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Urzì will Proporz statt Demokratie.

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Wie unter anderem Rai Südtirol berichtet, hat der aus Südtirol stammende und in Venetien gewählte Parlamentsabgeordnete Alessandro Urzì von den neofaschistischen Fratelli d’Italia im Rahmen der Verhandlungen zur Wiederherstellung der Autonomie mehrere Forderungen eingebracht, die zum Teil eine Aushöhlung des Minderheitenschutzes bzw. sogar eine Pervertierung desselben zugunsten der nationalen Mehrheitsbevölkerung bedeuten würden.

Was das mit einer Wiederherstellung zu tun haben soll, erschließt sich zudem nicht, da es sich im Grunde wiederum um eine Schwächung von Schutzmechanismen handelt, die bei Abgabe der Streitbeilegungserklärung zwischen Österreich und Italien aufrecht waren und nach wie vor sind.

So soll nach den Vorstellungen von Urzì die sogenannte Ansässigkeitsklausel zur Ausübung des aktiven Wahlrechts von heute vier auf nur noch ein Jahr gesenkt werden, was einer gänzlichen Abschaffung dieser Regelung schon sehr nahe kommt.

Ferner sollen italienische Gemeindereferentinnen künftig auch dann berufen werden können, wenn es sich dabei um die einzige Italienerin im jeweiligen Gemeinderat handelt. So eine Kannbestimmung zu Lasten der Minderheit führt dann gerade bei den italienischen Rechten sehr schnell zu einem Anspruchsdenken, das man ihnen nur noch schlecht verwehren kann. Wie sie die anderen Sprachgruppen massivst unter Druck zu setzen wissen, haben sie ja bei der Bestellung der aktuellen Landesregierung eindrücklich bewiesen.

Eine weitere Forderung lautet, fix eine Person italienischer Muttersprache aus Südtirol in den Staatsrat zu berufen. Dass es dort ein Mitglied deutscher Muttersprache gibt, liegt im Minderheitenschutz begründet. Die Berufung eines zusätzlichen Mitglieds italienischer Sprache kann nur jemandem einfallen, der von Minderheitenschutz keine Ahnung hat — oder jemandem, der diesen Schutz bewusst sabotieren will. Die völlige Absurdität erschließt sich in diesem konkreten Fall ja dadurch, dass ein italienisches Mitglied als Repräsentantin einer angeblichen italienischen Minderheit ausgerechnet in ein italienisches Gremium berufen werden soll. Ein logischer Kurzschluss.

Doch die völlige Pervertierung des Minderheitenschutzes stellt die Forderung dar, die Landesregierung auf der Grundlage des ethnischen Proporzes in der Bevölkerung zusammenzustellen. Damit würde man die Wählenden entmündigen, um die staatliche Mehrheitsbevölkerung — die eben keine Minderheit ist, man muss es ja mittlerweile dazusagen — zu schützen. Mit ihrem Wahlverhalten könnten die Südtirolerinnen die ethnische Zusammensetzung der Landesregierung dann gar nicht mehr beeinflussen. Wenn also die Bürgerinnen italienischer Muttersprache nicht wählen gehen oder bewusst Kandidatinnen einer anderen Sprachgruppe in den Landtag entsenden, wirkt sich das fortan nicht mehr auf die Landesregierung aus.

Absurderweise könnten dann nicht nur anteilsmäßig, sondern auch in absoluten Zahlen mehr italienische Mitglieder in der Landesregierung sitzen als im Landtag.

Einschränkungen der Demokratie gehören — wenn auch vielleicht nicht für den Vertreter einer neofaschistischen Partei — zu den heikelsten Eingriffen überhaupt und müssen daher stets wohlüberlegt und wohlbegründet sein. Der Minderheitenschutz kann unter Umständen eine solche Entscheidung rechtfertigen, aber doch nicht der Schutz einer nationalen Mehrheit.

Eine Analogie zur Veranschaulichung: Da Frauen (als zwar nicht minoritäre, aber minorisierte Gruppe) in demokratischen Gremien unterrepräsentiert sind, kann es legitim sein, Maßnahmen zu ergreifen, die ihre Vertretung verbessern. Werden hierzu etwa Quoten festgelegt, müssen sie dennoch immer wieder hinterfragt und auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden.

Was Urzì vorschwebt, ist jedoch ein regelrechter Wahnsinn. Nehmen wir einmal an, in einem fiktiven Staat gäbe es neun Regional- und ein Zentralparlament, in denen fast ausschließlich Männer sitzen. Daneben existiert noch ein zehntes Regionalparlament, wo Frauen traditionell in der Mehrheit sind. Was Urzì nun fordert, ist, ausschließlich in diesem zehnten Parlament eine Quote festzulegen, um die Zahl der Männer an ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung zu koppeln, was ihnen zugute kommen würde.

Man würde ihm berechtigterweise vorwerfen, dass es ihm nicht um eine gerechte Vertretung geht, sondern darum, den Frauen in der Politik zu schaden — ja ihnen den Garaus machen zu wollen.

Im Fall von Südtirol gibt es bei Wahlen keine positive Diskriminierung der Sprachminderheiten. Was Urzì nun stattdessen möchte, ist eine aktive Diskriminierung zugunsten der staatlichen Mehrheitsbevölkerung, und zwar einzig in dem einen Landesparlament auf gesamtstaatlicher Ebene, wo die Vertreterinnen der Titularnation nicht in der Mehrheit sind.

Ein solcher Vorschlag müsste einen Aufschrei nicht nur aller deutsch- und ladinischsprachigen, sondern auch jener italienischsprachigen Südtirolerinnen ergeben, die noch ein Mindestmaß an Gerechtigkeitssinn haben.

Schön langsam frage ich mich, ob die SVP und ihre rechtsradikalen italienischen Partner bei der Wiederherstellung nicht eher an die Autonomie von 1948 als an die von 1972 denken.

An Unverfrorenheit mangelt es Urzì jedenfalls nicht. Doch wen wundert das?

Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06



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Comentârs

2 responses to “Urzì will Proporz statt Demokratie.”

  1. G.P. avatar
    G.P.

    Urzì wird letztendlich auch (fast) alles durchbringen, Kompatscher ist viel zu schwach.

  2. Martin Piger avatar
    Martin Piger

    Kompatscher als Hans im Glück. Er wird die fast leeren Hände, mit denen er dastehen wird, uns Südtirolern schon noch als großen Erfolg zu verkaufen wissen.

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