Die ehemalige österreichische Außenministerin findet den Westen unerträglich und wandert nach Russland aus
Der westliche Andrang beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg hielt sich in überschaubaren Grenzen. Der russische Kriegspräsident Putin lud die Welt zu sich ein. Es kamen die üblichen Verdächtigen, die Schurken und Gangster, wie die abgehalfterten, korrupten und gewalttätigen sandinistischen Alt-Revolutionäre aus Nicaragua, die brutalen Militärs von Myanmar, die Freunde aus der Volksrepublik China sowie aus arabischen, afrikanischen und einigen asiatischen Ländern.
Unter den wenigen westlichen Angereisten befand sich Karin Kneissl. Sie, in der türkis-blauen Ära Außenministerin des SVP-Freundes Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), zählte zu den wenigen handverlesenen westlichen Gästen.
Das ist keineswegs überraschend. Zu ihrer Hochzeit lud Kneissl Präsident Putin ein, tanzte mit ihm heiter und beschwingt und schenkte dem Kreml-Diktator einen unterwürfigen Knicks. Seit ihrem Ausscheiden aus der österreichischen Politik tauchte sie in die »russische Welt« unter, war kurzfristig Aufsichtsrätin des russischen Ölkonzerns Rosneft und anschließend Kolumnistin des Propagandasenders Russia Today. Der Inbegriff der »Lügenpresse«.
Russland, Opfer?
Beim Forum langte Kneissl mit ihren Thesen dann auch kräftig zu, zur Freude ihres Freundes Putin. Österreich habe Russland verraten, tönte die Ex-Außenministerin. Viele Österreicher hätten viel Geld mit Russen verdient, sie hätten Villas entworfen, gebaut oder renoviert, erzählte Kneissl. »Aber leider haben Ärzte in Österreich im vergangenen Jahr russische Patienten nicht mehr behandelt, weil sie Russen gewesen sind«, warf die ehemalige Ministerin der Republik Österreich österreichischen Ärzten ohne jede Beweise Diskriminierung vor. Sie bestätigte damit die Thesen des Kriegspräsidenten, der Westen sei russophob.
Die Ministerin a.D philosophierte munter weiter. Sie stellte fest, dass sich eine wachsende Zahl an Menschen im Westen von westlichen Werten verabschiedet und sich russischen Werten zugewandt hätten. Also weg von Liberalismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und hin zu Religion, Familie, Großfamilie, gegen Abtreibung und sexuelle Selbstbestimmung, starker Staat samt starkem Führer usw. Diese wachsende Anzahl wolle nach Russland übersiedeln. Meinte sie damit die FPÖ– und AfD-Wähler, die Wähler des französischen RN, Vox und Fratelli d’Italia? Die Südtiroler Freiheitlichen und die Südtiroler Freiheit?
Die wachsende Anzahl sei nicht damit einverstanden, dass ihr Alltag von »gewissen Minderheiten« bestimmt werde. Kneissl ließ offen, wen sie damit meinte. Wahrscheinlich jene, die niemals in dieses Russland emigrieren würden, wie Schwule, Lesben, Queere, Nicht-Binäre, also jene, die das christliche Abendland gefährden. Dazu zählen auch Demokratinnen und Demokraten, Gewerkschaftsaktivistinnen und -aktivisten.
Russland, Auswanderungsziel für Westeuropäer?
Die ehemalige Außenpolitikerin mutierte auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg gar zu Migrationsforscherin. Es gebe eine alte Tradition für Migrationsströme aus Europa nach Russland, und diese könnten nun revitalisiert werden. Kneissl dachte an die Religionsflüchtlinge aus Mitteleuropa, vielleicht an die Wolgadeutschen, denen Stalin während des Zweiten Weltkrieges das Genick brach. Seit den 1970er Jahren verließen die Nachfahren dieser verunglimpften »Deutschen« fluchtartig Russland in Richtung Deutschland, um dort inzwischen massenhaft die pro-russische AfD zu wählen.
Die derzeit im Libanon lebende Kneissl plant in St. Petersburg die Gründung eines Russland-Thinktanks. Am vergangenen Freitag präsentierte sie mit dem Rektor der St. Petersburger Universität das neue Institut. Das an der Petersburger Uni angesiedelte Zentrum werde sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung Russlands, seiner Energieunabhängigkeit, Fragen von Migration sowie mit russischer Außenpolitik beschäftigen. Die Universität würdigte die künftige Institutsleiterin, sie werde ihre reiche diplomatischen Erfahrung einbringen. Das Institut werde mit akademischen Thesen die russische Politik begleiten.
Opfer Kneissl
Wegen ihrer Russlandnähe habe sie einen Kollateralschaden erlitten, beklagte Kneissl den heftigen Widerspruch gegen ihre pro-russische Positionierung. Sie sei gar aus der EU geworfen worden, sei deshalb ein »politischer Häftling«. Rechte lieben die Opferrolle. Das angeblich ÖVP- und FPÖ-nahe Online-Magazin exxpress, die harmlose Umschreibung für ein rechtspopulistisch versuchtes Magazin, berichtete von Hassattacken gegen Kneissl. Deshalb flüchtete sie in den Nahen Osten, in den hoch aufgeladenen libanesischen »Hexenkessel«. Exxpress listete die Beschimpfungen im Web auf, »wüste Angriffe auf den Social-media-Plattformen und persönliche Anfeindungen.« Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine war Karin Kneissl harten Hassattacken ausgesetzt, solidarisierte sich exxpress mit der derart heftig Angegriffenen. Die politische Verfolgung machte exxpress am EU-Druck auf Kneissl fest, ihren Aufsichtsratsposten bei Rosneft aufzugeben.
Noch mehr exxpress, »Qualitätsjournalismus der besonderen Art«: »Aber auch das brachte keine Reduzierung der Angriffe: In Interviews sprach Karin Kneissl von “einer Hexenjagd” und von “systematischen Verleumdungen”. Selbst in Südfrankreich, wo sie mit ihren Hunden und Pferden als “politischer Flüchtling” (O-Ton Kneissl) lebte, fühlte sie sich nicht mehr sicher.«
Kneissl, eine Tragikomödie
Hans Rauscher analysierte schon vor einem Jahr im Standard die Politkarriere von Karin Kneissl als eine Tragikomödie. Die Ex-Außenministerin gebe nur Bizarres von sich, kanzelte Rauscher verschiedene O-Töne der einstigen Spitzendiplomatin ab. Sie stünde in Österreich »jenseits des Gesetzes«, sei »politisch verfolgt«. Kneissl galt als Außenamtsmitarbeiterin als schwierig, hielt Vorträge unter anderem vor der FPÖ und wurde so Ministerin. »Weil es für sie eine Genugtuung war, weil die FPÖ niemand anderen hatte und weil es Sebastian Kurz wurscht war.«
Die politische Karriere von Kneissl bewertete Rauscher als eine traurige Geschichte mit grotesken Begleiterscheinungen: »Aber der Punkt ist, wie so jemand Außenministerin der Republik Österreich werden konnte. Und woher eine FPÖ und eine Kurz-ÖVP, die uns solche Minister(innen) beschert haben, die Frechheit nehmen, diesen Staat regieren zu wollen,« wollte Rauscher wissen. Wie es ausschaut, wird bei den nächsten Nationalratswahlen in Österreich die FPÖ stärkste Partei werden. Die Kickl-Freiheitlichen haben sich klar definiert, wie auch Karin Kneissl. Gegen die EU, gegen die NATO, für Putin und sein Russland. Mit dann besten Verbindungen nach Moskau. Gute Nacht Österreich.
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