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Italien: Eingeschränkte Meinungsfreiheit.
Verleumdung // Europarat

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ai

Vom 19. bis 23. Juni dieses Jahres hat die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, Italien besucht, um sich ein Bild über die Lage der Grundrechte im Land zu machen. Der daraus hervorgegangene Bericht wurde letzten Donnerstag, den 14. Dezember öffentlich gemacht. Darin geht Mijatović unter anderem auf das Recht auf freie Meinungsäußerung ein1S. 36f und kritisiert (zum wiederholten Mal), dass die Verleumdung in Italien nicht nur ein zivil-, sondern auch ein strafrechtlicher Tatbestand (Art. 595 StGB) ist und Schuldigen bis zu sechs Jahre Haft drohen.

Gegen Journalistinnen würden in Italien tausende Verfahren eingeleitet, doch nur sehr wenige endeten mit einer Verurteilung. Dies sei ein Hinweis darauf, dass es sich dabei um SLAPP-Klagen — also Einschüchterung — handle. Da die Prozesse lange dauern und hohe Kosten verursachen, unterminierten solche Klagen die Arbeit von Journalistinnen und Medienvertreterinnen. Außerdem könnten sie vor journalistischer Recherchearbeit abschrecken und Selbstzensur fördern.

Die Kommissarin unterstreicht, dass sie die italienischen Behörden gemeinsam mit anderen internationalen Organisationen und Menschenrechtsgremien schon oft dazu aufgerufen habe, Freiheitsstrafen und unverhältnismäßig hohe Geldbußen für Verleumdung abzuschaffen. Das italienische Verfassungsgericht habe 2021 sogar Artikel 13 des Pressegesetzes von 1948 (Verleumdung) als verfassungswidrig eingestuft2Urteil Nr. 150/2021 und das Parlament aufgerufen, diesbezüglich tätig zu werden — doch dies sei noch immer nicht geschehen.

Mijatović fordert Italien folglich wieder einmal auf, eine breite Reform der einschlägigen Gesetzgebung vorzunehmen, um die Verleumdung vollständig zu entkriminalisieren und um SLAPP-Klagen zu verhindern.

In Südtirol ist das Thema gerade von besonderer Aktualität, weil der Landtagsabgeordnete von Fratelli d’Italia, Marco Galateo, mit einer Klagewelle gedroht hat, um den Dissens zu schwächen. Das italienische Strafgesetzbuch, dem Namen eines faschistischen Justizministers folgend auch als Codice Rocco bekannt, ist im Juli 1931 in Kraft getreten, also zu einer Zeit, als die Meinungs- und Pressefreiheit ganz und gar nicht erwünscht waren. Unter anderem Artikel 595 StGB ist seit 1931 ohne Abänderungen in Kraft.

Siehe auch: 01 02 03 04 05 06

  • 1
    S. 36f
  • 2
    Urteil Nr. 150/2021


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Comentârs

7 responses to “Italien: Eingeschränkte Meinungsfreiheit.
Verleumdung // Europarat

  1. Martin Piger avatar
    Martin Piger

    Hier bin ich schon einigermassen überrascht. Nur weil Gerichte keinen angemessenen Umgang mit SLAPP-Klagen finden, sollte Verleumdung nur als Bagatelldelikt abgetan werden? Verleumdung kann im schlimmsten Fall zur gesellschaftlichen bis physischen Vernichtung einer Person führen. Die Wahlhelferinnen in den USA, denen Trump zu Unrecht Wahlfälschung vorgeworfen hat, wurden mit Morddrohungen konfrontiert.
    Verleumdung ist niemals durch Meinungsfreiheit gedeckt und aus meiner Sicht ein schweres Vergehen, weil
    es auf öffentliche Brandmarkung von jemandem abzielt, mit Hilfe von unwahren Behauptungen.

    1. Simon avatar

      Es geht hier vor allem um Entkriminalisierung, also um die Abschaffung von Verleumdung als Straftatbestand. Zivilrechtlich bliebe der Tatbestand natürlich aufrecht, wiewohl er dringend reformiert werden müsste. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat schon mehrmals geurteilt, dass eine strafrechtliche Verfolgung von Meinungen mit einer Demokratie unvereinbar ist.

      1. Martin Piger avatar
        Martin Piger

        Ich fahre fort, nicht zu verstehen. Was soll es Gutes bringen, ein schweres Vergehen, wie Verleumdung zu entkriminalisieren. Hier geht es explizit nicht um Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, Verleumdung ein schweres Vergehen. Wie kann man das durcheinanderbringen?

      2. Harald Knoflach avatar
        Harald Knoflach

        Ich verstehe das auch nicht ganz: Verleumdung ist meines Wissens doch dadurch definiert, dass etwas Ehrrühriges über eine Person behauptet wird, im Wissen, dass diese Behauptung falsch ist. Z. B. wenn ich jemanden des Kindesmissbrauches bezichtige, obwohl ich weiß, dass das nicht stimmt. Das hat gar nichts mit Meinungsfreiheit zu tun und sollte meines Erachtens auch ein strafrechtlicher – nicht bloß zivilrechtlicher – Tatbestand sein. Ein derartiges Delikt ist doch auch in den meisten Ländern strafbar – auch mit Haftstrafen.

      3. Simon avatar

        Ich verstehe das auch nicht ganz: Verleumdung ist meines Wissens doch dadurch definiert, dass etwas Ehrrühriges über eine Person behauptet wird, im Wissen, dass diese Behauptung falsch ist.

        Das ist international nicht einheitlich definiert. In manchen Ländern ist meines Wissens unerheblich, ob die rufschädigende Information richtig oder falsch ist, da sie ja in jedem Fall dem Ruf schaden kann.

        Jedenfalls wundert mich deine Meinung als Journalist schon sehr, muss ich sagen. Ich lasse mal eine Vergleichsstudie der OSZE über die Rechtslage in verschiedenen Ländern (von 2017) hier und empfehle, zumindest S. 5f. zu lesen.

        Was Deutschland betrifft, hat sich die Rechtslage meines Wissens wegen der sogenannten Böhmermannaffäre zum 1. Jänner 2018 verändert.

      4. Harald Knoflach avatar
        Harald Knoflach

        Ich glaube, da muss man unterscheiden. Und Verleumdung im engen Sinne ist definiert, dass bewusst und wissentlich falsche Informationen über eine Person verbreitet werden. Wie gesagt – ich bin nicht dafür, dass ich straffrei behaupten darf, dass du Kinder missbrauchst und deine Partnerin schlägst, obwohl ich weiß, dass das nicht der Fall ist. Das hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun.

        siehe: https://www.ris.bka.gv.at/NormDokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10002296&Paragraf=297

      5. Simon avatar

        Von Straffreiheit kann doch nicht die Rede sein, nur weil niemand hinter Gittern landet.

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