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Gerichtspräsidentin will Deutsch vor Gericht schwächen.

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Anfang Mai war eine Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatut erlassen worden, derzufolge Bewerberinnen fortan bei öffentlichen Stellenwettbewerben zumindest einen Teil der Prüfungen in der Sprache absolvieren müssen, deren Gruppe sie sich zugehörig erklärt haben — und für deren Quote sie die Stelle besetzen möchten.

Die Bozner Gerichtspräsidentin Francesca Bortolotti zeigte sich wenige Tage später gegenüber dem Corriere (Südtirolbeilage vom 9. Mai) wenig begeistert — um es mit einem Euphemismus zu sagen. Aus der Feststellung, dass die Justiz wie das Gesundheitswesen zu den essentiellen Diensten zähle, zog sie vielmehr die Schlussfolgerung, dass die Zweisprachigkeit aufgeweicht werden müsse.

Dabei ist Deutsch vor Gericht schon heute eine absolute Seltenheit: Angaben von Stefan Tappeiner, dem Präsidenten der Strafsektion am Bozner Landesgericht zufolge, werden dreißig Jahre nach Wiedereinführung der Zweisprachigkeit nur 10% bis 20% der Strafprozesse auf Deutsch geführt.

Es wären Maßnahmen nötig, um diesen Anteil anzuheben.

Im Interview mit dem Corriere gab Präsidentin Bortolotti jedoch zu bedenken, dass auch viele Deutschsprachige im Studium nie mit der Rechtsterminologie in deutscher Sprache in Kontakt kommen, selbst wenn sie in Innsbruck studieren, wo Italienisches Recht in Zusammenarbeit mit der Universität Padua angeboten wird. Als wäre das normal. Mit einer Wettbewerbsprüfung in ihrer Muttersprache wären sie demnach überfordert. Doch anstatt daraus den Schluss zu ziehen, dass dringend nachzubessern wäre1durch Änderungen im Studium und/oder durch Wettbewerbsvorbereitungskurse, um das Recht der Bürgerinnen auf Gebrauch der eigenen Sprache vor Gericht sicherzustellen, schoss sie sich unter anderem auf die neue Durchführungsbestimmung ein.

Hoffentlich ist die Justizbehörde nicht schon mit der Abhaltung zweisprachiger Stellenwettbewerbe überfordert.

Darüber hinaus bemängelte Bortolotti jedoch auch, dass Richterinnen aufgrund der sogenannten Cartabia-Reform in der Phase vor dem Urteilsspruch nicht mehr mit den Anwältinnen sprechen dürfen — um unter anderem den Verzicht einer Seite auf Übersetzungen vereinbaren zu können. Man kann sich vorstellen, zugunsten welcher Sprache solche Abmachungen ausfallen.

Arme Justiz, die doch den Bürgerinnen ihre verbrieften Rechte so gerne verweigern würde und sich nun darin behindert sieht. Doch ich bin mir sicher, es werden neue Wege gefunden, um bei der unangefochtenen Vorherrschaft der lingua nazionale zu bleiben. Die passende Mentalität scheint in den Gerichtsämtern vorhanden zu sein.

Siehe auch: 01 02 03 04 05 06 07 | 08

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    durch Änderungen im Studium und/oder durch Wettbewerbsvorbereitungskurse


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Comentârs

2 responses to “Gerichtspräsidentin will Deutsch vor Gericht schwächen.”

  1. artim avatar
    artim

    Es ist zu hoffen, dass Justizministerium und Consiglio Superiore della Magistratura zuständigkeitshalber, aber auch die Politik handeln. Die Aussagen muten mehr als befremdlich an. Nicht nur, weil eine Richterin der Ethik und dem Gesetz (d.h. auch der ratio legis) verpflichtet ist, damit in einem Staat, Menschen, Bürger-innen auch mit (ethnischen) Minderheitenhintergrund zu ihrem Recht kommen.
    Man kann LH Arno Kompatscher nur beipflichten, als er 2019 in seiner Rede auf Schloss Tirol vor Staatspräsident Sergio Mattarella und Bundespräsident Alexander Van der Bellen, das friedliche Zusammenleben und einen respektvollen Dialog angemahnte. Es habe sich bestätigt, dass die Schutzinstrumente wie Gleichstellung der Sprachen, Stellenproporz, muttersprachlicher Unterricht allen drei Sprachgruppen die notwendige Gewissheit geben, nicht übervorteilt zu werden. Dieser Schutz und diese Sicherheit seien die solide Basis für ein Aufeinanderzugehen, das aus einem friedlichen Nebeneinander ein sich wertschätzendes Miteinander werden lasse.

  2. Stuff avatar
    Stuff

    Mit Schliessung der gut funktionierenden, Aussenstellen vor fast 10 Jahren, wurde ein großer Schritt Richtung “Bolzanisierung” unserer Provinzjustiz gemacht. Seither gibt es, außerhalb des Provinzhauptortes, keine Berufsrichter mehr. Den Bozner Anwälten ist es nur recht, jetzt bleibt der Kuchen dort, wo er eh schon immer hingehörte und das Unbehagen, sich gelegentlich in einen anderen Landesteil bewegen zu müssen, bleibt ihnen erspart.

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