In Südtirol ticken die Uhren anders, das wissen gerade wir Selbstbestimmungsbefürworterinnen ganz genau. Denn während die Selbstbestimmung welt- und europaweit ein linkes (und grünes) Thema ist — nicht zufällig bilden Ökosoziale und Selbstbestimmungsbefürworter (Europäische Freie Allianz) im Europaparlament eine gemeinsame Fraktion — ist es in Südtirol gerade für die (meisten) Linken und Grünen ein rotes Tuch. Dies hatte etwa auch im Vorfeld der Abstimmung in Schottland absurde Allianzen zur Folge.
Ein weiteres Beispiel sei das Koalitionsverhalten der Grünen im Bozner Stadtviertel E-Neu, wo sie in meinen Augen ihre restliche Glaubwürdigkeit verloren haben. Erst kürzlich hatten wir kritisiert, dass der angeblich progressive PD in ebendiesem Stadtviertel — zusammen mit der Volkspartei — den Lega-Vertreter Giacomazzi ins Amt des Vorsitzenden gewählt hatte. Nun stellt sich nach anfänglichen Zweifeln heraus, dass auch die Grünen Teil dieses demokratischen Trauerspiels sind, weil nämlich auch die grüne Vertreterin Carla Leverato diesen Herrn gewählt hat, dessen Partei in Italien mit CasaPound (CPI) und in Europa mit dem Front National gemeinsame Sache macht.
Es stimmt zwar, dass mit Caterina Foti (AAnC, mitunterstützt von CPI) und Franco Giacomazzi nur zwei »Unwählbare« zur Auswahl standen. Aber muss man zwischen Faschismus und Faschismus wirklich wählen? Kann man nicht zweimal dagegen stimmen, sich enthalten? Zumal Herr Giacomazzi rechnerisch auf Leveratos Stimme gar nicht angewiesen war, um die Wahl zu gewinnen.
Noch ein paar Hinweise:
- Giacomazzi wurde im ersten Wahlgang gewählt, das ist kein Signal für irgendwelche Schwierigkeiten, die man ihm durchaus hätte bereiten können. Es war ein Durchmarsch.
- Laut Sitzungsprotokoll wurde Sandro Trigolo von CasaPound zum Stimmenzähler ernannt. Ausgrenzung und politische Ächtung offen antidemokratischer Bewegungen sehen anders aus; da wurde der Bock sogar noch zum Gärtner gemacht.
- Während der Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Stadtregierung hatten dieselben Bozner Grünen den Bürgermeister — in meinen Augen zu Recht — vor einer opportunistischen Koalition mit der rassistischen Lega gewarnt. Wie passt das nun aber zusammen?
- Wegen eines Kaufhauses hätten die Grünen fast die Mehrheit platzen lassen — und drohen nach wie vor damit. Die Unterstützung der Lega scheint weniger Probleme zu bereiten… Prioritäten eben.
Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 / 1›
18 replies on “Unappetitliches grün-grün.”
wenn das stimmt – und ich nehme an, du hast das überprüft – dann ist das der hammer.
in österreich haben die grünen jene scharf kritisiert, die einen rechtsradikalen zum nationalratspräsidenten machen
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20090415_OTS0271/eure-schande-heisst-martin-graf
sind auf die straße gegangen
protestieren im parlament
http://www.vol.at/gruene-anti-graf-aktion-im-parlament/news-20090630-02263446
und stellen gegenkandidaten als “kampfansage” auf
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/252979_Gruene-Kampfansage-an-die-Rechten-im-Parlament.html
in bozen wählen die grünen einen rechtsradikalen vertreter einer xenophoben partei zum stadtviertelratspräsidenten.
carla leverato ist übrigens trägerin des verdienstkreuzes des landes tirol: http://www.selbsthilfe.bz.it/wdb.php?site=%7BSITE%7D&lang=de&modul=org&action=new_v&b=140&oid=58
eine frau, die sich im sozialwesen verdient gemacht und vieles geleistet hat. umso unverständlicher diese entscheidung.
Um ehrlich zu sein — ich habe keine Bestätigung erhalten. Aber es geht sich im Stadtviertelrat rein rechnerisch nicht anders aus.
Im Stadtviertelrat sitzen:
Giacomazzi hat sieben Stimmen erhalten, Foti vier.
1.Die Grünen lehnen Selbstbestimmung ab. Wenn Du richtig liegst, dann sind die Grünen also nicht links.
2.Die STF, die Freiheitlichen befürworten die Selbstbestimmung. Wenn Du immer noch richtig liegst, dann sie also nicht rechts.
Verwirrend, oder?
Guckst du, ich schrieb auch, dass die Uhren in Südtirol anders ticken.
Beauftragt die GrünInnen mit der Quadratur des Kreises, sie werden es schaffen…
Die österreichischen GrünInnen stehen unseren ins Sachen Selbstbestimmung um nichts nach.
Ich glaube, die Uhren ticken in deutschsprachigen Ländern etwas anders. (Ich nehme mal ohne genauere Recherche an, dass es in der BRD ähnlich aussieht)
Ska Keller…
Die Sache ist doch ganz einfach, wenn man mal den Mechanismus dahinter verstanden hat:
Deutsch = Schlecht
(Sieht man ja in der Griechenlandfrage aktuell sehr gut)
In Südtirol muss man also gegen die Selbstbestimmung sein, weil dann Deutsche einen Vorteil erhalten könnten.
In Deutschland/Österreich hingegen, wo die Deutschen in der Mehrheit sind, kann man offen für die Selbstbestimmung eintreten, da die Minderheiten ja nicht deutsch sind und somit ruhig ihre Position verbessern können. Selbiges gilt, wenn eine Deutsche für das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen eintritt. Ich bin überzeugt, wäre Katalonien mehrheitlich deutschsprachig, fiele das Engagement Ska Kellers deutlich geringer aus…und stünde beispielsweise der Juchtenkäfer im Mittelpunkt.
@Steve Ich dachte mir, von einer Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in Südtirol täten am meisten die Südtiroler profitieren… ;)
@ola:
Selbstverständlich profitierten alle Südtiroler, aber die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung doch deutlich mehr, da nur sie unter der nationalstaatlichen Logik und deren Auswirkungen zu leiden haben (werden). Diese Auswirkungen wurden in diesem Blog schon hinreichend beschrieben und müssen an dieser Stelle nicht nochmals ausgebreitet werden. Also in Summe würden die Deutschen mehr gewinnen als die Italiener, was in den Köpfen der Grünen als deutscher Sieg zu werten wäre (auch wenn, wie du schon sagtest, am Ende alle mehr oder weniger gewinnen würden) und somit natürlich zu vermeiden.
Ich hoffe, es ist klar, dass meine Beiträge mit einem Augenzwinkern zu verstehen sind (auch wenn ich mich gelegentlich nicht des Eindrucks erwehren kann, mit dieser Einschätzung dem grünen Wesen recht nah zu kommen…).
Dann hoffen wir, dass Ska Keller im Namen ALLER Grünen der BRD spricht.
ich hab da auch so eine perle der kohärenz gefunden:
Ich habe gekündigt – Hermann Trebo, Bozen
hermann trebo kündigte 2009 sein dolomiten-abo, da die zeitung im zuge der volksabstimmung (in der es um u.a. um die stärkung der direkten demokratie ging) einseitig negativ über dieses direktdemokratische instrument berichtet habe. gleichzeitig stört trebo, dass die dolomiten – angeblich überproportional (!?!?!) der idee der selbstbestimmung raum gegeben haben.
mensch möchte ich einmal auch derart akrobatische intellektuelle spagate reißen können.
Ich habe es gespürt, kommen sehen vor meinem inneren Auge, als ich mich durch die Tippfehler und Ausdruckschwächen dieses traurigen Textes Richtung Ende windete.
Und dann kam ES, flüsterte mit sanfter Stimme und die Qual war vergessen, denn der wohlige Klang des Allzweckarguments legte sich darüber: Es ginge doch nur um “… [das] friedliche Zusammenleben zweier Volksgruppen in der Landeshauptstadt …” Danke Hermann Trebo, Bozen. Danke!
netter herr:
http://altoadige.gelocal.it/bolzano/cronaca/2015/07/23/news/il-presidente-di-quartiere-i-profughi-esseri-nocivi-e-parassiti-1.11822778
In der Tat. Mittelinks sozusagen.
schreibt Kommunist Luigi Gallo heute auf Facebook.
PD, SVP und Grüne haben sich jetzt einfach von Giacomazzis rassistischen, homophoben (etc.) Äußerungen distanziert, werden ihm jedoch nicht das Misstrauen aussprechen. Vermutlich hätte man sich von NSDAP und PNF damals auch einfach distanziert… so bequem…