Auch Fanpage, das italienische Onlineportal, das kürzlich die Verstrickungen von FdI und Lega mit dem Neofaschismus aufgedeckt hat, schlägt nationalistische Töne an, sobald es um einen aus Südtirol stammenden Sportler geht.
Tennisprofi Jannik Sinner spielt derzeit beim ATP500-Turnier in Wien, nachdem er kürzlich jenes in Antwerpen für sich entschieden hatte. Dass der aus Sexten stammende Spieler in der österreichischen Hauptstadt vom Platzsprecher als Südtiroler bezeichnet wurde und seine Sitzbank — anders als die anderer italienischer Spieler — mit einem Anfeuerungsspruch in deutscher Sprache versehrn ist, findet Fanpage unangemessen.
Obschon die Organisatoren des Wiener Turniers wissen, dass Sinner Italiener ist, halten sie ihn offenbar für einen Südtiroler Spieler und [für] deutscher Muttersprache.1Übersetzung von mir. Original: »Evidentemente gli organizzatori del torneo di Vienna, pur sapendo che Sinner è italiano, lo considerano un giocatore sudtirolese e di madre lingua tedesca.«
— Fanpage
Da versucht das Portal, einen Widerspruch zwischen italienischer Staatsbürgerschaft und Südtirol bzw. der deutschen Muttersprache zu konstruieren — was ja schließlich auch in vielen Köpfen so verankert ist: Italien → Italiener → italienisch(e Sprache). Nationalstaatliche Logik par excellence, aus der wir nicht herauskommen, als steckten wir in einem ewigen Treibsand. Und die wiederum Erwartungen und selbst erfüllende Prophezeihungen generiert, die alle in dieselbe Kerbe schlagen.
Doch wenn es für jeden Tennisspieler so wäre, müsste man für Berrettini, der am Freitag im Viertelfinale gegen Alcaraz spielt, einen Anfeuerungsspruch in Römisch [auf die Sitzbank] schreiben.2Übersetzung von mir. Original: »Ma se fosse così per ogni tennista allora bisognerebbe scrivere un incitamento in romano a Berrettini, che venerdì giocherà i quarti contro Alcaraz.«
— Fanpage
Wenn Südtiroler Sportlerinnen international erfolgreich sind, werden sie regelmäßig auf ihre nationale Gesinnung getestet. Skiprofi Dominik Paris wurde schon dafür kritisiert, dass er einem europäischen Sportsender ein Interview in seiner Muttersprache Deutsch gegeben hat. Und Sinner hat erst gar nichts selbst dazu beigetragen, um in dieses Schlamassel zu geraten.
Der Nationalismus ist ein verbissener Hund, der immer und immer wieder zubeißt — und gegen dessen Urinstinkt kein Kraut gewachsen ist.
In konstitutiv mehrsprachigen Staaten wie der Schweiz oder Belgien wäre es unvorstellbar, dass etwa Sportlerinnen aus den frankophonen Landesteilen dafür gemobbt würden, dass sie ein Interview auf Französisch geben, »obwohl sie ja keine Französinnen sind!«. Doch mononationale Staaten tolerieren keine Abweichung und Diversität — und leider scheint es diesbezüglich in Italien eine besonders ablehnende Haltung zu geben.
Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 | 1› 2›
- 1Übersetzung von mir. Original: »Evidentemente gli organizzatori del torneo di Vienna, pur sapendo che Sinner è italiano, lo considerano un giocatore sudtirolese e di madre lingua tedesca.«
- 2Übersetzung von mir. Original: »Ma se fosse così per ogni tennista allora bisognerebbe scrivere un incitamento in romano a Berrettini, che venerdì giocherà i quarti contro Alcaraz.«
4 replies on “Sinner ist Italiener, kein Südtiroler.”
Der ORF rückt das schon wieder zurecht. Wo kämen wir denn hin, wenn wir in Sachen Identitätsverständnis uns bereits im 21. Jahrhundert vom 19. emanzipieren würden.
https://sport.orf.at/stories/3086096/
Naja, ganz unschuldig ist der junge Herr selbst nicht an der Tatsache, dass ihn die italienischen Medien derartig für sich vereinen.
Seit er als glaube ich 13jähriger nach Genua gegangen ist mit dem klaren Ziel Tennisprofi zu werden, liefern er und sein Team (zu dem auch ein Südtiroler gehört) den italienischen Medien mehr Stoff als den lokalen. Sein Wohnsitzwechsel nach Monte Carlo wird in der italienischen Medienlandschaft weit mehr als Kavaliersdelikt gesehen als hierzulande. Seit er sein Privatleben jedoch mit einer italienischen Influencerin teilt, erfüllt er vollständig das Wunschprofil des klassischen Italieners, stellt die Dame doch einige geheime Wunschträume der Fans und der Medien offen zur Schau. Sie passt so gar nicht zu ihm und es entsteht der Eindruck, dass er als Mittel zum Zweck für die eigene Karriere verwendet wird, aber wichtig ist, dass den Medien dadurch Futter gegeben wird.
In meinen Augen zeigt er die klassischen Attitüden eines Profisportlers: mit Talent ausgestattet, aber ziemlich wenig in der Birne. So reich, dass viele davon träumen, das ist dann vielen wichtiger als Bindung zur eigenen Kultur.
Es geht hier aber nicht darum, ob Sinner »ein Italiener ist« oder nicht oder wie er sich persönlich fühlt und gibt. Das ist seine Sache und die geht niemanden was an. Das Problem ist, dass der Nationalismus gar nichts anderes zulässt, als was er aus seiner Warte für die einzig richtige Zuordnung hält (Sinner könnte gar nichts anderes sein als ein Italiener, ob er es will oder nicht) und dass er sogar Inkompatibilitäten und Exklusivitäten konstruiert, die völliger Schwachsinn sind: Sinner kann sich ja genauso als Italiener fühlen, wenn er ein Südtiroler ist und in Wien deutsch spricht — so wie sich theoretisch ein Sportler italienischer Muttersprache als reiner Südtiroler fühlen könnte, ohne sich für Italien zu erwärmen. Identitäten sind plural (und individuell!) und diese verabsolutierende nationalistische Vereinnahmung ist grundsätzlich abzulehnen.
Gut, dann nochmals mit anderen Worten. Mir ist vollkommen wurscht als was sich Sinner fühlt, ich kann es auch nicht beurteilen. Ich behaupte, dass Medien aufgrund der Darstellung, die von der Person gewählt wird, eine leichtere Einordnung vornehmen und aufgrund der zentralistischen Neigungen derselben in Italien gerne den Italiener vom Brenner bis Ragusa über einen Kamm scheren. Sportfans sind solche, die sich Gewinnertypen suchen, um ihre eigene Schwäche zu kompensieren, dabei ist ihnen egal woher der Typ stammt oder “wie er sich fühlt”; und diese müssen von Medien bedient werden. Und über die Qualität der italienischen Sportmedien dürften wir hoffentlich sogar einer Meinung sein.
Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob Tommy Engel oder Hans Scheibner bewusst als gesamtstaatlich wahrzunehmende Künstler auftreten oder eben – nochmals bewusst – ihr Publikum in Köln und Hamburg bedienen. Dass dabei einzelne Bewunderer aus anderen Landesteilen stammen können, wird gerne in Kauf genommen, man lebt schließlich nicht von der Luft alleine. Trotzdem haben gewisse Künstler und/oder Sportler stets ihren Bezug zu ihrer Herkunft deutlich untermalt, eventuell auch in dialektaler Form. Die “canzone napoletana” wäre auch so ein Beispiel oder Lino Banfi. Für romantische Sportfans stellt “Uns Uwe” das Beispiel schlechthin dar.
Dabei steht es außer Frage, ob sich die Künstler als Neapolitaner oder als Italiener fühlen, sie beweisen durch ihr Tun eine eindeutige Zugehörigkeit zu ihrer Heimat, dies macht sie in ihrem Territorium zu unbestrittenen Identifikationsfiguren (Bsp. Tommy Engel). “Uns Uwe” hat auch für Deutschland gespielt, für Hamburger ist er jedoch die Identifikationsfigur schlechthin geblieben.
Dies ist im Falle des Sextners nicht so, ich traue ihm zu diesen Vorgang sogar unbewusst – aus Gier nach Erfolg – eingeleitet zu haben. Dass dabei etliche Bezüge zu Südtirol verloren gehen ist jenen, die nach Erfolg streben üblicherweise einerlei.