Bei der Nationalratswahl am 29. September 2024 ist die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) unter Parteichef Herbert Kickl mit 28,85 Prozent (71,15 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben nicht die FPÖ gewählt) erstmals zur stimmenstärksten Kraft bei österreichischen Parlamentswahlen aufgestiegen.
Bei drei Parteien in Südtirol war die Freude darüber offenbar ziemlich groß. Da wird um die Gunst des österreichischen Wahlgewinners regelrecht gewetteifert. Die Freiheitliche Landesrätin Ulli Mair sieht laut Tageszeitung eine Regierung unter den Blauen als “Wendepunkt für Österreich” und als “Gewinn für Südtirol”. Der Fraktionsvorsitzende der Süd-Tiroler Freiheit (STF), Sven Knoll – für gewöhnlich äußerst wachsam, wenn es um Ausländer und Kriminalität (01
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) geht -, bezeichnet – ebenfalls laut Tageszeitung – das Ergebnis als “sensationell” und sieht in der FPÖ den “idealen Partner”. Jürgen Wirth Anderlan, Landtagsabgeordneter von JWA, wiederum betitelt seinen Spezi Kickl als “echten Volkskanzler”.
Warum die Freude so groß ist, verstehe ich nicht. Ungeachtet der – gelinde gesagt – ungustlhaften inhaltlichen Ausrichtung und giftigen Rhetorik (Stichwort: Mumie in der Hofburg) der Kickl-Partei endete es stets in einem Desaster, wenn die FPÖ in Österreich mitregiert hat. Die Freiheitlichen waren in der Geschichte der zweiten Republik an vier Regierungen beteiligt. Alle (!) diese Regierungen haben die fünfjährige Legislaturperiode des Parlaments nicht überstanden und sind geplatzt. Der Nationalrat musste aufgelöst und vorgezogene Neuwahlen ausgerufen werden. Parallel zu diesen FPÖ-Regierungsbeteiligungen kam es ständig zu – bisweilen milliardenschweren – Skandalen (BUWOG-Affäre, Causa Eurofighter, Telekom-Affäre, Liederbuch-Affäre, Rattengedicht, Causa Waldhäusl, Ibiza-Skandal, FPÖ-Chatprotokolle, BVT-Affäre usw.), Parteispaltungen (Liberales Forum, Bündnis Zukunft Österreich – BZÖ, Die Freiheitlichen in Kärnten – FPK, Freie Partei Salzburg, Die Allianz für Österreich – DAÖ usw.) und der Entzauberung von nicht selten zu messianischen Wunderwuzzis hochgejazzten Blendern, von Jörg Haider über die “Buberlpartie” (Peter „Hojac“ Westenthaler, Walter „Meischi“ Meischberger, Gernot „Rambo“ Rumpold, Karl-Heinz Grasser, Mathias Reichhold, Stefan Petzner) bis Heinz-Christian “HC” Strache. Die meisten dieser hochrangigen FPÖ-Funktionäre und zig weitere Parteikolleginnen und Vertraute fanden sich in der Folge als Beschuldigte in gerichtlichen Strafverfahren wieder. Dutzende Politiker der Partei der “Ehrlichen und Anständigen” (Eigendefinition) sind wegen Korruption, Amtsmissbrauch, Untreue, Verhetzung, NS-Wiederbetätigung (01
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), Körperverletzung und dergleichen rechtskräftig verurteilt worden.
Für die Affinität der Südtiroler Kickl-Fans gibt es nur drei Erklärungen: (1) Entweder haben obige Exponenten ein Gedächtnis wie ein Nudelsieb (2) oder sie sind dumpfe Österreichhasser, die eine erschreckende Österreichfeindlichkeit an den Tag legen (3) oder sie sind tatsächlich der Meinung, dass unter Kickl auf einmal alles anders ist als unter Haider, Riess-Passer, Haupt, Gorbach und Strache. Die FPÖ ist auf einmal stabil und verlässlich, seriös und integer, rechtschaffen und ehrlich (es gibt zwar keine offizielle Statistik über korrupte und kriminelle Politiker, jedoch sind in diversen journalistischen Recherchen (01
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) FPÖ-Exponenten überproportional oft vertreten), fest auf dem Boden von Demokratie und Verfassung, kümmert sich um die “kleinen Leute” und Kickl ist kein selbstgefälliger, zwiederer Emporkömmling.
Ich habe da so meine Zweifel. Opportunismus, Glücksrittertum, Konsensunfähigkeit (sogar parteiintern), Deutschnationalismus und Korruption scheinen vielmehr die DNA der FPÖ auszumachen. Hier eine kurze (bzw. lange) Auflistung der freiheitlichen Meilensteine:
- 1983: erste FPÖ-Regierungsbeteiligung unter Norbert Steger
- 1986: Jörg Haider übernimmt am Innsbrucker Parteitag mittels Kampfabstimmung die Macht in der FPÖ, SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky beendet daraufhin die Koalition, da ihm Haider zu radikal ist
- 1988: Haider lässt im ORF keinen Zweifel, aus welcher Ecke er kommt, und prägt den berüchtigten Satz von der ideologischen Missgeburt: “Das wissen Sie ja so gut wie ich, dass die österreichische Nation eine Missgeburt gewesen ist, eine ideologische Missgeburt. Denn die Volkszugehörigkeit ist eine Sache, und die Staatszugehörigkeit ist die andere Sache.”
- 1989: Jörg Haider wird mit den Stimmen der ÖVP zum Landeshauptmann von Kärnten gewählt
- 1991: Haider wird per Misstrauensantrag (SPÖ und ÖVP) als Landeshauptmann abgesetzt, weil er im Landtag angesichts hoher Arbeitslosigkeit folgende Aussage tätigt: “Na, das hat’s im Dritten Reich nicht gegeben, weil im Dritten Reich haben sie ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht, was nicht einmal Ihre Regierung in Wien zusammenbringt. Das muss man auch einmal sagen.”
- 1993: Die FPÖ lanciert das Volksbegehren “Österreich zuerst” (“Ausländervolksbegehren”), was aufgrund des xenophoben Inhalts und des Erstarkens der deutschnationalen bis rechtsextremen Teile der Partei zur Spaltung und zur Gründung des Liberalen Forums um Heide Schmidt führt; die FPÖ verlässt freiwillig die Liberale Internationale um einem Ausschluss zuvorzukommen
- 1998: Rosenstingl-Affäre (Korruptionsskandal um den Nationalratsabgeordneten und Kassier des FPÖ-Parlamentsclubs Peter Rosenstingl)
- 1999: bei den Nationalratswahlen wird die FPÖ mit 26,9 Prozent zweitstärkste Partei hinter der SPÖ; da eine Regierungsbeteiligung Haiders ausgeschlossen scheint, zieht er sich aus der Bundespolitik zurück und wird wieder Landeshauptmann in Kärnten
- 2000: obwohl ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel im Vorfeld der Wahl versichert hatte, im Falle eines dritten Platzes in Opposition zu gehen, formt er als Drittplatzierter zusammen mit der FPÖ (Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer) eine Regierung gegen die stimmenstärkste Partei SPÖ; diese Regierungsbeteiligung löste heftige Proteste aus (“Donnerstagsdemos”) und die anderen EU-Länder reagierten mit “Sanktionen” gegen die österreichische Regierung; Österreich war diplomatisch isoliert; die FPÖ-Minister Elisabeth Sickl, Michael Krüger oder Michael Schmid verließen die Regierung nach wenigen Tagen bzw. Monaten
- 2001: LH Haider ignoriert über Jahre ein Grundsatzerkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zum Kärntner Ortstafelstreit, das die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln in Gemeinden mit mehr als 10-prozentigem Anteil Slowenischsprechender binnen Jahresfrist vorsieht
- 2002: beim außerordentlichen FPÖ-Parteitag in Knittelfeld kam es zum offenen Bruch zwischen den moderaten und den deutschnationalen/rechtsradikalen Kräften in der Partei; Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Klubobmann Peter Westenthaler traten zurück; dies führte zum Bruch der FPÖ-ÖVP-Koalition unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und zu vorgezogenen Neuwahlen, bei denen die FPÖ zwei Drittel ihrer Wähler verlor und 10 Prozent der Stimmen erreichte
- 2003: nach den Wahlen im November 2002, die die ÖVP überlegen gewann, wurde die Koalition mit der FPÖ und neuen Gesichtern fortgesetzt; Haiders Wunschkandidat Mathias Reichhold wurde aber bereits nach 40 Tagen von Herbert Haupt als Parteiobmann abgelöst; bereits im Oktober gab Haupt wiederum sein Vizekanzleramt an Hubert Gorbach ab
- 2004: auf einem Sonderparteitag wird Haiders Schwester Ursula Haubner zur neuen Parteiobfrau gekürt
- 2005: Bundesparteiobfrau Ursula Haubner, Vizekanzler Hubert Gorbach, Parlamentsklubobmann Herbert Scheibner und der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider treten zusammen mit zahlreichen Funktionären aus der FPÖ aus und gründen das BZÖ; die ÖVP führt die Regierung mit dem BZÖ fort; im April wird Heinz-Christian Strache zum neuen FPÖ-Parteiobmann gewählt; die Landesverbände mit Ausnahme Kärntens bleiben der FPÖ treu; nachdem auch Helene Partik-Pablé, Max Hofmann und Detlev Neudeck die Partei aufgrund von Differenzen verlassen haben, hat die FPÖ nur mehr zwei Nationalratsabgeordnete: Barbara Rosenkranz und Reinhard Eugen Bösch
- 2006: aufgrund der konfusen Situation wurde das Parlament neuerlich frühzeitig aufgelöst und es kam zu vorgezogenen Neuwahlen; die FPÖ unter Strache erreichte 11 Prozent, das BZÖ übersprang unter Westenthaler die 4-Prozent-Hürde mit 4,1 Prozent denkbar knapp; Jahre später kommen durch staatsanwaltliche Ermittlungen Skandale aus der Amtszeit der ÖVP-FPÖ-Regierungen ans Tageslicht, die die Steuerzahlerinnen Milliarden Euros kosten
- 2008: bei den vorgezogenen Nationalratswahlen erreicht die Strache-FPÖ 17,5 Prozent; Landeshauptmann Haider kommt in der Nacht des 11. Oktober mit 1,8 Promille Alkohol im Blut und 140 km/h in einer 70-km/h-Zone mit seinem Dienstwagen von der Straße ab und stirbt noch an der Unfallstelle
- 2009: die Kärntner Landesgruppe löst sich vom BZÖ und kooperiert als eigenständige Partei mit dem Namen „Die Freiheitlichen in Kärnten (FPK)“ mit der FPÖ, weil das BZÖ unter Josef Bucher zu liberal sei
- 2013: die FPK erleidet ein Debakel bei der Kärnten-Wahl; nach Querelen und Streitereien erfolgt die Wiedervereinigung mit der FPÖ
- 2015: wegen eines Konfliktes zwischen Strache und dem Salzburger Parteiobmann Kurt Schnell kommt es zur Abspaltung der Freien Partei Salzburg
- 2017: bei den vorgezogenen Nationalratswahlen 2017 erreichte die FPÖ mit 26 Prozent ihr zweitbestes Ergebnis der Geschichte, was den dritten Platz hinter ÖVP und SPÖ bedeutete; Sebastian Kurz (ÖVP) wird Kanzler, HC Strache Vizekanzler in der ÖVP-FPÖ-Koalitionsregierung
- 2019: ein heimlich 2017 in einer Villa auf Ibiza aufgenommenes Video, das HC Strache und den Wiener Parteiobman Johann Gudenus in Alkoholstimmung dabei zeigt, wie sie im Falle einer FPÖ-Regierungsbeteiligung die Republik an eine vermeintliche russische Oligarchennichte verscherbeln würden, erschüttert Österreich; in der Folge platzt die ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition, Vizekanzler Strache erklärt seinen Rücktritt und wird wenig später wegen weiterer Unregelmäßigkeiten (Veruntreuung usw.) aus der Partei ausgeschlossen; Innenminister Kickl wird als erster Minister in der Geschichte Österreichs von Bundespräsident Alexander van der Bellen aus seinem Amt entlassen; durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft tritt ein abgründiges Sittenbild zutage; drei Wiener FPÖ-Abgeordnete treten aus der Partei aus und gründen Die Allianz für Österreich (DAÖ); es kommt abermals zu vorgezogenen Neuwahlen, bei denen die FPÖ um fast 10 Prozentpunkte auf 16 Prozent abstürzt; die ÖVP gewinnt dazu und formt mit den um 10 Prozentpunkte erstarkten Grünen einen Regierung
- 2021: Herbert Kickl wird bei einem außerordentlichen Parteitag zum Obmann gekürt, Stellvertreter wird Udo Landbauer (Stichwort: Liederbuch-Affäre); im gleichen Jahr tritt Kanzler Kurz im Zuge der ÖVP-Korruptionsaffäre zurück
- 2024: die FPÖ wird mit fast 29 Prozent stimmenstärkste Partei bei der Nationalratswahl
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