Die bestätigte Mandatsbeschränkung für Bürgermeister:innen größerer Gemeinden
Die Kleinen dürfen, die Großen nicht. Für Bürgermeister:innen von Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohner:innen gilt keine Mandatsbeschränkung mehr. Endlich. Die Deckelung der Amtszeit war wenig demokratisch, entmündigte letztendlich die Wählenden. Hinzu kam und kommt, dass sich immer weniger Bürgerinnen für ihre Gemeinden engagieren. Kein Wunder, der Dienst am Gemeinwohl wird wenig geschätzt.
Aufgrund der Neuregelung können in Südtirol 24 Bürgermeister, die bereits drei Amtsperioden absolviert haben, bei den nächsten Wahlen erneut kandidieren.
Immerhin überraschend, dass die rechtsrechte römische Regierung in den kleineren Gemeinden einen demokratischen Frühling erlaubt.
Für Gemeinden bis zu 15.000 Einwohnern werden sie auf drei Amtsperioden gedeckelt.
Bei den großen Gemeinden hingegen, ab 15.000 Einwohnern, bleibt die Mandatsbeschränkung aufrecht. Die Diskussion darüber wurde italienweit recht heftig diskutiert. Auch innerhalb der Rechtskoalition aus Fratelli, Lega und Forza Italia.
Das Ganze schmeckt nach gelenkter Demokratie. Freie Wahlen, autonome Entscheidungen? Fehlanzeige. Für Gemeinden mit mehr als 15.000 Einwohnern gilt weiterhin die 1993 eingeführte Regel – ihre Bürgermeister:innen dürfen sich nur zweimal der Wahl stellen. Nach zehn Jahren Bürgermeisterei ist Schluss.
Die abermalige Bestätigung der Mandatsbegrenzung »bestraft« auch Bürgermeister in Südtirol, den Bozner Renzo Caramaschi, den Brunecker Roland Griessmair, während der Brixner Peter Brunner und der Leiferer Christian Bianchi »rechtzeitig« in den Landtag gewechselt sind.
Jetzt gilt also eine gesamtstaatliche Regelung, eine Regelung von »oben«, wenn man so will. Bisher galt in der autonomen Region Trentino Südtirol für alle Gemeinden eine Mandatsbeschränkung nach der dritten Amtszeit. Auch im jüngsten Reformversuch brachten sich Südtirol und das Trentino mit eigenen Vorschlägen ein. Während sich die SVP und die kleinen Gemeinden den staatlichen Vorschlag zueigen machten, forderten die Trentiner Gemeinden drei Amtsperioden für die Großgemeinden. Ein leiser anti-staatlicher Widerspruch.
Daraus wurde nichts. Das Verfassungsgericht verpflichtete die autonome Region Trentino und Südtirol zur Einhaltung der Vorgaben der Regierung. Was für ganz Italien gut ist, wird wohl auch für die autonome Region gelten.
Es entscheiden also nicht die Wähler:innen größerer Gemeinden, wer sie verwalten soll, sondern der Zentralstaat. Die von Kritikern als »Kaste« verunglimpften Parlamentarier samt Regierung — für die es keine Mandatsbegrenzung gibt — mischen sich auf unzulässige Weise in die demokratische Mitbestimmung der Bürger:innen ein.
Warum dürfen sich Bürgermeister:innen von Gemeinden mit mehr als 15.000 Einwohner:innen nur zweimal der demokratischen Wahl stellen? Welche Gefahren drohen, wenn Bürgermeister nach zehn Amtsjahren sich nochmals dem Bürgervotum stellen? Vetternwirtschaft, Korruption, Filz? So als gäbe es dies auf Staatsebene nicht? Sollen damit »Dorfkaiser« verhindert werden?
Souverän Bürger:innen?
Sollten darüber nicht die Bürger:innen entscheiden? Gelten doch die Gemeinden in einem demokratischen Rechtsstaat als eines der Herzen eben dieser Demokratie. »In der Gemeinde können die Bürgerinnen und Bürger […] Demokratie praktisch einüben. Die örtlichen Verhältnisse gelten als überschaubar, die Problemlagen als noch durchschaubar, die Entscheidungsprozesse als unmittelbar beeinflussbar sowie Maßnahmen der Kommunalpolitik und Anwendungen des Kommunalrechts als persönlich erfahrbar«, fasst Professor Andreas Kost von der Universität Duisburg-Essen die Rolle der Gemeinden in der Demokratie kurz und bündig zusammen.
Kurzum, die Gemeinden sind die Wiege der Demokratie, der Europarat schwärmt von der kommunalen Bürgerbeteiligung, in ihrem Vertrag von Lissabon anerkennt die EU das kommunale Selbstverwaltungsrecht. Ziel ist die Stärkung der lokalen Ebene. Verwundert nicht, »denn zwei Drittel des EU–Rechts betrifft die Gemeinden mittelbar oder unmittelbar, denn nicht nur Umwelt- und Vergaberecht sind lokal umzusetzen, auch das Binnenmarkt- und das Wettbewerbsrecht treffen die Gemeinden als Erbringer der Daseinsvorsorge, als Fördergeber und Datensammler«, heißt es auf der Seite des auf der Seite des Österreichischen Gemeindebundes.
Bei den verschiedenen gelungenen und gescheiterten italienischen Verfassungsreformen überboten sich die Reformer in ihrer Lobhudelei über die Rolle der Gemeinden in der parlamentarischen Demokratie. Sie sollten sogar autonom sein dürfen, pures Sonntagsgeschwätz, hochprofessionelles Geschwafle. Die hochgelobte kommunale Autonomie endet mit einer drastischen Mandatsbeschränkung.
Mandatsbeschränkung gegen Langzeitbürgermeister
Zweifelsohne — bleiben wir in Südtirol — gab es Langzeitbürgermeister. Altgediente dominierten über Jahrzehnte die Gemeinden, Karl Stecher 24 Jahre lang Mals, sein Nachfolger Albert Flora 17 Jahre, Hans Gamper 50 Jahre Algund, Fritz Dellago 24 Jahre Eppan, Wilfried Battisti-Matscher 30 Jahre Kaltern, Vinzenz Karbon 24 Jahre Kastelruth, die Liste der »Langdienenden« ist fast so lange wie die Liste der 116 Südtiroler Gemeinden. Manche von denen agierten wie Großgrundbesitzer, wie Bauern eines großen geschlossenen Hofes.
Nach heftigen Diskussionen über eine Mandatsbeschränkung zog die SVP in den 1990er Jahren die Reißleine und formulierte eine überschaubare Amtszeit für Bürgermeister.
Die »Dorfkaiser«, so formulierte es Hans-Karl Peterlini in den 1980er Jahren in der damaligen »Wochenillustrierten« ff, wirkten wie eine Bremse in der Kommunalpolitik, verhinderten die Erneuerung von Gemeindeverwaltungen und der SVP, kurzum, die Langzeit-Bürgermeister waren — meist mit einem satten Bürgervotum ausgestattet — der notwendig gewordenen Modernisierung im Weg.
Tatsächlich führte die Mandatsbeschränkung in den Gemeinden zu einer Rundumerneuerung, Junge konnte nachrücken, die alten Herren — lange Zeit für das schlechte und gute Wetter in den Gemeinden verantwortlich — mussten weichen.
Wählerentscheidung respektieren
Nach dem ersten Kahlschlag der Veteranen, der mancherorts sicher auch als »Befreiung« einer bleiernen Zeit empfunden wurde, meldeten sich die Kritiker der Mandatsbeschränkung wieder lauter zu Wort. So zitierte Der Vinschger im März 2009 den Grauner SVP-Koordinierungsobmann Eduard Fritz folgendermaßen: »Wir […] sind schon seit Jahren dafür, dass die Mandatsbeschränkung für Bürgermeister und Referenten aufgehoben werden soll, weil es einzig und allein den Wählern überlassen werden soll, ob ein Bürgermeister oder ein Referent nach 15 Jahren weiterarbeiten darf oder nicht.«
Bei feierlichen Anlässen wird immer wieder der Wähler als der Souverän hochgejubelt, das handelnde Subjekt der Demokratie. Offensichtlich wird diesem Souverän aber kräftig misstraut, davon sprechen die verschiedenen Wahlgesetze. Eines wird bezeichnenderweise Porcellum (Verfasser war Roberto Calderoli von der Lega), eine »porcata«, eine Schweinerei genannt.
In dieser Logik ist die bestätigte Mandatsbeschränkung für Bürgermeister:innen von Gemeinden mit mehr als 15.000 Einwohnern. Damit schränkt die rechtsrechte Regierung die Wahlfreiheit der Bürger weiterhin ein, genauso die freie Kandidatur, mit dem Segen der Verfassungsrichter. Eingeschränkt wird aber auch die autonome Entscheidung Südtirols.
Die SVP akzeptierte das Veto aus Rom. SVP-Regionalassessor Franz Locher sprach von klaren Verhältnissen und Rechtssicherheit.
Laut Artikel 4 der republikanischen Verfassung hat jeder Bürger die Pflicht, »nach seinen Möglichkeiten und seiner Wahl eine Tätigkeit oder Funktion auszuüben, die zum materiellen oder geistigen Fortschritt der Gesellschaft beiträgt.« Eine Mandatsbeschränkung ist das glatte Gegenstück dazu.
Die Verfassungsreform von 2001 wertete die autonomielosen Regionen auf und stärkte die Gemeinden. Die Reform unterstreicht die Rolle der Gemeinden als jener Gebietskörperschaft, die den Bürgern am nächsten ist. Seitdem gelten die Gemeinden als autonome Körperschaften. Die Mandatsbeschränkung auf zwei Amtsperioden respektiert die Autonomie der Gemeinden nicht, noch viel weniger die Freiheit der Bürger, auswählen zu können.
Während in den Gemeinden unter 5.000 Einwohnern die Bürger frei entscheiden dürfen, wen sie zum Bürgermeister bzw. zur Bürgermeisterin wählen und ein Bürgermeister immer wieder kandideren darf, gilt dieses demokratische Recht nicht für die Gemeinden mit 5.000 Einwohnern und mehr. Eingedämmte Demokratie.
Genausowenig respektiert diese Order von oben, Regierung plus Verfassungsgericht, die Regional- und Landesautonomie. Sollte wennschon nicht in Südtirol entschieden werden können, wie oft ein Bürgermeister, eine Bürgermeisterin, kandidieren darf?
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