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Die Angst geht um.
Das Schweigen der jüdischen Gemeinden

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Italienweit demonstrieren palästinensische, arabische und moslemische Migranten auf Straßen und Plätzen gegen den Krieg Israels gegen die Hamas in Gaza. Mit ihnen solidarisch sind große Teile der Linken, die Israel mit Nazi-Deutschland gleichsetzen und die israelische Besatzungspolitik im Westjordanland als Holocaust brandmarken. Sie können ungehindert demonstrieren.

Auch in Bozen protestieren propalästinensische Demonstranten immer wieder gegen Israel, gegen die NATO, gegen die USA. Hochemotionale Kundgebungen. Am Tag nach den Pogromen der Hamas in Israel (am 7. Oktober) gab es keine pro-israelischen Aktionen. Im Gegenteil. Die Massaker wurden als logische Konsequenz der israelischen Politik begründet, fast schon begrüßt.

Typisch für diese Haltung auch das Online-Magazin Salto, das in gleich zwei Artikeln Israel Genozid an den Palästinensern vorwarf. Einseitiger geht nicht, Salto als Lautsprecher der Hamas. Die israelische Sicht auf die Hamas-Massaker am 7. Oktober kommt auf Salto nicht vor. Darf sie nicht vorkommen?

Genauso wenig wird der grassierende Antisemitismus, der vielen Jüdinnen und Juden entgegenschlägt, problematisiert. Die Historikerin Martha Stocker regte deshalb an, sich öffentlich für das angegriffene Israel und für jüdische Menschen zu engagieren. Mit einer Kundgebung.

Die Jüdische Gemeinde in Meran winkte aber ab. Nicht von ungefähr. Die Jüdischen Gemeinden Italiens einigten sich darauf, sich künftig mit öffentlichen Bekundungen zurückzuhalten — aus Angst vor gewaltsamen Übergriffen. Die Gemeinden fühlen sich nicht in der Lage, ihre Angehörigen zu schützen.

Während propalästinensische Demonstranten ihre Wut öffentlich zelebrieren können, weil Italien noch immer ein demokratischer Rechtsstaat ist, müssen sich Jüdinnen und Juden hingegen vor Angriffen fürchten. Vor propalästinensischen Sympathisanten, vor linken Antizionisten und rechten Antisemiten. Eine neue antisemitische Allianz, die sich hinter dem Schlachtruf »From the River to the Sea« vereinigt.

Die Jüdische Gemeinde von Meran winkte also ab. Das scheint europaweit so zu sein. In Bayern forderte beispielsweise eine jüdische Gemeinde ihre Mitglieder auf, sich aus Sicherheitsgründen »unauffällig« zu verhalten, das Zeigen von israelischen und jüdischen Symbolen zu vermeiden. Die Sicherheitslage für alle Gemeinden sei durch die Situation in Israel sehr angespannt. Der Antisemitismus ist also wieder mit Vehemenz zurück, in Italien kleingeredet, weil die Täter immer die Deutschen sind, und in Deutschland blieb der Antisemitismus trotz oder wegen des Dritten Reichs virulent.

In Deutschland vertreten laut einer Studie ein Fünftel der Befragten antisemitische Einstellungen. Und zwar in allen gesellschaftlichen und politischen Milieus von ganz links bis ganz rechts. Während die extreme Rechte einen völkischen Antisemitismus »pflegt«, der in der Negierung der deutschen Verantwortung für den Holocaust gipfelt, operiert die linksextreme Szene mit »Versatzstücken antiimperialistischen Denkens« und postkolonialen Ansichten. Laut diesen wird Israel unreflektiert und einseitig als westliche Kolonialmacht gesehen.

Aber auch die gesellschaftliche und politische Mitte ist nicht gegen Antisemitismus immun. Mit dem Sager »ja aber« — bürgerliche Demokraten fühlen sich der »Objektivität« verpflichtet — werden die Hamas-Massaker verharmlost. Keine Frage, die Politik der rechten israelischen Regierungen — typisch eben für rechte Politik — ist minderheitenfeindlich. Sie ähnelt der Politik der türkischen Regierung gegenüber den Kurden oder der mexikanischen Politik gegenüber den indigenen Völkern. Aber Genozid?

Die israelische Besatzungspolitik — keineswegs ein Musterbeispiel für einen demokratischen Staat — ist weit entfernt von der »Lösung« des »Minderheitenproblems« des islamischen Staates Aserbaidschan. Die Aseris »säuberten« restlos Arzach, Berg-Karabach, von seiner armenischen Bevölkerung. Die pro-armenischen Kundgebungen waren überschaubar.

Die Wucht des Antisemitismus ist erschreckend. Kein Wunder, wenn Jüdinnen und Juden Angst haben. Israelische Fahnen werden von Flaggenstangen heruntergerissen und verbrannt, Fotos der von der Hamas Gekidnappten werden von Plakatwänden entfernt, jüdische Friedhofsmauern mit Hakenkreuzen beschmiert, Jüdinnen und Juden angepöbelt. Synagogen, jüdische Schulen und andere jüdische Einrichtungen müssen von der Polizei geschützt werden. Jüdische Europäerinnen und Europäer können sich nicht mehr frei und sicher fühlen.

Eine doch absurde Lage, aber mit einer langen Geschichte. Im Mittelalter eigneten sich Juden als religiöse Minderheit als Sündenböcke. Christliche Herrscher machten im 14. Jahrhundert die Juden für die Pest verantwortlich. Bei »Pestpogromen« wurden Tausende Männer, Frauen und Kinder ermordet und zahlreiche jüdische Gemeinden ausgelöscht.

Vor kurzem wiederholte sich diese finstere mittelalterliche Geschichte. Hinter der Corona-Pandemie vermuteten zahlreiche Menschen einen großen Plan finsterer Mächte. Sie knüpften damit nahtlos an klassische antisemitische Verschwörungsmythen an. Davon profitierten bei den Landtagswahlen die No-Vax-Listen Vita und JWA.

Ja, die Bedrohung ist greifbar, genauso die Angst davor. Das antiisraelische und antisemitische Wüten auf europäischen Straßen und Plätzen lässt die jüdischen Gemeinden verstummen. Sie schweigen. Auch die kleine Jüdische Gemeinde von Meran. Kein gutes Zeugnis für unsere Demokratie.


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