Rund ein Viertel der Ärztinnen, die im Südtiroler Gesundheitsbetrieb tätig sind, haben keinen Zweisprachigkeitsnachweis und sind demnach nicht imstande, das Recht auf Muttersprache zu gewährleisten — in einem Kontext, in dem Menschen besonders schwach und verletzlich sind.
Nun erfährt man vom Generaldirektor ebendieses Betriebs, Thomas Schael, dass man nicht etwa versucht, dieses Problem in den Griff zu bekommen — sondern vielmehr, dass beabsichtigt wird, massiv weitere einsprachige Ärztinnen einzustellen. Die Losung lautet, dass »Gesundheit vor Zweisprachigkeit« geht, doch dahinter versteckt sich die Abwicklung eines Grundrechts, das die Existenzgrundlage unserer Autonomie darstellt.
In Wirklichkeit ist »Gesundheit ohne Zweisprachigkeit« in einem Land wie dem unserem kaum menschenwürdig hinzubekommen. Auch in der »Strategy for the National Languages of Finland« wird zum Beispiel ausdrücklich darauf hingewiesen, dass besonders im Sicherheits- und Gesundheitsbereich — als zentrale Bereiche des menschlichen Lebens — auf ausreichende Kenntnis beider Amtssprachen zu achten sei.
In Südtirol ist leider das genaue Gegenteil der Fall:
- Laut Astat-Sprachbarometer von 2014 wurde den Südtirolerinnen am häufigsten im Gesundheitswesen (26,9%) das Recht auf Gebrauch der Muttersprache verweigert, dicht gefolgt von den Carabinieri (26,2%). An dritter Stelle folgt Polizei (18,2%). Gesundheit und Sicherheit.
- Die Zweisprachigkeitspflicht gilt oft gerade dort nicht — oder wird dort missachtet — wo es sprichwörtlich »um Leben und Tod« geht: Bei den Packungsbeilagen von Medikamenten, dem Hinweis auf Gifte und sonstige Lebensgefahren sowie bei der Etikettierung von Lebensmitteln, einschließlich Informationen für Allergikerinnen.
Und jetzt werden wir uns wohl auf eine weitere Verschlechterung im öffentlichen, von uns allen finanzierten Gesundheitswesen einstellen müssen. Schon bald könnte es sein, dass wir für ein psychologisches Gespräch (um einen Bereich zu nennen, wo sprachlichen Nuancen eine besonders große Wichtigkeit zukommt) in der eigenen Muttersprache privat bezahlen müssen.
Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 | 1›
10 replies on “Gesundheit oder Zweisprachigkeit.
Abwicklung eines Grundrechts”
Leider ist das erst der Anfang. Ich habe gehört, dass bei der derzeitigen Hausarztausbildung nur zwei Südtiroler dabei sind. Die übrigen sind aus Restitalien. Gleichzeitig möchten viele Südtiroler Medizin studieren, kommen aber nicht rein. Verrückt, wir gehen offenen Auges in ein Desaster.
Zwei von ungefähr wievielen?
Bezieht sich die Kenntniss der Sprache nur auf “italienische ” Ärtzte oder auch auf solche aus dem Deutschsprachigen Raum? Mir , obwohl ich dabei keine Probleme hätte, ist eben passiert, im Krankenhaus Bruneck, nur auf Deutsch angesprochen zu werden.
Ich beziehe mich auf beides, so wie die Zahl aus dem Sprachbarometer. Nach Sprachgruppen aufgeschlüsselt gaben 31,9% der Deutschsprachigen und 8,8% der Italienischsprachigen an, dass ihnen in »Sanitätseinheiten und Krankenhäusern« das Recht auf Muttersprache verweigert wurde.
Das kann man fast als Kriegserklärung der Landesregierung und der Sanotät sehen. Man will umbedingt Konflikte provozieren.
… man könnte fast meinen, man wäre auf der Zielgeraden, – um der lästigen Zweisprachigkeitspflicht endlich und womöglich für immer einen Tritt zu verpassen! – “So viel italienisch wird man im zwei/dreisprachigen Land wohl können!?”
Als Jahrgang 1950 und in einem Handwerksbetrieb aufgewachsen war es für mich bereits im Volksschulalter (u. A. hatte ich Telefondienst) selbstverständlich, die Kunden in Ihrer Muttersprache zu bedienen, als Akt der Höflichkeit und als logische Konsequenz im Gebrauch von Fachbegriffen!!
Dies und ein ordentliches Alltagsitalienisch haben mir stets geholfen, einen guten Umgang mit unseren italienischen Mitbürgern zu pflegen.
Umgekehrt erwarte ich ebenfalls, jeweils meine Muttersprache gebrauchen zu können!!!
Im Handel und Gastgewerbe erlebe ich immer öfter (beim Eintritt in den Laden oder in die Bar) auf meinen Gruß, dass einfach in der “lingua franca” fortgesetzt wird! – Dabei kann man das Lokal ja verlassen, in der Sanität jedoch, wenn ich dabei die notwendigen, entsprechenden Fachbegriffe nicht parat habe, was dann?? – Wie fühlt sich der Patient? – Wie “betroffen” fühlt sich der akademisch gebildete, behandelnde Arzt? – Im vielsprachigen Europa …!?!?!
In einem privatisierten System würde zu so einem Missstand nicht kommen
In fortschrittlicheren Ländern wird schon länger an der Umsetzung der sog. “Gender-Medizin” gearbeitet. D.h. Ärzte werden speziell geschult, im Gespräch mit Männern oder Frauen die unterschiedlichen Nuancen zu unterscheiden, mit denen jedes Geschlecht seine Beschwerden beschreibt, damit die Symptome des Patienten richtig interpretiert werden können.
In Südtirol entdeckt man hingegen, dass der Arzt den Patienten überhaupt nicht zu verstehen braucht…
Ich empfehle hier allen erstmal über den Tellerrand zu blicken.
1) gibt es einen Ärztemangel in ganz Europa (seit 5-10 Jahren)
2) rund 1/3 der Fachärzte werden in 5-10 Jahren in Rente gehen
3) sind beispielsweise in Deutschland mittlerweile flächendeckend (mit Ausnahme vielleicht in Hamburg, Berlin, München, etc.) Ärzte tätig die aus dem osteuropäischen Bereich, Balkan oder aus den “arabischen” Ländern stammen (hierzu empfehle ich den Besuch von Homepages jeglicher KH in NRW)
4) ergeben sich aus Punkt 3 teilweise massive (einsprachige!) Verständigungsprobleme zwischen Arzt-Patienten z.B. in Deutschland (zahlreiche Berichte sind leicht zu googlen)
5) hinsichtlich dessen lebt man in der Südtiroler Traumwelt auch nur anzunehmen, dass das sog. “patentino” (diese Prüfung ist an sich sowieso schon lange zu hinterfragen!) weiterhin der Standard in Zukunft sein wird
6) haben wir bezüglich dem Thema “Gesundheit” vor allem eine italienische Gesetzgebung und Rechtsnormen (rein öffentliches Gesundheitswesen, Ausschreibungen, etc.) die extrem schwerfällig ist und eine Reaktion auf “Zukunftsthemen” nur schlecht und verlangsamt zulässt
7) sind unsere (Südtiroler) Entscheidungsträger für den Sanitätsbetrieb (Politik – Regierung und Opposition!) ahnungslos was eine moderne Gesundheitsversorgung bedeutet. Der SABES hat über ein Jahrzehnt Entwicklungen einfach verschlafen (Duo Theiner/Fabi), die Politik hat sich als Entscheidungsträger nicht gekümmert und den Trott gewähren lassen – die Rechnung wird uns heute präsentiert
8) gibt es in der Bevölkerung (und auch bei bbd) die Meinung, dass jedes KH weiterhin alles anbieten soll (kann es zwar nicht …. da 1) kein Personal 2) die Medizin heute komplexer geworden ist wie 1960 ….aber egal) so wie es immer war …. – Thema Geburtshilfe, Tumor Ops, etc.
9) sind die finanziellen Anreize für (normale) Fachärzte anderswo wesentlich größer (nicht jeder verdient 200.000 brutto im Jahr ) – diejenigen armen Seelen die sich breitschlagen haben lassen hierzulande ihre Weiterbildung zu machen verdienen 1600 brutto/Monat – haben kaum Rechte wie andere Angestellte (z.B. bei Schwangerschaft) und zudem jetzt neu wird die Facharztausbildung unter Umständen nicht angerechnet …
10) verdienen Primare hierzulande im Vergleich zu Ö oder BRD ein übliches Gehalt (habt ihr euch schon mal gefragt warum sich auf Primarstellen nur mehr wenige bewerben?) ein kleiner Unterschied liegt auch darin dass
11) die Gehälter anderswo nicht alle 2 Monate medial/sozial thematisiert und die große Neiddiskussion beginnt
man könnte hier wahrscheinlich 30 Punkte schreiben – aber ich will niemanden langweilen:
ums zusammenzufassen: in Zukunft könnt ihr perfekt zweisprachige (“patentino” geprüfte) Fachärzte vergessen. Es war ein schöne Zeit …. (außer es gibt einen SABES, Politik, Gesellschaftswandel …. das wird schwer)
Ist mir bekannt.
In Südtirol? In Europa?
Daran ist nichts auszusetzen.
Allerdings glaube ich kaum, dass rund ein Viertel der ÄrtzInnen nicht die Sprache(n) der PatientInnen sprechen.
Der Zweisprachigkeitsnachweis ist mir im Grunde egal, es können auch andere Regelungen greifen, die die Zweisprachigkeit sicherstellen. Mit Sicherheit jedoch wurde in Südtirol während der letzten Jahrzehnte verabsäumt, eine Sprachpolitik in die Wege zu leiten, die diesen Namen verdient.
Das ist wahrscheinlich ein erheblicher Teil des Problems, doch leider wurde auch diesbezüglich offensichtlich nicht ausreichend unternommen, um eine eigene Gesetzgebung zu ermöglichen. Wie in sehr vielen anderen Bereichen auch.
Genau das kritisieren wir hier in Bezug auf die Sprache.
Woraus schließt du, dass wir der Meinung sind, dass jedes Krankenhaus alles anbieten soll? Ich bin gegen die Aushungerung der Bezirkskrankenhäuser und vor allem dagegen, dass wir aufgrund gesamtstaatlicher Regelungen nicht selbst entscheiden können, was für Südtirol gut ist. Aber deshalb noch lange nicht dafür, dass alle alles anbieten müssen.
Auch das ist in einem reichen Land wie diesem ein Versäumnis der Politik (und zudem wohl ebenfalls Folge dieser staatlichen Zugehörigkeit). Ein Land, das schon rein sprachlich mit Deutschland, Österreich, Schweiz konkurriert, muss die Möglichkeit und den Willen haben, ÄrztInnen exzellente Konditionen anzubieten.
Sie verdienen ein übliches Gehalt?
Ja, der Kostensenkungsfetisch — den wir übrigens nicht unterstützen — und der Neid kosten uns sicher einiges an Qualität.