Gestern gingen in den beiden größten Städten des Landes, Bozen und Meran, die Stichwahlen um das Bürgermeisterinnenamt über die Bühne. Dabei spielte in der Landeshauptstadt die deutsche Sprache praktisch keine Rolle.
Während der knapp siegreiche Rechtskandidat Claudio Corrarati immerhin auf Deutsch antwortete, wenn er von deutschsprachigen Medien befragt wurde, fiel der Bürgermeisterkandidat von Mittelinks, Juri Andriollo (PD), dadurch auf, dass er in einer der zwei »gleichwertigen« Amtssprachen der Stadt, die er regieren wollte, im gesamten Wahlkampf so gut wie kein Wort über die Lippen gebracht hat.
Zumal mir Demokratie wichtiger ist als Minderheitenschutz, wäre Andriollo aus meiner Sicht trotzdem das bei weitem geringere Übel zwischen den beiden Kandidaten gewesen. Dass es aber noch immer möglich ist, Teil der politischen Führungselite in diesem Land zu werden, »ohne« Deutsch zu beherrschen, finde ich bemerkenswert und skandalös.
Außerdem sagt es auch viel über den Status der beiden Amtssprachen Deutsch und Italienisch aus. Es ist ein Witz, dass manche behaupten, Italienisch sei in Südtirol die eigentliche Minderheitensprache, denn in keiner einzigen Gemeinde könnte es sich die Bürgermeisterin, ja noch nicht einmal ein einfaches Gemeinderatsmitglied leisten, kein Italienisch zu beherrschen.
Während sich im Vorfeld der Stichwahl von 2020 die beiden Kontrahenten Renzo Caramaschi und Roberto Zanin — nachdem sich letzterer zunächst verweigert hatte — doch noch auf Deutsch duellierten, war auch das meines Wissens diesmal nicht der Fall. Eine öffentliche Debatte auf Deutsch zwischen den Stichwahlkandidaten wird den Bewohnerinnen der Gemeinde mit der (absolut) größten deutschsprachigen Bevölkerungszahl in Südtirol vorenthalten.
Obwohl der Anteil der deutschen Sprachgruppe an der Gesamtbevölkerung der Landeshauptstadt seit 1991 immer nur gesunken ist, 2011 sogar wieder den Wert von 1981 unterschritten und 2024 erstmals nicht mehr die psychologische Grenze von einem Viertel erreicht hat, ging es im Wahlkampf auch inhaltlich nie um die Minderheitensprache Deutsch und generell um sprachpolitische Maßnahmen auf kommunaler Ebene.
Seit Jahren verfolge ich die Politik in mehreren Minderheitengebieten wie Galicien, Baskenland, Katalonien, Québec oder Wales: dass Sprachpolitik zur Förderung der jeweiligen Minderheitensprache im Wahlkampf praktisch keine Rolle spielt, ist meiner Beobachtung zufolge aber ein Südtiroler Unikum.
Cëla enghe: 01
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