Als Reaktion auf einen Beitrag des Eppaner Gemeinderates und vormaligen Co-Sprechers der Südtiroler Grünen, Felix von Wohlgemuth, über das sogenannte Siegesdenkmal, der auf erschienen ist, fand gestern Abend auf RAI-Südtirol ein Pro & Contra mit dem Historiker Hannes Obermair und dem Autor des Beitrags statt.
Von Wohlgemuth fordert eine radikale Dekonstruktion des faschismusverherrlichenden Charakters des Denkmals, das auf die “Müllhalde der Geschichte” befördert gehöre. Obermair schickte gleich zu Beginn voraus, dass es gut sei, über die Thematik zu diskutieren:
Ich freue mich sehr, dass wir diese Debatte hier führen können. Ich schätze auch, dass Herr von Wohlgemuth sich der Debatte stellt – im Unterschied zu anderen Exponenten vom rechten Rand, dem Sie nicht angehören, aber deren Argumentationsmuster Sie leider bedienen.
– Hannes Obermair
Erstaunlicherweise erliegt der eloquente Historiker, der maßgeblich an der Umsetzung des Dokumentationszentrums unterhalb des Siegesdenkmals beteiligt war, hier aber genau jenem Beißreflex, der so viele sachliche und notwendige gesellschaftspolitische Debatten in Südtirol und darüber hinaus im Keim erstickt. Nur weil eine angesprochene Thematik vom rechten Rand befeuert und besetzt wird, heißt das nicht notwendigerweise, dass man sich dessen Argumentationsmuster bedient, auch wenn dieses am Ende zumindest äußerlich und oberflächlich betrachtet ähnliche Resultate zeitigt. Obermairs Anwurf ist einer der schädlichsten für den demokratischen Diskurs, denn er führt dazu, dass rechten Gruppierungen die Deutungshoheit über bestimmte Themen kampflos überlassen wird, anstatt ihnen inhaltlich etwas entgegenzusetzen. Wenn man als bekennender Linker – von Wohlgemuths Selbstdefinition in der RAI-Diskussion – Gefahr läuft, zumindest bezüglich seiner Ansichten in die rechte Schublade befördert zu werden, nur weil man eine in der letzten Konsequenz, nicht jedoch in Motivation und Substanz, vergleichbare Forderung wie diverse Rechtspopulisten stellt, überlegt man lieber zweimal, ob man sich das antun möchte (Selbstbestimmungsbefürworter docet). Über mittlerweile Jahrzehnte hat die politische Linke es aus diesem Grund verabsäumt, vermeintlich rechte Themen wie Migration, öffentliche Sicherheit, Verteidigung usw. mit progressiven Konzepten, die über simple Parolen wie “Refugees welcome!” oder “ACAB” hinausgehen, zu besetzen und die Diskussion darüber faktenbasierend und ohne Scheuklappen und Denkverbote zu führen.
Für mich ist dieses Phänomen, wie auch die Schubladisierung von von Wohlgemuths Forderung, Ausdruck intellektueller Faulheit. Von Wohlgemuth hat ausdrücklich betont, dass das Dokumentationszentrum gelungen sei, gibt aber zu Bedenken, dass dieses nur von jenen wahrgenommen werde, die aktiv den Schritt dahingehend tun. Passiven und arglosen Betrachtern gegenüber würde das Denkmal jedoch nach wie vor ungebrochen seine menschenverachtende Wirkungsmacht entfalten (Leuchtring und Marmor sind – im Gegensatz zum Schriftzug beim Piffrader-Relief – nicht auf Augenhöhe), da zwar die Geschichte des Baus wissenschaftlich kontextualisiert wurde, nicht jedoch dessen äußeres Erscheinungsbild. Damit hat von Wohlgemut vollkommen recht und legt eine Haltung an den Tag, die eine wohltuende Abwechslung zur in Südtirol vorherrschenden Appeasement-Attitüde ist – frei nach dem Motto: “Rom würde das ohnehin nicht erlauben, also fordern wir es gar nicht” (Was sagt das über Rom aus? Was sagt das über Südtirols Autonomie aus?) oder “Eine Beseitigung würde die Gefühle vieler Italiener verletzen und sie eines wichtigen Identitätsfaktors berauben.” (Seit wann wird in einer Demokratie auf die Gefühle jener Rücksicht genommen, deren Identifikation von einem diktatorischen Symbol genährt wird?) Selbst Obermair hat unlängst im Mittagsmagazin auf RAI-Südtirol bestätigt, dass es hinsichtlich der Außenwirkung Optimierungsbedarf gäbe. Und über Ausmaß und Erscheinung dieser “Optimierung” wird man doch wohl noch diskutieren dürfen, ohne gleich in Verdacht zu geraten, rechte Argumentationsmuster zu bedienen. Allein dass ein Abriss oder auch nur eine Musealisierung des Siegesdenkmales den massivsten Protest bei italienischen Rechtsextremisten hervorrufen würde, ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass dies im Kern alles andere als ein rechtes Ansinnen ist, solange man gleichzeitig auch den Abriss nationalsozialistischer Denkmäler gutheißen würde. Auf welchem Planeten also ist die Forderung nach Schleifung faschistischer Denkmäler rechts? Nach dieser Logik wäre auch die in den USA immer wieder lancierte Forderung nach Entfernung der Statuen von Südstaaten-Generälen ein Konföderierten-Anliegen.
Beschämenderweise ist über Jahrzehnte – vom unrühmlich ausgegangenen Friedensplatz-Intermezzo abgesehen – bezüglich Geschichtsaufarbeitung rund um das Siegesdenkmal nichts weitergegangen, obwohl Bozen immer von Mitte-Links regiert wurde. Man kann sich leider des Eindrucks nicht erwehren, dass es die deutschnationalen Kräfte und Nostalgiker in Südtirol gebraucht hat, um Bewegung in die Sache zu bringen. Allen anderen war das Eisen zu heiß, was einiges über den Status totalitärer Ideologien hierzulande aussagt. Meine persönliche Vision für den “Bogen der Schande” wäre übrigens kein Abriss, sondern die folgende: Die Liktorenbündel werden abgeschlagen und in Trümmern am Boden unter dem Denkmal liegen gelassen, um den Fall des Faschismus zu symbolisieren. Zusätzlich wird das Denkmal komplett in rosarote Farbe getüncht und oben drauf wird eine Quadriga aus regenbogenfarbenen Einhörnern gesetzt. Die Treppen werden Teil eines Skateparks, der das Denkmal umgibt.
Gestaltungsvorschlag für das Bozner Siegesdenkmal – Bildbearbeitung von mir (Bildquelle)
Im Laufe der Diskussion hat mich eine weitere Aussage Obermairs erstaunt:
Sie müssten aber – weil Sie Deutschland zitiert haben – natürlich dann auch etwa in Buchenwald „Jedem das Seine“ entfernen. Das irritiert Sie wahrscheinlich genauso.
– Hannes Obermair
Obermair suggeriert somit, dass die Forderung nach Abriss des Siegesdenkmales zwangsläufig bzw. konsequenterweise auch die Forderung nach Abriss von Konzentrationslagern mit sich bringen müsse. Das ist – mit Verlaub – eine absurde Schlussfolgerung oder wiederum intellektuelle Faulheit. Was die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts anbelangt, gibt es mindestens drei Kategorien von architektonischen Zeugnissen, die völlig unterschiedlich zu betrachten sind. Zunächst gibt es da die Zweckbauten, die sich nach wie vor vielerorts finden und deren reine Existenz – wenn entsprechend entnazifiziert, sprich expliziter faschistischer Symbolik wie Hakenkreuzen entledigt – nicht bedenklich ist, obschon sie die propagandistische Ästhetik des Regimes weitertragen (z. B. die rationalistischen Büro- und Wohngebäude der Bozner Freiheitsstraße, das Berliner Olympiastadion usw.). Dann gibt es Gedenk- und Erinnerungsstätten wie die verbliebenen Konzentrationslager, die Mauer des Bozner Durchgangslagers oder auch – um ein Beispiel im kommunistisch-totalitären Kontext zu nennen – das ehemalige S-21-Foltergefängnis der Roten Khmer in Phnom Penh. Diese waren zwar auch “Zweckbauten”, jedoch war dieser Zweck der Innbegriff der Menschenverachtung dieser Regime. Somit sollte in einer demokratischen Gesellschaft klar sein, dass deren Erhalt (inklusive etwaiger Symbolik) ausschließlich Mahnmalcharakter haben kann. Für die dritte Kategorie – die Monumentalbauten, die keine praktische Funktion erfüllen, sondern wie im Falle des Siegesdenkmals ausschließlich Macht und Unterdrückung symbolisieren – gilt dies nicht. Sie werden nicht automatisch als Mahnmal wahrgenommen und entfalten – unkontextualisiert – ihre originäre Wirkung. Daher muss das “Jedem das Seine” in Buchenwald oder auch das “Arbeit macht frei” in Auschwitz selbstverständlich bleiben, das “HINC CETEROS EXCOLVIMVS LINGVA LEGIBVS ARTIBVS” jedoch wie das gesamte sogenannte Siegesdenkmal in dieser Form hinterfragt werden.
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