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Terrorist weil Kurde?
Devrim Akcadag

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Anfang August wurde der kurdische Uni-Dozent und Journalist Devrim Akcadag auf Sardinien verhaftet. Italiens Polizei wird damit zur Erfüllungsgehilfin Erdoğans.

Devrim Akcadag ist inzwischen wieder »frei«. Seit dem 4. August, in Hausarrest. Er darf das Haus nicht verlassen. Es ist strengstens untersagt, nach draußen oder in den Garten zu gehen.

Er wurde am 1. August von der italienischen politischen Polizei Digos während seines Urlaubs bei Sassari auf Sardinien verhaftet. Grund: Die islamistische Türkei des Putin-Freundes Erdoğan beschuldigt Akcadag, Mitglied der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.

Also ist er ein Terrorist, der mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird. Die Türkei verlangt seine Auslieferung. Liefert ihn die italienische Justiz aus, drohen dem deutschen Staatsbürger kurdischer Herkunft aus der Türkei 15 Jahre Haft.

Der 47-jährige Akcadag, ein in Berlin lebender Universitätsdozent und Übersetzer, ist Sohn eines kurdischen Flüchtlingspaares in Deutschland. Von 2005 bis 2009 arbeitete Akcadag als Journalist im Nahen Osten, in Syrien, Irak, Iran, Libanon und Jordanien. Sein Schwerpunkt war der Israel-Palästina-Konflikt, aber auch die kurdische Thematik und Konflikte in Kolumbien, Sri Lanka und Irland. Journalisten, die über Kurdistan berichten, gelten in den Augen Erdoğans als Terroristen.

Während sich die deutschen Behörden offensichtlich nicht um den von der Türkei beantragten internationale Haftbefehl kümmerten, schlug die italienische Polizei zu. Sie degradierte sich damit zur Erfüllungsgehilfin des türkischen Staates, kritisierten mehrere Gewerkschaften und das Sozialforum Cagliari. Sie kritisierten den Vorwurf, der Verhaftete gehöre einer »terroristischen Vereinigung« an. Das sei nur ein Vorwand der Türkei, heißt es in einer Pressemitteilung, um die kurdische Bevölkerung zu unterdrücken.

Die sardischen Gewerkschaften stellen die Einstufung der PKK als terroristische Organisation in Frage. Der Türkei ist es zwar gelungen, dass die EU und die USA die PKK auf der Terrorliste führen. In Frankreich und in Deutschland wird dies faktisch ignoriert, Belgien widerspricht der türkischen Darstellung.

2021 wurde Puigdemont verhaftet

Manche italienische Medien griffen den Terrorismus-Vorwurf begierig auf. Die Verhaftung des mutmaßlichen PKK-Terroristen sorgte für deftige Schlagzeilen. Ähnliches spielte sich ab, als 2021 der katalanische Europaparlamentarier Carles Puigdemont die katalanische Sprachminderheit bei Alguer in Sardinien besuchte und — aufgrund eines von Spanien initiierten internationalen Haftbefehls — verhaftet wurde.

Puigdemont musste freigelassen werden, wie Devrim Akcadag auch. Die italienische Justiz sammelt jetzt »Beweismittel« gegen Akcadag, direkt aus Ankara, von den türkischen »Sicherheitskräften« und der politisch verseuchten Justiz.

1998 setzte sich PKK-Gründer Abdullah Öcalan nach seiner Flucht vor türkischen Ermittlern aus der libanesischen Bekaa-Ebene — dort befand sich das PKK-Hauptquartier — nach Griechenland, später nach Italien ab. Aufgrund eines deutschen Haftbefehls nahm die italienische Polizei Öcalan fest und durfte in einer Villa am Rande Roms seinen Hausarrest verbringen. Trotz entsprechenden Drucks aus den USA sorgte der damalige linke italienische Ministerpräsident Massimo D’Alema dafür, dass Öcalan aus dem Hausarrest entlassen wurde. Er flüchtete nach Kenia und wurde dort von den ihn jagenden türkischen Polizisten verhaftet. Seitdem ist Öcalan weggesperrt.

Inzwischen wandelte sich auch die PKK. Sie nahm Abstand von der Selbstbestimmung, vom alten Traum eines kurdischen Nationalstaates zwischen Rojava in Nordsyrien und Rojhilat im westlichen Iran, zwischen Süd- und Nordkurdistan (nördlicher Irak, südwestliche Türkei), auch vom Terror und von der sozialistischen Revolution. Die PKK-Schwestern in Rojava, die Partei PYD und ihre Milizen YPG, übernahmen im Schatten des syrischen Bürgerkrieges in Nordsyrien die Macht.

Sie wurden im Kampf westlicher Staaten gegen den Islamischen Staat zu Verbündeten, zu den Bodentruppen der Anti-IS-Allianz. Diese PKK-nahen Milizen verhinderten 2014 die totale Vernichtung der Jesiden durch den IS im Shingal, im Nordirak.

Trotzdem, es scheint, dass die PKK immer noch als eine Terrororganisation gilt. Darauf beharrt die Türkei von Präsident Erdoğan. Deshalb ließ Erdoğan 2018 seine Truppen die kurdischen Enklave Afrin in Nordsyrien besetzen. Die türkischen NATO-Soldaten und ihre islamistischen Verbündeten vertrieben die kurdischen Einwohner, Vergewaltigungen, Morde, Massaker, Enteignungen, das Programm der Jungtürken von 1915 bei der Vernichtung der Armenier.

Die Türkei, Patin islamistischer Terrororganisationen, darunter der IS, verknüpfte die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die NATO mit der Auslieferung türkischer Staatsbürger, die in diesen beiden Ländern Asyl gefunden haben. Für Präsident Erdoğan allesamt geflüchtete und untergetauchte Terroristen, PKK-Terroristen. Schnell werden Oppositionelle in der Türkei zu Terroristen erklärt, davon berichten können Journalisten wie Can Dündar oder Deniz Yücel, der eine Türke, der andere Deutscher. Die Liste dieser angeblichen Terroristinnen und Terroristen ist lang.

Feryad Omar verteidigt Devrim Akcadag

Jetzt ist es Devrim Akcadag, der deutsche Staatsbürger kurdischer Nationalität, den die Türkei wegen seiner mutmaßlichen PKK-Mitgliedschaft jagen lässt. Feryad Omar kann sich darüber nur wundern. Der deutsche Staatsbürger, kurdische Sprachwissenschaftler, Dozent an der Freien Universität Berlin und Menschenrechtler, dementiert den türkischen PKK-Vorwurf heftig.

Er kennt Devrim Akcadag, er war sein Student am Institut für kurdische Studien und betreute ab 2014 eine ganze Reihe wissenschaftlicher Projekte. Die Einschätzung von Feryad Omar ist mehr als verlässlich. Er war in der Gesellschaft für bedrohte Völker engagiert, lange als Bundesvorsitzender und erhielt kürzlich für seine wissenschaftliche Arbeit sowie für sein Menschenrechtsengagement das Bundesverdienstkreuz.

Feryad Omar ist entsetzt darüber, wie sein ehemaliger Student und inzwischen wissenschaftlicher Mitarbeiter von den italienischen Sicherheitsbehörden behandelt wurde. Devrim Akcadag war im Gefängnis Bancali in Isolationshaft. Er durfte nicht raus. Die Kommunikation mit anderen Häftlingen war strengstens verboten. 24 Stunden musste er in Zelle Nr. 2 verbringen.

Er war am 3. August 2023, gleich nach der ersten (Online-)Gerichtsverhandlung in die Sektion (2. Etage) verlegt worden. Alle Gefangenen, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden in dieser Abteilung untergebracht. Dort begegnete Akcadag Mullah Kraker, einer der führenden Persönlichkeiten der radikal-islamischen Bewegung. Außer ihm gab es IS-Terroristen aus verschiedenen Ländern.

Akcadag wurde inzwischen in den Hausarrest überstellt. Er wird gut betreut, bestätigt Feryad Omar und zwar von der Vereinigung ASCE (Sardische Vereinigung gegen Marginalisierung).

Akcadag unterstützt die kurdischen Parteien, die sich für eine politische und friedliche Lösung einsetzen. »Daher bin ich unparteiisch und kein Parteigänger von irgendwelcher Partei«, beteuerte er im Gespräch mit Voices.

Um es kurz und knapp zu formulieren: Es ist an der Zeit, dass die EU die PKK von der Terrorliste streicht.


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