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Autonomiereform: Schutz der nationalen Mehrheit.

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Langsam sickert durch, was der Entwurf zur Autonomiereform beinhaltet und dass sich die italienischen Rechten mit ihren Forderungen fast auf der ganzen Linie durchsetzen konnten. Das finden nicht nur Alessandro Urzì (FdI) oder Michaela Biancofiore (Coraggio Italia) ziemlich dufte, sondern zum Beispiel auch Fabio Gobbato auf Salto.

Vergifteter Apfel

Das, was durch die Reform an Autonomie gewonnen werden könnte ist — wenn die durchgesickerten Informationen stimmen — keineswegs zu verachten. Aber dass bei Autonomieverhandlungen von einer Minderheit überhaupt Zugeständnisse gefordert werden, ist völlig unüblich. In diesem Fall ist es sogar so, dass die Zugewinne an Autonomie (bzw. deren Wiederherstellung) allen zugute kommen, während die Konzessionen einseitig dem Minderheitenschutz schaden und der Titularnation nutzen. Hinzu kommt, dass sie aus demokratischer Sicht teils sehr bedenklich sind.

Alessandro Urzì von den neofaschistischen Fratelli d’Italia hatte die Beschneidung der Ansässigkeitsklausel gefordert, und wie kolportiert wird soll es auch wirklich so kommen: Statt vier sollen Zuwandernde aus italienischen Regionen fortan nur noch zwei Jahre in Südtirol ansässig sein müssen, um an Gemeinde- und Landtagswahlen teilnehmen zu dürfen. Gobbato schreibt, die vierjährige Ansässigkeitsklausel hätte in den Siebziger Jahren einen Sinn gehabt, als die Zuwanderung aus Italien noch hoch war. Im Jahr 2025 sei das aber ein Irrsinn. Warum es ein Irrsinn sein soll, belegt er nicht. Gerade jetzt, wo der Anteil der Deutschsprachigen in vielen Gemeinden — insbesondere auch in der Landeshauptstadtso niedrig wie nie ist und sehr viele Menschen aus Italien hierher ziehen, kann eine Halbierung der Ansässigkeitsklausel riskant sein. Der Jubel von Urzì & Co. lässt ebenfalls erahnen, dass dies ganz im »nationalen Interesse« (und so gar nicht im Interesse der Minderheiten) ist.

Für einen echten Irrsinn halte ich hingegen eine Maßnahme, die von Gobbato als »vom gesunden Menschenverstand geleitet« bezeichnet: In Hinkunft soll der Landtag entscheiden können, bei der Zusammensetzung der Landesregierung statt der Gewichtung der Sprachgruppen im Landtag den allgemeinen Proporz in der Gesamtbevölkerung zu berücksichtigen. Auch dies war von Urzì gefordert worden. In der Praxis heißt das, dass die italienische Sprachgruppe zu Lasten der anderen in der Landesregierung besser vertreten sein wird, als es das Wahlergebnis vorgeben würde. Das ist nicht »nur« minderheitenfeindlich, sondern auch undemokratisch. In der Praxis wird diese Kannbestimmung wohl zu einer faktischen Mussbestimmung werden, denn die Gewählten der italienischen Sprachgruppe können Koalitioinsbildung so lange verweigern, bis der Landtag (mit den Stimmen der zu bildenden Mehrheit) »freiwillig« beschließt, vom Landtagsproporz abzugehen und den Bevölkerungsproporz anzuwenden. Dass sie zu solchen Erpressungen nicht nur in der Lage sondern auch mit vollster Beharrlichkeit gewillt sind, haben sie bereits bei den letzten Koalitionsverhandlungen gezeigt, als es darum ging, einen weiteren italienischen Landesrat zu erzwingen. Italienische Rechte und italienische Linke ticken dabei grundsätzlich ähnlich und stellen im Zweifelsfall oft die ethnische Logik allem anderen voran.

Lustig nicht lustig: Der Proporz ist immer bäh — wenn es jedoch darauf ankommt, die nationale Causa gegen die Minderheiten durchzusetzen, ist er plötzlich ganz toll. Auch für Salto.

Eine weitere Ad-Hoc-Bestimmung, die der Titularnation zugute kommt, ist die, dass das ladinische Mitglied der Landesregierung zum Zwecke des Proporzes zwischen deutscher und italienischer Sprachgruppe nicht berücksichtigt wird. Daran wäre nämlich bei der letzten Regierungsbildung nahezu der zweite italienische Landesrat gescheitert.

Nicht zuletzt soll auch die letzte Forderung des Ultranationalisten Urzì im Reformentwurf enthalten sein: Wiederum zu Lasten der Sprachminderheiten soll es fortan möglich sein, am Proporz vorbei eine Italienerin zur Gemeindereferentin zu ernennen, auch wenn es nur eine einzige italienische Gemeinderätin gibt. Wie bei der Zusammensetzung der Landesregierung wird es der Titularnation auch hier nicht schwer fallen, durch Erpressung (und medialen Druck) die Kann- in eine faktische Mussbestimmung zu verwandeln.

All das kommt gerade jetzt, wo die deutsche und die ladinische Minderheit ohnehin schrumpfen und wennschon mehr Schutz nötig hätten. Neue Schutzmaßnahmen sind in der Reform jedoch nicht enthalten. Stattdessen werden die Minderheiten fortan — mit voraussichtlicher Zustimmung der SVP — noch mehr unter Druck gesetzt.

Cëla enghe: 01 02 03 04 05 || 01 02 03 04 05 06



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Comentârs

4 responses to “Autonomiereform: Schutz der nationalen Mehrheit.”

  1. G.P. avatar
    G.P.

    … während die Konzessionen einseitig dem Minderheitenschutz schaden und der Titularnation nutzen.

    DAS sieht Kompatscher interessanterweise aber völlig anders …

  2. Martin Piger avatar
    Martin Piger

    Ja, Herr Kompatscher hat eine gewisse Übung darin, politische Niederlagen als Siege zu verkaufen. Aber irgendwie hat er ja auch recht. Solange ihm die Südtiroler das abkaufen, wird er ständig so weitermachen.
    Dass man nicht über den Tisch gezogen wurde, darin gebe ich ihm allerdings recht. Da hat man sich, ohne Not, selber über den Tisch gezogen.
    Das Zugeständnis für die Verfassungsreform hätte eigentlich die Teilnahme der Rechten an der Landesregierung sein sollen, trotz erheblicher politischer Differenzen. Von weiteren Zugeständnissen wäre eigentlich nicht die Rede gewesen. Ein Mehr an Kompetenzen für ein Weniger an Schutz einzutauschen lässt eine bedenkliche Realitätswahrnehmung erkennen.

  3. Veronica Miron avatar
    Veronica Miron

    In der Theorie kann diese Reform noch abgelehnt werden, oder?

    1. Martin Piger avatar
      Martin Piger

      Ja, allerdings kann Kompatscher dann nicht mehr als der große Autonomiereformer in die Geschichte eingehen. Das wird er aber mit allen Mitteln zu vermeiden suchen.
      Eine Art Neunerprobe für den Minderheitenschutz wäre schon die begeisterte Zustimmung von Urzì und Biancofiore. Die beiden haben ihre Haltung zu den Südtirolern durch die Jahre nicht wirklich geändert.
      Also könnte man schon von da her riechen, dass an der Sache etwas faul ist.
      Die Zeiten haben sich nur insofern geändert, dass die Methoden der Assimilierung subtiler geworden sind, im Kern aber gleich geblieben sind. Die SVP hat, was Gehirnwäsche der Südtiroler anbelangt, leider dem Staat einiges an Arbeit abgenommen.

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