Christian Pfeifer analysiert in der Südtiroler Wirtschaftszeitung (SWZ) vom 17.01.2014 in einem Kommentar die Sendung Porta a Porta mit dem Moderator Bruno Vespa und dem zugeschalteten Gast aus Südtirol, Arno Kompatscher. Dabei kommt er zu einigen kuriosen Rückschlüssen:
Das Argument, dass Südtirol aus Gründen des Minderheitenschutzes eine gut ausgestattete Autonomie zusteht, zieht bald 100 Jahre nach der Annexion nicht mehr
Will wohl heißen, nach beinahe 100 Jahren sollte man eigentlich soweit assimiliert sein, um nicht mehr Sonderrechte geltend zu machen oder zumindest nicht mehr automatisch einen Status zu beanspruchen, der autonomer ist, als eine normale Provinz.
Auf die Idee, dass der Nationalstaat in den knapp 100 Jahren seit der Annexion genügend Zeit gehabt hätte sein Verhältnis zu kulturell und sprachlich von der Titularnation unterschiedlichen Regionen zu klären oder sich wirksam zu föderalisiern, kommt der Kommentator nicht.
Nun — was ist zu tun nach den geballten Angriffen aus den RAI-Studios und der allgemeinen Stimmung in Italien, die auf einen neuen Zentralismus hinausläuft und die Sonderautonomien als privilegiert betrachtet?
Südtirol – und damit sind nicht nur die Politiker gemeint – muss davon abgehen, sein “Recht” auf die Autonomie zu betonen und vielmehr auf jeder sich bietenden Bühne dieses Südtirol erklären.
Die Existenzberechtigung der Autonomie läge diesem Gedankenansatz folgend nicht mehr in verbrieften Rechten, einem internationalen Vertrag oder einer sprachlich und kulturellen Sondersituation. Besorgniserregend, dass Pfeifer so leichtfertig den rechtlich/moralisch/historischen Aspekt der Südtirolautonomie in Frage stellt, also die Existenzberechtigung schlechthin für unseren Sonderstatus innerhalb eines Nationalstaates.
Das Erklären unserer besonderen Region im Sinne einer professionellen Außendarstellung ist sicher nützlich. Trotzdem wäre eine Verpflichtung zum andauernden Erklären eine brüchige Basis für unsere Autonomie.
Als Kommentator einer Wirtschaftszeitung sollte man spätestens hier, schon aus rein ökonomischen Gründen, zum Schluss kommen, dass dieses andauernde Erklären ein immenser Ressourcenverlust ist. 500.000 Südtirolerinnen müssen einem 60-Millionen-Staatsvolk andauernd ihre Situation erklären. Marketingmäßig ein David-gegen-Goliath-Spiel, zudem Ressourcen, die wir wesentlich produktiver in die Zukunft unseres Landes investieren könnten. Und hier denken wir noch gar nicht daran, was passiert, wenn plötzlich die Kräfte und die Motivation zum andauernden Erklären nachlassen, die Sehnsucht nach nationalstaatlicher Normalität überhand nimmt und den Weg Richtung normale Provinz weist. Ein Aspekt, der hier nicht unerwähnt bleiben soll ist die vielfach gescheiterte Außendarstellung von Südtirols Unternehmen, wenn sie auf dem italienischen oder internationalen Markt tätig sind. Da fehlt vielfach sogar der Mut, einen historischen Ortsnamen zu verwenden oder sonst einen klaren Südtirolbezug herzustellen — also wo erklären die Stammleser der SWZ Südtirol? Wo wirbt die SWZ bei ihren Stammleserinnen für eine Außendarstellung, die zum besseren Verständnis unserer Sondersituation beiträgt?
Abgesehen von diesen Aspekten möchte ich abschließend ein Zitat des Aufklärers, Philosophen und Schriftstellers Johann Gottfried von Herder anbringen:
Heimat ist dort, wo ich mich nicht erklären muss.
In diesem Sinne kann ein Nationalstaat, wo ich zum andauernden Erklären verdammt bin, nie der richtige Rahmen für eine mehrsprachige Region oder einer von der Titularnation abweichenden sprachlichen/kulturellen Realität sein. Vielleicht sollten wir Rom vor allem diesen Aspekt erklären, aber soweit reicht die Analyse der SWZ (momentan noch) nicht.
29 replies on “Zum Erklären verdammt.”
Ich denke, wenn man sich dauernd rechtfertigen muß, egal ob jetzt vor der “spending review” oder vor einem drittklassigen Moderator, dann stehen unsere Rechte sowieso auf wackeligen Beinen. Durnwalder hat in den letzten Monaten seiner Amtszeit gesagt, daß wir unsere Autonomie immer werden verteidigen müssen, sein Nachfolger ist erst wenige Tage im Amt, und schon muß er sie vor einem Millionenpublikum verteidigen. Man brauch nicht abergäubisch zu sein, um darin ein schlechtes Omen zu erkennen.
Wir werden also nicht “nur” zum Erklären, sondern auch weiterhin zu einer Verteidigungshaltung gezwungen sein, die unsere Politik, unsere Gesellschaft und -sehr geehrter Herr Pfeifer- auch unsere Wirtschaft lähmen wird….
Da hat dieser unglückselige Mensch gar nicht einmal so unrecht, denn:
Kein Volk kann auf Dauer unterjocht werden, wenn es nicht irgendwie an seiner Unterjochung mitwirkt!
(Mahatma Gandhi)
Diese von der STF organisierte Abstimmung sagt ganz klar schwarz auf weiß, dass lediglich etwas über 50.000 Südtiroler eine Selbstbestimmung wollen, der Rest gibt sich mit dem Status Quo zufrieden, oder waren ganz einfach zu faul, zur Abstimmung zu gehen, was auf dasselbe herauskommt.
401.000 Südtiroler und Innen sind wahlberechtigt.
Von diesen stimmten (nur) 56.000 für eine Selbstbestimmung.
Das Verhältnis ist somit- 1 : 6,16
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Heißt das jetzt, dass 345.000 wahlberechtigte Südtiroler und Innen keine Selbstbestimmung wollen?
Fast möchte man meinen!
Ein Volk das UNBEDINGT eine Selbstbestimmung will, verhält sich anders als die Südtiroler und Innen!
Unterjochung? Sind die Südtiroler unterjocht? Diesen Eindruck habe ich nicht. Wir wollen mehr Eigenverantwortung übernehmen, wir passen nicht in ein nationalstaatliches Korsett… aber unterjocht sind wir nicht. Wenn wir das behaupten würden, würden wir uns lächerlich machen.
Wenn dies der Maßstab wäre, wollte die Menschheit wohl allgemein fast gar nichts. Wann beteiligen sich denn Menschen zu mehr als 15% aktiv zu irgendeinem Thema… fast nie.
@ HANS
mir kommt vor, du sitzt auch ziemlich viel im warmen kämmerlein und schreibst dir die finger wund, anstatt im winter in die natur rauszugehen, wie es sich für einen tiroler gehört. liebe grüße von der rodelbahn.
Hoppla – neuer Argumentationsstil?
Du meinst wohl (ganz gegen EUREGIO) Südtiroler gehört ;)
@ bzler
sorry. hin und wieder platzt mir der kragen. und das sieht dann so aus :-)
… dem geschätzten Wolfgang meine uneingeschränkte Zustimmung (Wort für Wort) zu seinem Beitrag zum Aspekt “sich immerzu verteidigen zu müssen”!
Wolfgang hat mit dem brillanten Beitrag erinnert, dass er wohl so etwas wie eine “weiße Ameise” darstellt.
Die überwiegende Meinung vor allem jener die eigentlich und beruflich dazu berufen sind, da kommt einfach nichts!
Solche Pfeif…, – äh ich meinte solche Pfeifers gibt es nicht nur in den Redaktionen, nein in allen Gesellschaftsschichten wie Sand am Meer!
Es ist also immer sehr mühsam, in der wohl immer noch satten Südtiroler Gesellschaft auf einen grünen Zweig zu kommen, ganz nach dem hier und gestern erinnerten Gedanken von Philipp Blom: “in Europa will niemand Zukunft, weil alle wollen, dass die Gegenwart nicht aufhört!”
… auch wenn ich nerve … – ich meinte mit grünen Zweig natürlich eine fällige Weichenstellung, für die Zukunft unseres Landes Südtirol (mit oder ohne Nordtirol/Trentino)!
-Hat Südtirol als autonome Provinz Italiens ein Zukunft ?
-Was wenn Letta hinschmeißt ?
-Mit Renzi alles wieder von vorne ?
-Wann endlich wollen wir zumindest in Erwägung ziehen, dass wir ohne Italien “vielleicht doch” besser aufgehoben sind ? !
… und noch ein Hinweis:
http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/fernsehen/bilder-von-der-zeitenwende-1.18221932
… vielleicht eine nützliche Hilfe dabei, darüber nachzudenken was uns das Nationengehabe bereits alles beschert hat und ob man weiterhin der Meinung sein muss, dass es dabei bleiben soll ? !
Die SWZ hat ja schon vor 1-2 Jahren auf der Titelseite/story mit der Loslösung von Italien geliebäugelt und das vor allem aus wirtschaftlicher Hinsicht. Scheinbar hat die Redaktion dann aber von oben, bzw. politischer Seite auf die Mütze bekommen, da sie sich eine Ausgabe später rechtfertigen musste, überhaupt so etwas frevelhaftes zu schreiben.
In dieser Hinsicht kann man den Kommentar als vorauseilenden Gehorsam sehen, was das Ganze aber nur noch jämmerlicher erscheinen lässt.
PS: Ich schätze die SWZ sonst sehr und bin auch Abonnent.
Bei diesem Artikel in der SWZ ist der Name des Verfassers leider Programm…
Unterjochung? Sind die Südtiroler unterjocht?
Natürlich ist Südtirol nicht unterjocht, das waren sie bis 1972.
Warum z.B. haben nicht alle die für eine Selbstbestimmung eintreten sich mit der STF kurzgeschlossen, und gemeinsam ein solches Referendum gestartet?
Die Gegenseite hingegen hat dies sehr wohl und ausgiebig getan- wenn auch getrennt.
Wenn die SVP und die Grünen eine Selbstbestimmung verweigern,
was spricht dagegen, wenn die beiden Befürworter einer Selbstbestimmung dennoch
GEMEINSAM ein Referendum organisieren?
Hätten die STF nicht alleine, sondern zusammen mit den Freiheitlichen zum Referendum aufgerufen, wie hätte das Ergebnis dann ausgesehen?
Fragen über Fragen …
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Nun mal angenommen:
Die Freiheitlichen hätten zusammen mit der STF ein Referendum gestartet, warum hätte z.B. der Simon dennoch nicht daran teilgenommen?
Doch nicht etwa, weil er- so wie alle Linken- sein linkes/grünes Ego über dem Gemeinwohl der Freiheits- Bewegung (Sezessionsbewegung) stellt?
Ich bin überzeugt, wenn die Grünen hinter verschlossenen Türen und nur unter Ihresgleichen zur Abstimmung aufrufen würden, der Simon samt BBD – Genossen würden denen die Tür einrennen!
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Wenn Pfeifer Recht hat, dann sieht man das Verhalten der SVP in einem andern Licht.
Aus Pfeifers Aussage kann man aber auch schließen, dass es nun 100 Jahre nach der Annexion höchst an der Zeit ist, keine Zeit und Hoffnung mehr an einer gut ausgestatteten Autonomie zu verschwenden, sondern gleich an einen unabhängigen Staat Südtirol zu arbeiten!
Aber warum arbeiten in Südtirol alle nur für sich alleine und nicht alle gemeinsam an einem gemeinsamen Hause Südtirol?
Ganz so ist es nicht. In Südtirol arbeiten viele an diesem Haus. Und es gibt dort auch viele Architekten, Ingenieure und Träumer die Planen und Konstruieren.
Aber es fehlt weit und breit an einem Baumeister. An einem Macher, der die Bauleitung übernimmt und mit der Autorität eines Fachmanns die vielen Architekten, Planer und Träumer sicher und richtig ordnet und einsetzt. Etwa so ähnlich wie ein Dirigent ein Orchester leitet.
Servus Tirol!
forderungen nach einem starken mann sind mir suspekt.
Jaja die Vergangenheit die nicht vergehen will hahaha
Ein Orchester ohne Dirigent funktioniert halt weniger gut, als eines mit! Gell!! haha
Und der Bau eines Hauses geht halt auch schneller und koordinierter (und in Folge auch billiger) über die Bühne, wenn ein starker Mann/Frau die Musik vorgibt.
Simon der Architekt wird mir bestätigen, dass ein starker Mann beim Hausbau schon seine Vorteile hat, wenn es darum geht, die einzelnen Handwerker, Ingenieure, Planer und Techniker auf Linie zu bringen. Das geht nicht mit gutem Zureden und mit endlosen Endlos- Diskussionen.
Im kuschligen Büro schöne Fantasiebauten entwerfen, kann jeder Depp nach 2 Semester Studium. Aber einen Haufen Handwerker, Träumer, Konstrukteure… …siehe oben!
All das vermisse ich an der Baustelle Republik Südtirol!
So werde ich wohl noch sehr lange warten müssen, bis ich endlich ins Haus Republik Südtirol einziehen kann…
Hoffentlich warte ich nicht vergebens, denn es soll schon vorgekommen sein, dass ein Hausbau auch vorzeitig wieder ohne den gewünschten Erfolg abgebrochen und beendet wurde …
Servus unkoordinierte Baustelle Tirol!
ach. da brauch ich keine vergangenheit. es gibt auch im hier und jetzt genügend “starke männer”, ohne die es uns viel besser ginge. echt komisch, dass viele staaten mit “starken männern” bruchbuden geblieben sind (nordkorea ist nur ein extrembeispiel) und staaten, die auf dialog begründet sind, schmucke häuschen sind (stichwort skandinavien).
@hunter:
Lieber hunter, in kommunistischen Staaten findest du NUR Bruchbuden! Und nach einigen Zeiten werden diese Staaten selbst zu Bruchbuden! Extrembeispiel DDR
Und dialog dazu gibt es schmucke Häschen in der kapitalistischen bösen BRD
Vllt. ist der Begriff “Leitfigur” besser geeignet als “Starker Mann”. Ich vermute mal, dass ohne Leitfiguren, wie etwa Mandela oder Gandhi, Südafrika oder Indien nicht die entsprechende gesellschaftliche Entwicklung erlebt hätten.
stimmt. aber wieso sollte die brd böse sein?
… es ist von “Baumeister” und “Dirigent” die Rede …
was wir nicht brauchen sind Schreiberlinge! – Mit Verlaub!
Was ich nicht brauche sind Leute die mir vorschreiben wollen, was ich brauche. Mit Verlaub.
Und soweit ich weiß hat noch jede Revolution mit einer Idee begonnen und nicht mit einem Dirigenten oder Baumeister.
Dirigenten und Baumeister stützen sich auf Baupläne bzw. Partituren, die von deinen geliebten “Schreiberlingen” verfasst werden … um in der Metapherwolke zu verbleiben.
Ganz abgesehen davon, dass keine Revolution je von einem einzigen Menschen ausgegangen ist. Diese Glorifizierung entsteht erst im Lauf der Geschichte durch Interpretation und durch Verdichtung derselben.
danke m.gruber.
sonst hätte ich das wieder schreiben müssen.
Gerade eine demokratische Revolution, ein demokratischer Umbruch kann wohl kaum von einer einzelnen Person ausgehen.
Bei Hans habe ich den Eindruck, er möchte gerne hinter seinem Ofen warten, bis andere ihm das Nest bereitet haben, in das er sich dann reinsetzen kann.
Als mittlerweile österr. Staatsbürger mit Familie im Bundesland Tirol kann ich nicht mehr viel für euch tun… Wenn doch, dann lasst es mich wissen!
Obwohl es das gleiche bedeutet, finde auch ich “Leitfigur” besser als “Führer” oder “Duce” (letztere haben einen historisch-bedingten schlechten Beigeschmack)
Francesco Palermo laut Rai Sender Bozen: “Südtirol müsse sich an gesamtstaatlichen Debatten beteiligen, nicht immer nur fordern.”
Ist dies der Weg zu einer normalen Provinz?
Lantagsabgeordneter Paul Köllensberger (5*) im Gespräch mit Senator Berger (SVP) Tageszeitung Online TV 24.1.2014:
“Trotzdem werden wir ganz, ganz hart zu kämpfen haben, überhaupt das hinüber zu retten was wir heute haben. Vollautonomie glaube ich, mit so einem Wahlgesetz (Italicum) können wir uns morgen definitiv abschminken.”
Berger hat dieser Aussage nicht wirklich widersprochen.