Verfassungsexperte und Senator Francesco Palermo inszeniert sich liebend gerne als Wissenschafter, der zufällig — ja beinahe unfreiwillig — in der Politik gelandet ist. Entsprechend schwierig ist es bisweilen zu verstehen, ob nun der Politiker oder der Wissenschafter Palermo spricht. Glücklicherweise ist der entsprechende Befund für ein Tageszeitungsinterview, welches anlässlich der Konventseröffnung am 16. Jänner erschienen ist, eindeutig: Es spricht ein populistischer Demagoge fernab jeglichen wissenschaftlichen Anspruchs mit einem Hang zur Überheblichkeit gegenüber nicht “befähigten” Bürgern.
Wenn die Gesellschaft nicht reif für diesen Konvent ist, dann ist das halt so – und dann passiert halt nix. Von mir aus kann man ruhig auch über die Selbstbestimmung reden. Aber viel Sinn hätte das nicht.
Es ist ein Wesensmerkmal des für den Konvent gewählten “Open Space”-Formats, dass über alles geredet werden kann/soll/darf. Nichts ist in einem solchen Format a priori sinnlos. Schon gar nicht ein Thema wie die Selbstbestimmung, die inhaltlich mit einer etwaigen Autonomiereform eng verknüpft ist. Man kann sehr wohl an einem verfassungskonformen Neuentwurf arbeiten und gleichzeitig das Ziel demokratischer Normalität im Hinterkopf behalten.
Mich nervt auch die blöde Diskussion “Territoriale vs. ethnische Autonomie”. Was soll das?
Das ist recht einfach, was das soll. Unter ethnischer (nationaler) Minderheit versteht man in Südtirol gemeinhin die Angehörigen der deutschen und ladinischen Sprachgruppe. Diesen wurde im Pariser Vertrag bzw. im zweiten Autonomiestatut ein besonderer Status innerhalb des italienischen Staates eingeräumt. Gewisse Rechte sind an die Zugehörigkeit zu einer der drei Sprachgruppen geknüpft. Die “ethnische Autonomie” – die im Übrigen für langfristig nicht zielführend ist – ist also der derzeitige Zustand. Würde ein Großteil der Südtiroler nicht einer nationalen/sprachlichen Minderheit angehören, gäbe es die Autonomie, wie wir sie kennen, nicht.
Territoriale Autonomie – eine Idee, die im Sinne von ein Schritt hin zur Überwindung nationaler Schranken sein kann – würde heißen, dass die Legitimation für die Autonomie nicht mehr aus der nationalen/ethnischen/sprachlichen Andersartigkeit heraus erwächst, sondern dass das Land Südtirol mit all seinen Bewohnern Selbstverwaltungsbefugnisse ausübt. Dass Südtirol in einem zentralistisch ausgerichteten Staat wie Italien ein derartiger Status zuerkannt werden sollte, ohne auf die “nationale Andersartigkeit” zu verweisen, ist aber leider schwer vorstellbar.
Was bedeutet es, wenn behauptet wird, die Autonomie sei dazu da, die sprachlichen Minderheiten zu schützen? Heißt das, jeder Deutsche oder Ladiner erhält 1000 Euro mehr?
Man wäre fast versucht zu schreiben, dass eine solch groteske Aussage eines Autonomie- und Minderheitenexperten keine Antwort wert ist. Aber was soll’s: Nein, das heißt es nicht. Es heißt, dass Mechanismen etabliert sind, die darauf abzielen, dass vor allem die sprachlichen Eigenheiten der hiesigen Bevölkerung innerhalb eines Nationalstaates bewahrt bleiben, dass die Sprachen, die hier gesprochen werden, im öffentlichen Raum ihren fixen und gesicherten Platz haben. Im Grunde nichts anderes, als was wir heute in weiten Teilen haben.
Was ist mit den anderen Gruppen im Lande? Will man Südtirol von den Einwanderern befreien und eine ethnische Säuberung betreiben?
Gar nichts ist mit den anderen Gruppen im Lande. Die Schutzmaßnahmen zur Erhaltung der sprachlichen Eigenheiten – wie sie zum Beispiel auch in der Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats festgeschrieben sind – wirken sich auf Zuwanderer in keiner Weise negativ aus und tasten ihr Recht hier gleichberechtigt zu leben überhaupt nicht an. Schon gar nicht kommt es deswegen zu ethnischen Säuberungen, wie man als Verfassungs- und Minderheitenexperte durchaus wissen dürfte.
Auf so einen ungeheuerlichen Schluss kann man wohl nur unter komplettem Ausschluss der grauen Masse oder durch die Zuhilfenahme fragwürdiger Substanzen kommen.
13 replies on “Palermo kann auch ohne.”
Francesco Palermo wurde durch die deutschsprachige Presse Südtirols aufgrund seiner Bekenntnis zu einer territorialen Autonomie angefeindet. Auch BBD war daran beteiligt:
hier:
aber auch: http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=14855
War der Vorstoss etwa von der falschen Person/Ethnie oder hatte das andere Gründe?
Jetzt von BBD -seite so zu tun als ob diese Idee allein auf dem eigenen Mist gewachsen ist, ist zumindest fragwürdig. Wieso schafft es bbd nicht hier gemeinsame Ansichten zu stärken?
1. das grundkonzept von bbd fußt auf einem territorialen verständnis von selbstverwaltung – ohne “ethnische” komponente. seit 2005. kohärent.
2. Palermo angefeindet
3. in deinem zweiten link wird einfach eine aussage palermos schwarz auf weiß widerlegt. was hat das mit anfeinden zu tun?
4. ad Palermo für die Charta: was können wir dafür, wenn palermo jetzt so tut, als verstünde er nicht, was in der charta steht, für welche er sich selbst eingesetzt hat? im verlinkten artikel haben wir ja ausdrücklich auf palermos antrag verwiesen und heißen seine initiative gut.
5. wer tut so, als ob die idee allein “auf unserem mist gewachsen sei”?
#facepalm liegt wohl immer im Auge des Betrachters
Fonte: A. Adige. procuratore Guido Rispoli/ keine Aussage von F.Palermo oder? http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=12315
(hunter)
Ist das eine Kampagne?
ich bitte dich inständig, genau zu lesen, bevor du solche sachen postest.
der artikel “osze-vortrag in der falle” stellt sich auf die seite palermos. die sache mit der “glaubensfrage” richtet sich an die vehementen sekundanten, die ohne zu wissen was genau gesagt wurde, da es keine beweise gibt und aussage gegen aussage steht, die jeweilige seite bedingungslos in schutz nehmen.
ich hab das mit “pulizia etnica” nur verlinkt, weil sich eben auch schon rispoli zu so einem ungeheuerlichen und schreckliche kriegsverbrechen verharmlosenden vergleich hinreißen hat lassen.
nein. das ist keine kampagne. aber das wort “ethnische säuberung” in diesem zusammenhang in den mund zu nehmen ist eine unglaubliche frechheit, oder nicht? erschwerend kommt dazu, dass es von einem wissenschafter kommt, der eigentlich wissen müsste, was das bedeutet.
Bei der Lektüre des Artikels kam ich zu ähnlichen Schlussfolgerungen.
Hier noch eine Ergänzung:
Palermo spielt hier wohl auf Forderungen nach Sportautonomie für Südtirol an. Wenn unser Senator und Institutsleiter am Institut für Föderalismus- und Regionalismusforschung der Eurac nicht mal ansatzweise nachvollziehen kann, dass man den Werbeeffekt einer Sportautonomie irgendwo im zweistelligen Millionenbereich ansiedeln kann, dann komme ich unweigerlich zum Schluss, dass wir ein akutes Elitenproblem haben, zumindest ein Problem mit denjenigen, die sich als Elite halten und als solche vom Mainstream herumgereicht werden.
Senatsreform aus Sicht Institut für Föderalsimus:
http://www.foederalismus.at/blog/italiens-neuer-senat-im-verfassungsreformentwurf–verkleinert–entmachtet-%C3%A2%E2%82%AC%E2%80%9C-und-ueberfluessig_52.php
Herr Palermo scheint mir ein klein wenig beleidigt zu sein …
Man kann von den Freiheitlichen und im Speziellen von Uli Mair halten was man will, aber mit diesem Statement wurde der Nagel auf den Kopf getroffen.
http://www.suedtirolnews.it/d/artikel/2016/01/17/fh-autonomiekonvent-ist-das-geld-nicht-wert.html#.Vp01m5rhCW-
Ich fürchte eher, dass sich das zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung entwickelt. Je mehr die sogenannten »deutschen« Parteien gegen den Konvent schießen, desto weniger deutschsprachige SüdtirolerInnen werden am Konvent teilnehmen — sodass am Ende die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der PD eine überproportionale »Macht« ausüben kann. Wichtig wäre es jetzt, dass in den Open Spaces alle Meinungen adäquat vertreten sind. Zeit für Kritik ist immer noch, und zwar dann, wenn und falls wichtige Forderungen aus dem Konvent einfach übergangen werden.
… damit nicht jene in der Überzahl sind, die (2002) bei Friedensplatz wieder auf Siegesplatz entschieden haben …
Das Problem dabei ist, dass zwei Jahre durchs Land ziehen werden.
Das nennt man Zeit schinden par excellence. Denn in diesen zwei Jahren wird sich Richtung Selbstbestimmung überhaupt nix bewegen, weil “man kann nicht vorgreifen, man muss schauen, was beim Konvent herauskommt”.
Ich finde, wir haben schon schlimmere Phasen des Zeitschindens erlebt. Hier könnten die Forderungen der BürgerInnen erstmals Eingang finden in einen institutionellen Prozess. Wie gesagt: Zeit für Kritik ist immer noch…