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Alles erstickende Bürokratie.

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»Falls sich wer über die deutsche Bürokratie beklagen will, ein Beispiel aus Südtirol.« Dass auf eine solche Einleitung keine Lobeshymne folgen wird, erklärt sich von selbst.

Beim Kurznachrichtendienst Bluesky fährt Zeit-Journalist Tobias Hürter (laut Kurzbio »Munich and South Tyrol«) folgendermaßen fort:

Ich soll einen Vortrag am Institute for Advanced Study [in] Bozen halten. Für das Honorar soll ich eine Rechnung mit UID-Nr. schreiben. Öffentliche Einrichtung, sie müssen formell eine Ausschreibung machen… (1/2)

Tobias Hürter (29. Juli 2025)

(2/2) … Für die Ausschreibung brauchen sie dann ein Angebot von mir. Für das Angebot muss ich mich bei einem Portal der Provinz Südtirol registrieren. Für einen Vortrag!

– Tobias Hürter (29. Juli 2025)

Ja, die Europäische Union hat die Regeln in diesem Bereich verbürokratisiert. Oder wie ein (italienischer) Freund kürzlich zu mir meinte, muss sich Brüssel da wohl Italien zum Vorbild genommen haben, statt skandinavischer Mitgliedsstaaten.

Doch was in Rom bei der Umsetzung wieder einmal ersonnen wurde, lässt auch Kafkas kühnste Albträume wie einen Kindergeburtstag erscheinen.

Unter Hürters Klage postete der aus Südtirol stammende Wiener Physikprofessor Christoph Dellago, Direktor des Erwin-Schrödinger-Instituts für Mathematik und Physik:

Habe kürzlich in einer Oberschule in Bozen einen Vortrag gehalten. Die wollten mir die Fahrtkosten ersetzen, aber dafür hätte ich ein 6-seitiges Formular ausfüllen müssen. Ich habe gern verzichtet.

Christoph Dellago (30. Juli 2025)

Wer jetzt voreilig »dank Überbürokratie Geld gespart« denkt, sollte sich fragen, wie lange Vortragende solche Spielchen überhaupt noch mitmachen und wie viele einmalige Gelegenheiten Schülerinnen (und dem ganzen Land) dann verloren gehen könnten.

Davon abgesehen kosten diese wahnsinnigen Prozeduren sowieso Unmengen an Energie und Geld. Die damit einhergehenden Wettbewerbsfähigkeitsverluste stehen zum Verzicht auf eine Fahrtkostenerstattung in keinem Verhältnis.

Wart’s ab

Weitere Kommentatorinnen wiesen Herrn Hürter darauf hin, dass der Albtraum mit dem Geschilderten noch lange nicht ausgeträumt sei.

Warte mal, bis du dich tatsächlich registriert hast und dann an der Ausschreibung teilnehmen darfst. Das macht kein normaler Mensch mit 🤪

– Andreas Baumgartner (29. Juli 2025)

Der Direktor des Südtiroler Naturmuseums, David Gruber, nennt das, »was in den letzten Jahren beim Vergabewesen im öffentlichen Dienst alles dazugekommen ist« »echt krass« und »Verbürokratisierung galore«. Bei Dienstleistungen müsse die Vergabestelle anhand des Kollektivvertrags »sogar die Arbeitskosten der Mitarbeitenden abschätzen«.

Also wenn ich Catering beauftrage: wie viele Stunden Koch, wie viele Stunden Bedienung, wie viele Stunden xy brauche ich und wie viel kostet das. Diesen Höchstbetrag muss ich in der Angebotsanfrage definieren. Und wehe der Wirtschaftsteilnehmer liegt mit seinem Angebot bei den. Arbeitskosten darüber oder darunter.
Und ja, das gilt bei allen Dienstleistungen.

– David Gruber (30. Juli 2025)

Als Herr Hürter berichtet, er habe (mithilfe von ChatGPT) die Onlineformulare ausgefüllt, die Anmeldung beim Portal erledigt und das Angebot formuliert, erwidert Herr Gruber:

Und du glaubst damit ist es getan?
You poor thing 😅😂
Jetzt kommt Anlage A1 (wenn du Glück hast die vereinfachte Version). Dann der Zuschlag. Dann das Auftragsschreiben (das du nochmal digital unterzeichnen darfst). Und hast du das modello D (Doppelsteuerabkommen Deutschland – Italien) schon 1/2

– David Gruber (2. August 2025)

von deiner Finanzverwaltung ausfüllen lassen? Ahja, und habe ich schon das Formular bzgl. des Nicht-Bestehens eines Interessenkonfliktes erwähnt? 2/2

– David Gruber (2. August 2025)

Als Laie kann ich nicht einschätzen, was von alledem tatsächlich noch anfallen wird. Erfahrungsgemäß kommt es eher noch dicker als man zunächst befürchtet.

Ach, Bürokratie gibt es doch auch in…

Ausländische Kundinnen, die ich regelmäßig über den hiesigen Bürokratiewahnsinn in meinem Berufsfeld vorgewarnt habe, konnten sich das reale Ausmaß noch nie vorstellen. Egal wie dringend ich jeweils vorgewarnt habe, es kamen immer Bemerkungen wie »ach, auch bei uns in [anderes Land] hat die Bürokratie ein unerträgliches Ausmaß angenommen.« Doch dann waren alle noch jedes einzelne Mal erstaunt über die unfassbaren Verirrungen italienischer Bürokratie. Und das, obwohl sie in der Regel bei weitem nicht alles mitbekommen, sondern nur eine »gefilterte« Version, weil sie den meisten Kram ja gar nicht selbst erledigen müssen.

Vor wenigen Monaten hat mir zudem ein Euregio-Mitarbeiter erzählt, die italienische Bürokratie treibe inzwischen sogar die Nord- und Osttirolerinnen in den Wahnsinn. Da der GECT-Sitz in Bozen ist, müssten etwa auch Nordtiroler Caterer, die in Nordtirol bei Veranstaltungen für die Euregio tätig sind, Dinge wie Antimafia- und Dutzende andere Erklärungen abgeben.

Andere EU-Vorgaben wie Intrastat hat Italien ebenfalls völlig realitätsfremd umgesetzt. Während sie etwa in Deutschland und Österreich nur für Unternehmen ab mehreren hunderttausend Euro Auslandsumsatz gelten, gibt es eine solche Schwelle südlich des Brenners nicht. Auch wer in Innsbruck auf Rechnung einen Kugelschreiber kauft, unterliegt der Intrastat-Pflicht.

Auch Herrn Hürters Vortrag wäre weiter nördlich nicht ausschreibungspflichtig, wie er selbst in einem weiteren Posting schreibt:

In Deutschland muss bei öffentlichen Aufträgen ja auch eine Ausschreibung gemacht werden, aber so etwas wie dieser Vortrag fiele unter „Alleinstellungsmerkmal“, sagt meine Frau (Stadt München).

Tobias Hürter (2. August 2025)

Wäre Südtirol ein eigener Staat — oder zumindest eine echte Autonomie, die das im Rahmen der EU-Vorgaben alles selbst regeln dürfte —, könnten wir uns sehr, sehr viel unnötige Bürokratie einfach sparen, die heute vieles nicht nur verlangsamt, sondern oft genug auch verhindert.

Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21



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Comentârs

8 responses to “Alles erstickende Bürokratie.”

  1. artim avatar
    artim

    Ich hatte als Referent bzw. Vortragender immer eine Honorarnote ausgestellt. Funktioniert das nun nicht mehr?

    1. G.P. avatar
      G.P.

      Doch. Aber die Honorarnote ist der Abschluss, zuvor gibts den oben beschriebenen Hindernislauf.

  2. G.P. avatar
    G.P.

    Und nebenbei bemerkt: Digital bedeutet in diesem Zusammenhang, Formulare einzeln herunterladen, ausfüllen, digital unterschreiben und Formulare wieder hochladen!!! Unter digital verstehe ich etwas anderes. Das alles läuft über die Ausschreibungsplattform des Landes, welche in der Regel unmöglich lange Ladezeiten.
    Ist für einheimische Unternehmen und Freiberufler gleich aufwendig wie für ausländische. Und das alles auch schon für Kleinstbeträge.
    Der Wahnsinn hat einen Namen: Bürokratie.

  3. Martin Piger avatar
    Martin Piger

    Auch wegen dem hier Geschilderten (aber nicht nur) bin dafür, am Siegesdenkmal den Ring abzunehmen und die (ohnehin nie glaubwürdig erfolgte) “Historisierung” als obsolet und gegenstandslos zu erklären, weil man schlicht anerkennen muss, dass vor allem die Sprüche mit Sprache und Kultur als wahr angesehen werden müssen. Nicht, dass wir vorher keine Sprache und Kultur gehabt hätten aber immer mehr übernimmt die Politik der deutschen Minderheit ohne wirkliche Gegenwehr Sprache und Kultur und immer mehr auch Narrative unseres zukünftigen Gastlandes. Immer mehr gerät man als Südtiroler nämlich in die Rolle des geduldeten Gastes in der eigenen Heimat. Verkehrte Welt, möchte man meinen. Aber Kompatschers SVP macht es möglich. Gerechterweise muss man aber sagen, dass bereits Durnwalder die Grundlagen für diese Politik und ihre Folgeerscheinungen gelegt hat.

  4. Wolfgang Mayr avatar
    Wolfgang Mayr

    Ich habe im Jänner 2023 der Universität Bozen einen Vortrag mit dem indianisch-kanadischen Filmemacher Ernest Webb vermittelt. War das ein bürokratischer Aufwand, ein Hindernislauf dagegen ist herrlich. Es schien, als hätte Webb um Einbürgerung angesucht, um eine Jobvermittlung, um die Teilnahme an der Zweisprachigkeitsprüfung, um die Abgabe der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, um die Befreiung von bestimmten Steuern und um Landesbeiträge. Die Finanzierung der Reise war ein finanzielles Abenteuer, lange dauerte es, bis er zu seinem Uni-Geld kam. Ich werde sicher nie mehr “etwas” vermitteln.

    1. artim avatar
      artim

      Danke für den Hinweis.

  5. Hartmuth Staffler avatar
    Hartmuth Staffler

    Ich habe vor einiger Zeit den Fehler gemacht, an einer Südtiroler Oberschule einen Vortrag zu halten, für den man mir ein bescheidenes Honorar und Fahrtkostenvergütung zugesagt hat. Nach zwei Monaten bürokratischem Hin und Her mit unzähligen Formularen, die ich ausfüllen musste, habe ich schließlich das Handtuch geworfen und großzügig auf das Geld verzichtet. Staatliche Vorgaben treiben aber auch die Privatwirtschaft in die Verzweiflung. Ich bin vor kurzem von einer Südtiroler Bank, bei der ein von mir vertretener Verein ein Konto hat, ersucht worden, für eine Unterschriftsleistung vorbeizukommen. Rund 40 Minuten lang habe ich eine Unzahl an Seiten unterschrieben, man hat zum hundertsten Mal meinen Ausweis und meine Sanitätskarte kopiert und mir die unmöglichsten Fragen auch privater Art gestellt. Wenn ich all das gelesen hätte, was ich unterschreiben musste, dann wäre ich heute noch dort. Wenige Tage später bin ich von der Bank angerufen worden: Bedauerlicher Weise seien mir die falschen Unterlagen vorgelegt worden, und alles, was ich in mühsamer Arbeit unterschrieben hatte, war umsonst. Beim zweiten Anlauf, zu dem ich eingeladen wurde, wusste dann niemand von der Sache. Es wurde mir geraten, inzwischen “eine Runde durch die Stadt zu machen”, da man den zuständigen Sachbearbeiter ausfindig machen müsse. Nach etwa einer Stunde war das dann erfreulicher Weise gelungen und ich durfte meine Unterschriften machen. Das kommt heraus, wenn man absurde Vorschriften mit Digitalisierung kombiniert.

  6. G.P. avatar
    G.P.

    Warum wohl ist die Arbeitsproduktivität in Italien (und auch in Südtirol) im internationalen Vergleich so niedrig und stagniert schon seit vielen Jahren?

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