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Wundes Land.

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Agrar- und Chemiekonzerne wollen die Renaturierung ausbremsen

Zuerst stimmte das Europaparlament dafür — wenn auch knapp und nach unendlich vielen Abänderungen. Inzwischen genehmigten auch die EU-Umweltminister:innen die Renaturierung. Die Zeichen dafür stehen also nicht schlecht.

Vordergründig. Der österreichische ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer läuft Amok gegen die Renaturierung, mit einer Klage vor dem EuGH. Nehammer fühlt sich dem »Bauernstand« verpflichtet, der vor einigen Monaten Straßen und Plätze in Europa unsicher machte. Kleine und mittelständische Bauern spannten sich vor den Karren von Agrar- und Chemiekonzernen, die die Renaturierung strikt ablehnen. Ihr grenzenloser Aktionsradius würde dadurch empfindlich eingeengt werden.

Die Gegner bemühen Argumente wie überbordende Bürokratie, die Einschränkung der bäuerlich-unternehmerischen Freiheit, beklagen die angeblich realitätsfremde Ideologie der Renaturierung. Sprüche von den großen Playern, die mit ihren Lobbyisten in Brüssel den wirtschaftspolitischen Ton angeben.

Gefährdete Umwelt

Die Konzerne verdrängen die bitteren Fakten, die sie offensichtlich als Fakes abtun. Mehr als zwei Drittel der europäischen Lebensräume befinden sich in einem schlechten Zustand, zitierten das EU-Parlament und die Kommission einen Bericht der Europäischen Umweltagentur – versiegelt, weil zubetoniert; verwüstet, weil ausgelaugt durch massiven Einsatz von Chemie; artenarm, weil landwirtschaftliche Monokulturen – dafür sind die Agrarkonzerne verantwortlich – Artenvielfalt verunmöglichen.

Nicht viel besser sieht es in Südtirol aus. Laut Ulrike Tappeiner vom Eurac-Institut Alpine Umwelt sind mehr als 40 Prozent der Tierarten bedroht. Fast ein Drittel der Pflanzenarten gelten als gefährdet. Folgen der intensiven Landwirtschaft. Von wegen Landwirtschaft ist gleich Umweltschutz. Das ist populistische Ideologie. Die Landwirtschaft zwischen Salurn, Bozen, Meran und Reschen kann eintöniger nicht sein. Das Giftspritzen, also die Pestizide, wird zweifelsohne notwendig sein. Gleichzeitig unternimmt die Branche alles, um die »Nebenwirkungen« nicht nur klein-, sondern wegzureden. Stichwort Pestizide und Allergien. Die Umweltorganisation Greenpeace ist überzeugt, Pestizide machen krank. In Mals wurde dagegen heftig, aber erfolglos protestiert.

Deshalb schlug die Kommission 2022 eine Verordnung über die Wiederherstellung der Natur vor, um geschädigte Land- und Meeresgebiete wiederherzustellen, die gesetzten Klima- und Artenschutzziele zu erreichen und die internationalen Verpflichtungen wie den globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montréal der Vereinten Nationen einzuhalten.

Gefordert wurde dies auch von Bürger:innen, die sich an der Konferenz zur Zukunft Europas beteiligten: Also Wiederherstellung und Schutz der Artenvielfalt, der Landschaft und der Meere. Und die Kommission versuchte, die betroffene Wirtschaft mit viel Geld zu ködern, nach ihren Berechnungen bringen die Vorschriften zur Renaturierung erhebliche wirtschaftliche Vorteilte mit sich, da jeder investierte Euro einen Nutzen von mindestens acht Euro ergibt.

Wer nicht hören will, muss fühlen

Trotzdem laufen »die Bauern« dagegen Sturm. Unterstützt werden sie von den Konservativen und Rechtsradikalen, für die es den Klimawandel nicht gibt, nicht das Artensterben, denen es egal zu sein scheint, dass trockengelegte Moore den Wasserhaushalt beeinträchtigen.

Wer nicht hören will, muss fühlen. Eine alte Redensart, die es in sich hat: Die Rechnung für entgrenzte Urbarmachung lieferte auch heuer wieder das Frühjahr und der Frühsommer. Überschwemmungen, Zerstörung, Tote. In Deutschland, in Österreich, in Italien oder auch in Spanien »tobt« sich das Wetter aus, Wasser mit zerstörendem Überfluss in Mitteleuropa, kein Wasser in Spanien.

Ein zentrales Element der Renaturierung ist die Wiederherstellung entwässerter Torfgebiete. Die EU-Staaten müssen mindestens ein Drittel der entwässerten Torfgebiete bis 2030 wiederherstellen, bis 2040 sollen es 40 %, bis 2050 50 % sein. Die Renaturierung steht auch für die Heilung der geschlagenen Wunden. Letztendlich zugunsten der Landwirtschaft.

Ernährungssicherheit gegen Renaturierung?

Diese, zumindest die organisierte und besonders die Verbände der Großbauern, lehnen die Renaturierung strikt ab. Der Südtiroler Europaparlamentarier Herbert Dorfmann (SVP) führt das Argument »ins Feld«, die Renaturierung gefährde die Ernährungssicherheit.

Klingt dramatisch, ist aber ein Treppenwitz: 2020 wurden in der EU 58 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Weltweit jährlich 1,3 Milliarden Tonnen. Das entspricht einem Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel. Europäer:innen werfen laut einer FAO-Studie jährlich bis 300 Kilogramm Lebensmittel in die Mülltonne.

In Österreich, wo Bauernbund, ÖVP, FPÖ und Bundeskanzler Nehammer volksfrontmäßig die Renaturierung bekämpfen, »entsorgen« die Haushalte jährlich 157.000 Tonnen an angebrochenen und verpackten Lebensmitteln.

Nicht weniger verschwenderisch geben sich die Südtiroler:innen: Jährlich kippen sie pro Kopf 27,5 Kilo Lebensmittel weg. Die Landestafel-Banco Alimentare schlug deshalb Alarm: Lebensmittel im Müll anstatt auf dem Teller. Gleichzeitig muss die Tafel im Trentino und in Südtirol 20.000 bedürftige Menschen mit gespendeten Lebensmitteln versorgen. Die Tafel bittet deshalb um Lebensmittelspenden. Unvorstellbar und das in den beiden properen Provinzen Trient und Bozen.

Die Renaturierung ist mehr als notwendig, dafür werben Wissenschaftler:innen vom deutschen Helmholtz-Zentrum, der Agrarwissenschaftler Michael Succow. Besonders die Wissenschaft unterstützt mehrheitlich das EU-Renaturierungsgesetz. So verwies im Dezember 2023 eine internationale Fachgruppe im Journal Science auf die Notwendigkeit von umfassender Renaturierung. Sogar konservative Verbände wie der europäische Jägerdachverband FACE und Industrieverbände wie der Windenergieverband haben für die Annahme des Gesetzes geworben.

Und was passiert in Südtirol? Im Wipptal wird entlang der Autobahn intensiv Landwirtschaft betrieben, in Kaltern fordert die Weinwirtschaft mit einer arroganten Haltung den Bau von Wasserspeichern im Buschwald von Altenburg. Kein Einzelfall. Die Proteste dagegen blieben nicht aus.

Nein, die intensive Landwirtschaft ist nicht gleich Umweltschutz. Und eine renaturierte Landschaft, die auch von der Landwirtschaft verwüstet wurde, gefährdet nicht die Ernährungssicherheit.


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