum Ausgleich zwischen der nicht ausgelasteten Gotthardroute (2022: Auslastungsquote bei der Bahn 51%) und der Tauernroute einerseits und der überlasteten Brenneroute andererseits führen und viel klimaschädlichen Umwegverkehr vermeiden. Nullemission bis 2050 ist schließlich auch Ziel der Klimapolitik der EU, Italiens, der Schweiz und Südtirols. Die Kostenwahrheit im Straßenverkehr wäre ein Gebot der Stunde, wenn die fällige Generalüberholung der Autobahn (nicht nur die Lueg-Brücke) Milliarden verschlingen wird. Besucherlenkung würde tatsächlich Touristen bewegen, ihr Stromauto zuhause zu lassen, aber eben nur, wenn zwingend vorgeschrieben. Anhand dieser Planungswerke zeichnet sich ab, dass wir 2040 trotz Klimakrise noch mehr Verkehr als heute haben werden. Da hätte ich mir von einem Plan für nachhaltige Mobilität mehr Gegensteuern erwartet.


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Comentârs

2 responses to “Leben mit noch mehr Verkehr?
Mobilitätsplan

  1. Simon avatar

    Der übermäßige Motorisierungsgrad der Einheimischen

    Der Motorisierungsgrad ist zweifelslos hoch. Wurde aber bei der Zahl von 550.000 Fahrzeugen berücksichtigt, dass viele Autovermietungen ihre Autos in Südtirol anmelden, weil sie hier weniger Kfz-Steuer und vielleicht auch geringere Versicherungsprämien zahlen?

    Auf die zitierte ff-Ausgabe habe ich leider keinen Zugriff… vielleicht wird das dort ja thematisiert.

    1. Thomas Benedikter avatar
      Thomas Benedikter

      Laut ASTAT-Jahrbuch 2022 waren 2019 619.562 Kfz, bei den PKW 90 Stück auf 100 Einwohner, in Südtirol zugelassen. Der Mobilitätsplan schätzt, dass mind. 100.000 Kfz vor allem von den Autoverleihern hier zugelassen sind und anderswo zirkulieren. In Südtirol, dem Trentino und im Aostatal sind die Kfz-Zulassungsgebühren niedriger als im Rest Italiens, weshalb sich diese widersinnige Praxis für die großen Verleiher lohnt. Für diese autonomen Regionen ist diese Regelung blamabel: wegen einiger weniger Mio. Euro an Einnahmen mehr, zieht man die Zulassungen von anderen Regionen ab, und nimmt dann die Überführungskosten in die Einsatzregionen in Kauf. Spielt zwar bei den Emissionen keine große Rolle, doch die finanziell gut ausgestatteten Spezialstatutsregionen haben diese Manöver – im Widerspruch zum Klimaplan – nicht nötig. Notabene: auch 500.000 im Land zugelassene und hier zirkulierende Kfz sind deutlich zu viel.

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