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Auf dem Rücken der Kinder?
Bildungsdebatte mit schwachen Tricks und scheinheiligen Argumenten

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Während im Moment das lächerliche Gesülze um Katharina Zellers (SVP) Weigerung, sich von Dario Dal Medico (La Civica per Merano) die Trikolore-Schleife umhängen und sich national vereinnahmen zu lassen, die Medien und den öffentlichen Diskurs dominiert, gehen in einem der gesellschaftlich relevantesten Bereiche zumindest bei den Beteiligten bzw. Betroffenen die Wogen hoch.

Südtirols Lehrerschaft (inkl. der Kindergartenpädagoginnen) liegt im Clinch mit der Landesregierung und droht mit Protestmaßnahmen im kommenden Schuljahr, sollten die Rahmenbedingungen nicht ver- und die Gehälter nicht aufgebessert werden. In mehreren Landesteilen haben sich Lehrergruppen formiert, die großen Zulauf haben, und die angekündigt haben, im Schuljahr 2025/26 “Dienst nach Vorschrift” zu machen. Kein Streik und keine Dienstverweigerung wohlgemerkt, sondern einfach nur das tun, wofür sie – mehr schlecht als recht – bezahlt werden. Lehrausgänge, Theaterbesuche, Sportwochen – generell Exkursionen und Projekte – sollen gestrichen bzw. nicht mehr begleitet werden. Schüler- und Elternschaft sind hin- und hergerissen zwischen Solidarität mit den Lehrpersonen und Sorge um das Bildungsangebot im kommenden Jahr.

In der vorgestrigen Ausgabe der Dolomiten wird dazu Landesrätin Magdalena Amhof (SVP) folgendermaßen zitiert: “Ich finde es aber nicht richtig, die Lohndebatte auf dem Rücken der Eltern und Schüler auszutragen.” Christa Ladurner (Allianz für Familie) schlägt in die selbe Kerbe. Und auch von Bildungslandesrat Philipp Achammer (SVP) ist in verschiedenen Medienberichten Ähnliches zu vernehmen, wenngleich sie alle anerkennen, dass die Anliegen der Lehrerschaft durchaus berechtigt sind.

Dass die Lehrerschaft mit ihrer Drohung irgendetwas auf dem Rücken der Kinder austragen würde, ist Bullshit. Das Gegenteil ist der Fall. Der Lehrerschaft geht es um die Rettung des Bildungsstandorts Südtirol und folglich das Wohlergehen der Schülerinnen und Schüler. Es ist vielmehr die Politik, die seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, mit der Zukunft der Kinder – und somit unser aller Zukunft – spielt.

Hier ist das Warum:

Bildung ist einer der zukunftsweisendsten, wenn nicht DER zukunftsweisendste Bereich überhaupt. Die Qualität der Bildung bestimmt wie kaum etwas anderes Erfolg und Misserfolg einer ganzen Gesellschaft mitunter über Generationen hinweg. Wir müssen danach trachten, dass die besten, engagiertesten und kreativsten Köpfe mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten – vom Kindergarten bis zur Matura. Das Bildungssystem steht und fällt mit gut ausgebildeten, motivierten Pädagoginnen und einer finanziellen Ausstattung, die die notwendigen Rahmenbedingungen für modernen, funktionierenden Unterricht schafft. Beides ist in Südtirol massiv bedroht, wenn nicht umgehend gegengesteuert wird.

Südtirols Lehrerinnen sind im Vergleich zu anderen öffentlich Bediensteten, im Vergleich zu anderen Akademikerinnen sowie im Vergleich zu Berufskolleginnen im benachbarten Bundesland Tirol oder im nahen Bayern – von der Schweiz ganz zu schweigen – extrem unterbezahlt. So ist das Einstiegsgehalt einer Lehrperson in Nordtirol (mit vergleichbaren Lebenshaltungskosten) in etwa so hoch, wie das einer Südtiroler Lehrperson mit 35 (!) Dienstjahren. Zum Ende eines Berufslebens verdient eine Lehrperson nördlich des Brenners beinahe das Doppelte wie die Kolleginnen in Südtirol. Und während man in Nord- und Osttirol als Lehrperson wie die meisten unselbstständig Beschäftigten 14 volle Monatsgehälter bekommt, bekommen Südtiroler Lehrerinnen nur 13 und obendrein über den Sommer ein reduziertes Gehalt. (Das Argument “Ja, aber Lehrer haben auch dauernd frei und arbeiten viel weniger als andere” jetzt hier zu entkräften würde den Rahmen sprengen. Nur soviel: Bullshit 01 02)

Während Landesrätin Amhof beschwichtigt, dass es durchaus Inflationsanpassungen gegeben hätte und die Situation nicht so dramatisch sei – dabei aber laut der Initiativen „Bildung am Abgrund“ und „Qualität Bildung Südtirol“ mit unlauteren Zahlen agiere – stelle sich die Lage in der Realität folgendermaßen dar: Zwischen 1999 und 2025 gab es bei Gundschullehrerinnen 68,6 Prozent Lohnzuwachs, bei Mittel- und Oberschullehrerinnen gar nur 51,6 Prozent. Der Verbraucherpreisindex ist indes im gleichen Zeitraum um 82,8 Prozent gestiegen. Wir haben es also zusätzlich zu dem ohnehin schon niedrigen Lohnniveau mit einem massiven Kaufkraftverlust zu tun.

Diese Situation führt dazu, dass die Unterrichtsqualität in Südtirol leidet. Zum einen, weil es für die Lehrpersonen demotivierend ist, unterbezahlt bei immer komplexeren Herausforderungen und gleichzeitig prekäreren Arbeitsbedingungen in der Klasse zu stehen und dafür auch noch angefeindet zu werden und zum anderen, weil der Lehrerberuf in Südtirol an sich an Attraktivität verliert. Eigenartig, wo die Lehrkräfte nach Ansicht vieler doch so paradiesische Arbeitszeiten haben. Südtiroler Lehramtsstudienabgängerinnen, die vielfach in Österreich oder Deutschland studiert haben, bleiben aufgrund der Gehaltssituation vermehrt dort. Und unterqualifizierte Quereinsteigerinnen, die mit dem Leitspruch “Iatz unterricht i halt a Zeitl bis i wos Bessers find, wo i meahr verdian” vor der Klasse stehen, heben das Unterrichtsniveau auch nicht wirklich. Von wegen “Für die Kinder nur das Beste”.

Ein weiteres Unikum ist, dass sich Lehrpersonen ihre Arbeitsmaterialien größtenteils selber finanzieren müssen. Man stelle sich vor, wie ein Unternehmer zur neu eingestellten Bürofachkraft sagt: “Um für uns die Buchhaltung zu machen, bringen Sie bitte Ihren eigenen Laptop mit. Auch Stifte, Papier, Mappen und dergleichen müssen Sie sich natürlich selber besorgen. Und fixen Büroarbeitsplatz bekommen Sie freilich auch keinen. Sie können sich entweder täglich irgendwo einen Platz suchen oder Sie müssen halt nach Hause gehen und von dort aus die Arbeit erledigen. Ich hoffe, Sie haben in Ihrer Wohnung ein Büro. Cool wäre auch, wenn Sie hin und wieder externe Experten zu uns in die Firma bringen und Vorträge für unsere Kunden organisieren. Das Fläschchen Wein oder ein paar Häppchen, über die sich alle bei diesen Anlässen freuen, zahlen Sie aber aus eigener Tasche oder bringen Sie von zu Hause mit.” Absurd? Für Pädagoginnen ist das Realität.

Womit wir bei einem weiteren Brocken wären, mit dem Lehrpersonen in Südtirol mittlerweile vielfach überfordert sind. Durch die in den vergangenen Jahrzehnten massiv gestiegene Heterogenität und Komplexität in den Klassen, funktionieren Betreuungsschlüssel nicht mehr. Wenn in vielen Klassen immer mehr nicht-muttersprachliche Schülerinnen und Schüler sitzen, von denen einige die Unterrichtssprache nicht einmal verstehen, braucht es mehr personelle und finanzielle Ressourcen, um einen erfolgreichen Unterricht für alle Beteiligten garantieren zu können.

Das Personal in Südtirols Kindergärten und Schulen hat seit Jahren auf die oben beschriebenen Problematiken hingewiesen, ist aber immer wieder vertröstet worden. Zudem wurden Zusagen von Seiten der Politik schlicht nicht eingehalten. Dass es nicht schon längst gekracht hat, ist dem Idealismus ganz vieler Pädagoginnen zu verdanken, bei denen das Wohl der Kinder und Jugendlichen an erster Stelle steht – auch wenn sie selbst dabei – salopp gesagt – in Tilt gehen. Mittlerweile sind wir offenbar an einem Punkt, wo nur mehr verzweifelte Aufschreie und Radikalaktionen (Stichwort Goetheschule) die nötige Aufmerksamkeit finden. Nüchternes und sachliches Hinweisen auf das Problem, wie es jetzt über Jahre betrieben wurde, hat nicht funktioniert.

Noch einmal: Die Lehrerschaft trägt keine Lohndebatte auf dem Rücken der Kinder aus. Sie wählt das kleinere Übel, wie auch Alexandra Kienzl in ihrem Salto-Kommentar andeutet, um eine Änderung zu erreichen. Dieses kleinere Übel ist, mit dem Verzicht auf Aktivitäten außerhalb der Schule, die noch dazu mit großer Verantwortung verbunden sind, die nicht honoriert wird, so viel Druck aufzubauen, dass die Dringlichkeit endlich verstanden wird. Das größere Übel wäre nämlich, voller Idealismus und Naivität so weiterzumachen wie bisher, um in ein paar Jahren vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Dann sind es aber nicht mehr bloß ein paar Exkursionen, die ausfallen.

Ich möchte hier keine Neiddebatte vom Zaun brechen. Es ist nämlich eher eine Frage von Prioritäten. “Unsere Kinder sind das Wertvollste, was wir haben” ist ein Satz, den man immer wieder hört und dem ein großer Teil der Eltern wohl zustimmen würde. Wie kommt es dann, dass wir jenen Menschen, denen wir unsere Kinder anvertrauen, viel weniger Geld zahlen als jenen, denen wir unser Geld anvertrauen? Und wieso sollen dann eher Spitzenbeamte Lohnerhöhungen im Ausmaß von Jahresgehältern von Lehrkräften erhalten, bevor die Vergütung Letzterer an die Inflation angepasst wird – von einer substanziellen Erhöhung der Bezüge ganz zu schweigen.

Die Politik muss verstehen, dass wir langfristig Geld sparen, wenn wir in gute Bildung investieren. Ganz nach dem Motto: “If you think, education is expensive, try ignorance.” (Derek Bok)

Disclaimer: Ich bin zwar an einer (Privat-)Schule beschäftigt, jedoch nicht als Lehrer, sondern als Bediensteter mit “normalen” Arbeits- und Urlaubszeiten, da nur ein kleiner Teil meiner Arbeit jene mit Schülerinnen und Schülern betrifft.

Cëla enghe: 01 02



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Comentârs

2 responses to “Auf dem Rücken der Kinder?
Bildungsdebatte mit schwachen Tricks und scheinheiligen Argumenten

  1. Wolfgang Mayr avatar
    Wolfgang Mayr

    Treffend analysiert und formuliert

  2. Sudabeh Kalantari avatar
    Sudabeh Kalantari

    Vielen Dank für den wertvollen Beitrag und die sachliche Analyse. Leider organisieren sich zur Zeit nur die LehrerInnen. Bei den Fachkräften im Kindergarten rührt sich (wieder einmal) nichts!

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