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Deutsche Bank Research zur Sezession.

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Deutsche Bank Research (DBR) hat einen Bericht veröffentlicht, der sich den Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen in Europa widmet. Genauer unter die Lupe genommen wurde von den Autoren die Situation in Katalonien, Baskenland und Navarra (derzeit zu Spanien), Südtirol und Venetien (derzeit bei Italien) sowie Schottland (Vereinigtes Königreich) und Flandern (Belgien). In der Untersuchung wurde ausdrücklich der wirtschaftliche Aspekt in den Vordergrund gestellt, während die politische, die emotionale und die kulturelle Komponenten weitgehend ausgeklammert wurde.

Vermutlich handelt es sich dabei um eine gute Entscheidung, zeigen Sätze wie dieser doch, wie wenig Ökonomen bisweilen von kultureller und politischer Sensibilität verstehen:

Die gelegentlich von Nationalisten [sic] vorgebrachte Behauptung, sie würden im Zentralstaat diskriminiert werden, erscheint oft kaum nachvollziehbar. Immerhin sind diese Regionen Teil pluralistischer Demokratien, und die freie Ausübung fundamentaler Grundrechte wird zudem von der EU und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte garantiert.

Solche Aspekte sind in politischen Betrachtungen wie jenen der SWP wohl besser aufgehoben.

Dass es vor allem die wirtschaftlich stärkeren Regionen sind, die nach Unabhängigkeit streben, wird gemeinhin mit Egoismus gleichgesetzt. In der DBR-Studie ist dagegen davon die Rede, dass die Sezession Risiken birgt, »die ökonomisch schwache Regionen kaum eingehen können.«

Jedoch sind diese Risiken für kleinere Länder paradoxerweise gerade aufgrund der europäischen Integration geringer geworden. Schließlich reduziert der Zugang zum gesamteuropäischen Binnenmarkt und die Option auf die Mitgliedschaft in der Eurozone einige der fundamentalen Nachteile, denen sich Länder wie etwa Luxemburg, Malta, Zypern und die baltischen Staaten sonst gegenübersehen würden.

Dies hat auch der schottische First Minister Alex Salmond immer wieder betont, wiewohl Länder wie Malta und Zypern bis vor wenigen Jahren weder in der EU noch im Euroraum waren und dennoch überlebensfähig waren. Die Tatsache, dass kleinere Regionen wesentlich mehr auf gemeinsame Institutionen angewiesen sind, als größere Nationalstaaten, spricht auch dafür, dass sie im Falle ihrer Unabhängigkeit den Einigungsprozess eher beschleunigen, denn behindern würden. Deshalb halte ich auch den Titel der DBR-Studie (»Alleine sind wir stark?«) für irreführend.

Der Wunsch nach mehr Autonomie wird jedenfalls nach Auffassung der Autoren »auch in den kommenden Jahren nicht abebben.«

Ein wiederkehrendes Argument gegen die Abspaltungsbewegungen ist, dass die entstehenden Länder aufgrund ihrer geringen Größe, neben anderen Problemen, auf Staatenebene relativ bedeutungslos wären. Ein Blick in die EU zeigt aber, dass viele der Regionen im Vergleich zu bestehenden EU-Ländern gar nicht so wenig Gewicht hätten.

Dies gilt freilich für Länder wie Katalonien und Flandern eher, als für Südtirol. Doch es gibt durchaus noch kleinere Volkswirtschaften in der EU, als es unser Land eine wäre.

Was den Umfang regionaler Finanzautonomie betrifft, so gehört Italien zu den Ländern, in denen die Regionen die geringste Rolle bei Festlegung und Einhebung von Steuern haben, während sie — vor allem durch die Verantwortung für das Gesundheitssystem — wesentlich mehr Ausgaben zu schultern haben, als in anderen Ländern. Hier macht sich also eine Entkoppelung der Verantwortlichkeiten bemerkbar.

Was die Umverteilung betrifft, wird bezüglich Südtirol ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass unterschiedliche Berechnungsmethoden dazu führen können, dass Südtirol aufgrund der geringen Bevölkerung als Nettoempfänger wahrgenommen wird. Es wird auf eine Studie von Ambrosanio et al.* verwiesen, die diesen verzerrenden Faktor als einzige bereinigt:

Dass Trentino-Südtirol und das Aostatal gemäß der meisten Studien zu den größten Nettoempfängern zählen, liegt an der komplexen Berechnungsmethode und der relativ kleinen Bevölkerungszahl. Der Unterschied erklärt sich größtenteils dadurch, dass Ambrosanio et al. hierbei den sogenannten “benefit approach” verfolgen. Dadurch werden Ausgabenkategorien, die öffentliche Güter zum Nutzen aller Italiener darstellen, nicht dort verbucht, wo sie geographisch anfallen, sondern allen Regionen proportional zugerechnet. Das betrifft etwa die staatliche Verwaltung, die primär in der Hauptstadt Rom anfällt, aber auch die Landesverteidigung, die überproportional hohe Ausgaben in Grenzregionen verursacht und aufgrund der geringen Bevölkerung in Südtirol und dem Aostatal beim sogenannten “cost approach” dort als hoher Nettotransfer auftaucht.

Das Fazit der DBR-Studie lautet, dass man sich die Unabhängigkeit leisten können muss — wobei implizit nahegelegt wird, dass dies auf die betrachteten Regionen zutrifft. Allerdings bin ich der Meinung, dass sich die Kosten der europäischen Regionalisierung auch für wirtschaftlich schwächere Gebiete weiter senken lassen werden, je weiter sie gegebenenfalls voranschreitet. Es liegt auf der Hand, dass eine Union kleinerer Gebilde Organisation und Logistik, also auch die Kosten für Auslandsvertretungen oder Landesverteidigung (falls überhaupt erforderlich) an die Unionsebene delegieren werden, wodurch sogar größere Synergieeffekte auftreten würden, als in den heutigen — international gesehen relativ kleinen — Nationalstaaten.

*) Ambrosanio, M., Bordignon, M., und Cerniglia, F.M. (2010). Constitutional Reforms, fiscal decentralization and regional fiscal flows in Italy. In N. Bosch, M. Espasa und A. Solé Ollé (eds.). The Political Economy of Inter-Regional Fiscal Flows, S. 75-107. Cheltenham, Edward Elgar.



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