Was der AVS mit privaten Geldern nicht durfte, mit unseren Steuergeldern durchgefütterte Tourismusvereine tun es einfach (und zwar mit größerer Außenwirkung und ohne das Einschreiten von Ministerinnen und Präfekten). Im Laufe der letzten Jahre hat sich eine haarsträubende Entwicklung sogar noch intensiviert, die man als neutolomeisch bezeichnen könnte: Ganze Tourismusregionen haben in Südtirol beschlossen, historische und von der Bevölkerung mehrheitlich gebrauchte Ortsbezeichnungen einfach per Handstreich auszulöschen. Das widerspricht nicht nur der weltweiten Tendenz, sondern hat auch nichts mit der vielbeschworenen Authentizität zu tun, von der Marketingfachleute gerne schwafeln. Ob südländisch klingende Ortsbezeichnungen für eine Bergregion überhaupt einen Mehrwert bringen, sei mal dahingestellt — Kulturgut darf ohnehin nicht für die kurzfristige Bereicherung einiger weniger zur Disposition stehen.
Das Vorgehen der Touristikerinnen wirft vielmehr ein grundsätzliches politisches Problem auf, das von den Regierenden bisher einfach ignoriert wurde: Der Fremdenverkehr hat hierzulande eine so starke Präsenz, dass er den Alltag der Bürgerinnen massiv beeinflusst. Wenn also private Tourismusvereine das Geld der Bürgerinnen einsetzen, um ohne demokratische Legitimierung einen schwerwiegenden Eingriff in ein derart wichtiges, öffentliches Kulturgut (wie die Bezeichnung von Ortschaften und ganzen Regionen) vorzunehmen, kann durchaus von schwerem Missbrauch gesprochen werden. Über kurz oder lang wird sich die Bevölkerung der von »Marketingfritzen« verordneten Realitätsmanipulation nicht entziehen können. Dass dies gerade für Minderheiten eine höchst sensible Angelegenheit ist, muss hier nicht ausgeführt werden.
Was für die Beschilderung von Wanderwegen gesagt wurde, muss also genauso für die Benennung ganzer Destinationen gelten: Das ist eine hoheitliche Aufgabe der Politik, die sich ihrer Verantwortung nicht weiter entziehen darf!
7 replies on “Demokratie oder Privatverein?”
Bravo für diesen Beitrag. Die haarsträubende Praxis der Tourismusvereinigungen Gebietsbezeichnungen einfach zu erfinden, oder in allen Sprachen außer Deutsch nur die tolomeischen Ortsnamen zu verwenden, muss endlich thematisiert werden.
Die Tourismusvereine finanzieren sich unter anderem durch Steuergelder – die Politik muss die angeprochenen Missstände deshalb klären. Unabhängig davon ist es grotesk und schäbig, dass Marketingleute, die sonst gerne unsere unverfälschte Kulturlandschaft, das geschichtliche Erbe, die Traditionen und lokalen Bräuche in ihren Hochglanzprospekten bewerben, nicht in der Lage sind mit Namen zu arbeiten, die historisch gewachsen sind und von der lokalen Bevölkerung auch benützt werden.
Vor einer Woche habe ich die Wachau bereist. Die Wachau wurde vom Reisemagazin der National Geographic Society im Jahre 2008, unter 110 historischen Plätzen, an erster Stelle gelistet. Nachzulesen unter folgendem Wikipedia Eintrag, http://de.wikipedia.org/wiki/Wachau
Hier der entsprechende Eintrag:
“Das angesehene Reisemagazin National Geographic Traveller der National Geographic Society stufte in seinem letzten Rating (November 2008) von 110 historischen Plätzen weltweit die Wachau an erster Stelle.[4][5][6] Kriterien der Beurteilung der Destinationen durch Ökologen, Geographen und Tourismusforscher war “die Bewahrung des historischen Charakters und […] ihre Unversehrtheit trotz Massentourismus”[7]”
Vielleicht klingelt es beim einen und anderen Südtiroler Tourismus-Marketingexperten langsam. Aber vielleicht brauchen wir uns über derartige Auszeichnungen auch keinerlei Gedanken machen. Wer nicht mal in der Lage ist zu seinen historischen Gebietsbezeichnungen zu stehen, wird wohl kaum für wirklich renommierte Auszeichnungen in Frage kommen. Alta Pusteria, best historic destination läßt grüßen.
30 Silberlinge. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Geld regiert die Welt und für Südtirol gilt dies scheints besonders. Für Geld “prostituieren” wir uns für die Touristen, des Geldes wegen wird jede Art der Provokation, Konfrontation oder nötige Aufarbeitung unterlassen (könnte der Wirtschaft/Tourismus schaden) und Höhepunkt ist nun dass wir uns für Geld die “Vollautonomie” erkaufen.
Man tut fast schon einem Judas unrecht hier Vergleiche zu ziehen, beschämend.
Hier ist schlichtweg absolute Kulturlosigkeit am Werk. Ich hatte mehrmals das Vergnügen, touristische Vermarktungskonzepte durchzulesen, was hier einem durchschnittlich begabten Menschen zugemutet wird, geht über die Grenze der Erträglichkeit weit hinaus. Neudeutsche Begriffe (natürlich aus dem Englischen) werden wahlos hineingestreut und sollen die vorherrschende Konzeptlosigkeit kaschieren. Dass zum Beispiel die Ladiner ihre eigene Identität komplett kaschieren ist damit umso verständlicher, obwohl sie es am einfachsten hätten und einfach ihre Namen nur einsprachig in Ladinisch vermarkten könnten.
Martha Stocker kritisiert Val Gardena.
Ein interessanter und lehrreicher Artikel zu diesem Thema:
Quelle.