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Löchriger Schutz.

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Die Minderheiten in Italien benötigen tatsächlich einen Unterstaatssekretär

Es ist nicht immer nachvollziehbar, was dahinter steckt. Beispielsweise hinter der Idee von Minister Francesco Lollobrigida (FdI), nicht nur ein Freund des Bauernbundes, den ehemaligen Brunecker Bürgermeister in die Regierung zu holen. Er brachte laut Neuer Südtiroler Tageszeitung Roland Griessmair (SVP) als Unterstaatssekretär für Minderheitenfragen ins Spiel.

Lollobrigida ist ein Stratege. Er ließ die SVP im Landtagswahlkampf 2023 wissen, dass die Fratelli d’Italia mit der Volkspartei zusammenarbeiten möchten. In der neuen Landesregierung. Aus seinem Wunsch wurde Realität.

Als Landwirtschaftsminister wurde Lollobrigida Ansprechpartner für den Bauernbund, der vor zwei Jahren auch schon offensiv für eine Zusammenarbeit von SVP und Fratelli warb. Das angeblich überhandnehmende Großwild, Wolf und Bär, verbindet den Minister mit dem Bauernbund.

Ausgerechnet Lollobrigida. Simon schaute sich 2022 die parlamentarische Tätigkeit Lollobrigidas in Sachen Südtirol genau an. Sein Fazit damals: er und seine Kameraden seien von Südtirol besessen. In seinen Anfragen attackierte Lollobrigida Südtirol, warnte vor Sezessionisten und Selbstbestimmungsbefürwortern. Dieser Lollobrigida will nun einen Unterstaatsekretär für Minderheitenfragen installieren. Das war auch Thema eines Treffens mit Regionenminister Roberto Calderoli (Lega), ohne dass dabei Griessmairs Name fiel.

Griessmair lehnte sich bereits kräftig aus dem Fenster, beschrieb seine Rolle als technisch; er will Kümmerer dafür sein, dass das kleine Autonomiepaket durch das parlamentarische Gestrüpp kommt. Als Unterstaatssekretär will er auch Ansprechpartner für die Minderheiten sein. Minister Calderoli denkt dabei an einen Sonderstaatssekretär ohne politische Verpflichtungen gegenüber der Regierung.

Ein Kümmerer für Minderheiten?

Ein Kümmerer tut not, keine Frage, ein Kümmerer für die Belange der sprachlichen und nationalen Minderheiten Italiens. Die Lage der Minderheiten ist düster, obwohl die republikanische Verfassung aus dem Jahr 1948 mit Artikel 6 den Schutz der Minderheiten festschreibt. Dieser Verfassungsauftrag kümmerte das antifaschistische demokratische Nachkriegsitalien wenig bis kaum.

Erst 1999 wurde aus dem Artikel 6 der Verfassung das Rahmengesetz zum Schutz der Minderheiten. In seinem ersten Artikel unterstreicht dieses Gesetz, dass Italienisch die Amtssprache der Republik ist. Eine schräge Botschaft an die Minderheiten. Der entsprechende Entwurf wurde 1991 eingebracht. Es dauerte dann weitere acht Jahre, bis es dafür eine parlamentarische Mehrheit gab.

In die damaligen parlamentarischen Verhandlungen platzte 1996 die Euromosaic-Studie der EU-Kommission über die sprachliche Vielfalt. Von den damaligen 48 Minderheitensprachen im EU-Raum hatten 23 nur noch eine »begrenzte« oder gar »keine« Überlebensfähigkeit. Zwölf weitere Minderheitensprachen wurden als »bedroht« eingestuft.

In Italien galten als begrenzt bzw. nicht überlebensfähig Albanisch, Griechisch (Apulien und Kalabrien), Katalanisch (Sardinien), Kroatisch (Molise), Okzitanisch (Piemont) und Sardisch. Französisch (Aosta), Friulanisch und Slowenisch (Friaul) wurden als »bedroht« eingestuft, Ladinisch als »relativ überlebensfähig« und Deutsch in Südtirol als »vollkommen vital«.

Für Südtirol gilt der bilaterale österreichisch-italienische Pariser Vertrag von 1946, das internationale Fundament für das Zweite Autonomiestatut von 1972.

Dürftiger Minderheitenschutz

Das Minderheitengesetz hielt nicht, was es eh nicht versprach: die Förderung der Minderheiten. Am Zustand der minoritären Sprachen änderte sich seit Euromosaic wenig. Das änderte auch nicht die Ratifizierung der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates. Noch bevor das italienische Parlament ein Gesetz zur Umsetzung des Verfassungsartikels 6 auf dem Weg brachte, trat 1998 diese Rahmenkonvention des Europarates in Kraft. Eine unverbindliche Konvention mit einer Menü-Liste, aus der die Staaten die ihnen genehmen Maßnahmen wählen konnten.

Die einzige Verpflichtung für die der Konvention beigetretenen Staaten sind die dem Europarat vorzulegenden Berichte. Staatenberichte. In seinem sechsten Bericht 2024 erklärt Italien, warum Sinti und Roma nicht als Minderheiten anerkannt sind. Zwei Minderheiten, deren soziale Lage in vielen Bereichen äußerst miserabel ist, menschenunwürdig.

Dann folgt im Bericht viel Schönfärberei zu den Themen Rai und Minderheitensendungen sowie Schulen in Minderheitensprachen. Es wird darauf verwiesen, dass die Regierung 2022 und 2023 für den Schutz der slowenischen, katalanischen und sardischen Minderheiten in den Regionen Friaul-Julisch Venetien und Sardinien zehn Millionen Euro zur Verfügung stellte. Das soll Förderung sein? Das sind doch Krümel. Die verschiedenen Gesetze klingen überzeugend, die politisch Realität hält der Prüfung aber nicht stand.

Immer wieder bekundeten italienische Regierungen, auch die Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates ratifizieren zu wollen. Dieses völkerrechtliche Dokument reicht weiter als die Rahmenkonvention, ist aber auch nicht einklagbar. Außerdem können sich die Staaten aus den Schutzmaßnahmen jene aussuchen, die wenig kosten und für den Staat wenig verpflichtend sind.

Plan B

Es gäbe für einen Sonderstaatsekretär Griessmair viel zu tun. Was hat Griessmair mit Minderheiten und Minderheitenpolitik zu tun? Er ist SVP-Mitglied. Eine schnelle Internetrecherche bestätigt keineswegs ein Minderheitenengagement des ehemaligen Brunecker Bürgermeisters.

Nur einmal gab er den harten Autonomisten: Im vergangenen November 2024 wurde ihm klar, dass er nicht ein weiteres Mal für das Bürgermeisteramt in Bruneck kandidieren darf. Das Parlament schränkte die »Mandatszeit« für Bürgermeister in Gemeinden mit mehr als 15.000 Einwohnern ein (absurderweise gibt es aber für Parlamentarier:innen keine Beschränkungen).

Damals sagte Griessmair der Neuen Südtiroler Tageszeitung: »Wir sind eine autonome Provinz und wenn man als solche nur mehr staatliche Regelungen abschreiben kann, hat das mit Autonomie nicht viel zu tun.« Zweifelsohne ein guter Sager.

Und im Hickhack um die Mandatsbeschränkung ließ Griessmair die Öffentlichkeit wissen, dass er einen Plan B hat. Ist nun der Sonderstaatssekretär der Plan B?

Griessmair, Calderolis Seketär

Als möglicher Sonderstaatssekretär, vorgeschlagen von Minister Lollobrigida, kündigte Griessmair an, das Autonomiepaket nachbessern zu wollen. Ein schlechter Gag, denn dieser Entwurf für ein Verfassungsgesetz ist »blindato«, »unantastbar«, kann nicht mehr abgeändert bzw. ergänzt werden. Auch deshalb konnten der Südtiroler Landtag, der Consiglio Provinciale von Trient und der Regionalrat nur nichtbindende Gutachten abgeben.

Sein Job als Sonderstaatssekretär wird sein, das wird Regionenminister Calderoli Griessmair schmackhaft machen müssen, diesen Verfassungsgesetzentwurf zur Autonomie durch das Parlament zu begleiten. Als die rechte Hand von Calderoli. Tritt Griessmair in die Fußstapfen des Sterzinger SVP-Ortsobmannes Manfred Girtler, der 2001 von der Regierung Berlusconi als Staatsvertreter in die Sechserkommission berufen wurde? Die Freude darüber hielt sich bei der SVP in engen Grenzen. Wie auch jetzt. »Die Regierung in Rom entscheidet, nicht wir«, stellte Obmann Dieter Steger auf Rai Südtirol klar. Und Griessmair muss seine Parteimitgliedschaft ruhen lassen. Der Beleg dafür, dass die SVP dieser rechtsrechten Regierung nicht angehören will.

Cëla enghe: Autonomie-Report der Eurac, Autonomiereform – ein verfassungsrechtlicher Meilenstein?


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