Von einer autoritären Wende kann in diesem Staat kaum noch die Rede sein, da nicht nur spätestens seit Berlusconi immer wieder illiberale Gesetze erlassen wurden, sondern bis heute auch Teile des faschistischen Strafgesetzbuchs (sog. Codice Rocco) gültig sind, die es etwa der italienischen Polizei gestatten, ohne gerichtliche Überprüfung Wegweisungen, Platzverweise und Abschiebungen mit massiven Folgen für die Betroffenen auszusprechen. In Richtung Willkürstaat hat aber auch die jetzige rechtsrechte Zentralregierung bereits vorgelegt, wenn wir nur an das drastische Raveverbot am Anfang der Legislaturperiode oder an die Stärkung der Premierministerin denken.
Somit ist auch der jetzige massive Eingriff letztendlich nur ein konsequenter, wiewohl beängstigender Schritt: Mit einem Sicherheitsgesetz, das am Mittwoch — mit Enthaltung der SVP — vom Abgeordnetenhaus beschlossen wurde, sollen Vorschriften wohl derart verschärft und Strafen ins Unermessliche gesteigert werden, dass selbst Personen, die protestieren oder gar nur passiven Widerstand leisten, schon mit einem Fuß im Gefängnis sitzen. Die damit beabsichtigte Einschüchterung wird de facto zur massiven Einschränkung von Grundfreiheiten (bzw. zum vorauseilenden Verzicht auf deren Ausübung) führen, die eigentlich zu den Grundvoraussetzungen einer freien Demokratie gehören sollten. Wie all das mit den Menschenrechten und vom Staat eingegangenen Verpflichtungen konform gehen soll, ist nicht ersichtlich, doch Italien setzt sich darüber regelmäßig hinweg.
Vom Senat wurde die Vorlage zwar noch nicht genehmigt, doch große Änderungen oder gar eine Ablehnung sind aufgrund der Mehrheitsverhältnisse eigentlich nicht mehr zu erwarten.
Was das Gesetz unter anderem konkret vorsieht:
- Strafrechtliche Konsequenzen für Straßenblockaden mit dem erschwerenden Umstand, diese mit Einsatz des eigenen Körpers und mit mehreren versammelten Personen durchzuführen. Dies stellt eine massive Behinderung des Streikrechts und der Versammlungsfreiheit zu Kundgebungszwecken dar.
- Kriminalisierung des Protests gegen Großbauwerke, wie sie in Südtirol der BBT, möglicherweise aber auch die Anlagen für die Olympischen Spiele darstellen könnten.
- Erhöhung des Strafmaßes für Widerstand gegen die Staatsgewalt um ein Drittel und Verbot für die Richterinnen, mildernde Umstände höher zu gewichten als die erschwerenden.
- Umwandlung der leichten und sehr leichten Körperverletzung von Polizeibeamten in ein Offizialdelikt, bei dem Freiheitsstrafen von mindestens zwei und höchstens fünf Jahren drohen.
- Polizeibeamte dürfen außerhalb der Dienstzeiten auch ohne Waffenschein eine Waffe mit sich führen.
- Kriminalisierung von leichtem Cannabis mit THC unter 0,2 Prozent durch Gleichstellung mit gewöhnlichem Cannabis.
- Verbot der Ausgabe von SIM-Karten an Ausländerinnen ohne gültigen Aufenthaltstitel.
- Abschaffung des verpflichtenden Strafaufschubs für Schwangere und Mütter von Kindern unter einem Lebensjahr.
- Strafrechtliche Konsequenzen für Personen, die die Bettelei nicht nur organisieren, sondern Dritte dazu auch nur verleiten.
- Ausweitung der aus der Faschistenzeit stammenden Polizeibefugnisse, Platzverweise und Wegweisungen auszusprechen.
- Hausbesetzungen sollen mit Freiheitsentzug zwischen zwei und sieben Jahren belegt werden. Die Maßnahme trifft nicht nur die Hausbesetzerinnen selbst, sondern alle, die mit ihnen kooperieren.
- Gefängnisrevolten: Alle, die in einer Justizvollzugsanstalt durch Gewaltakte oder Drohungen, aber auch durch passiven Widerstand gegen die Ausführung erteilter Befehle oder durch Fluchtversuche, die von drei oder mehr versammelten Personen gemeinsam begangen werden, einen Aufstand fördern, organisieren oder leiten, werden mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis acht Jahren bestraft. Allein schon die Teilnahme am Aufstand wird mit einem Freiheitsentzug von einem bis fünf Jahren geahndet. Ähnliches wird für Aufstände in Rückführungs- und Aufnahmezentren eingeführt, die immer mehr Gefängnissen gleichgestellt werden. Somit werden Insassen von Justizvollzugsanstalten sowie Rückführungs- und Aufnahmezentren jeglicher Protestmöglichkeit beraubt, selbst wenn die Haftbedingungen — wie es in Italien häufig der Fall ist — unmenschlich sind.
- Völlige strafrechtliche Immunität für Geheimdienstmitglieder, die als V-Personen nicht nur an Attentaten und Terrorakten beteiligt sind, sondern diese sogar leiten und organisieren, selbst wenn sie damit die demokratische Grundordnung gefährden.
Die OECD hat in einem einschlägigen Gutachten vom 27. Mai 2024 davor gewarnt, dass diese Maßnahmen die Grundprinzipien des Strafrechts und des Rechtsstaats unterminieren. Doch davon wird sich das neofaschistisch regierte Italien wohl nicht aufhalten lassen, wie schon die Verabschiedung der Reform im Abgeordnetenhaus zeigt.
Für Südtirol wird die unfreiwillige Mitgliedschaft in diesem Staat immer mehr eine Reise in den Abgrund. Von wegen »es gibt keine Grenzen mehr«. Und von wegen Glück.
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