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Die überklebte Landessprache.
Gesetzeslage noch einmal deutlich verschlechtert

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ai

Seit bald zehn Jahren bemängeln wir die äußerst prekäre Lage der deutschen Sprache im Verbraucherschutz und machen öffentlich darauf aufmerksam.

Die gesetzliche Pflicht, Medikamenten — wie in anderen mehrsprachigen Ländern — zweisprachige Packungsbeilagen beizufügen, wurde von den Pharmariesen einfach ignoriert und ausgesessen, weil Gesetze zum Minderheitenschutz oft nur mangelhaft exekutiert werden. Es blieb nichts anderes übrig, als die Segel zu streichen und mit Bettelzetteln in den Apotheken Vorlieb zu nehmen. In anderen Bereichen, wie den Lebensmittel- und sonstigen Produktetikettierungen, gibt es erst gar keine Gleichstellung der deutschen und italienischen Sprache. Vorstöße, die Lage zu verbessern, wurden von italienischen Medien und Parteien (den rechten wie den »linken«) bekämpft, wenngleich sie sich in Sonntagsreden gern zum Plurilinguismo bekennen.

Mehrmals hatten wir in vergangenen Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass etwa die Nordtiroler Supermarktkette MPreis in Südtirol gezwungen ist, Waren auf Italienisch nachzuetikettieren — eine Pflicht, die erstens umgekehrt nicht gilt und zweitens zur völlig absurden Situation führt, dass deutsche Etiketten (in Südtirol, einem mehrheitlich deutschsprachigen Land) häufig überklebt werden müssen. Ein emblematischeres Beispiel für die Geringschätzung von Minderheiten kann man sich kaum vorstellen — als ob man in Ladinien ladinische Etiketten mit deutschen überkleben würde.

Nun hat es während all den Jahren, in denen nicht müde wurde, auf diese Diskriminierungen hinzuweisen, nicht nur keine Verbesserung gegeben, sondern sogar deutliche Verschlechterungen.

Darauf hat mich erst vor wenigen Tagen ein mir bekannter Händler aufmerksam gemacht, der sich auf diesem Gebiet exzellente Kenntnisse angeeignet hat. So schreibe die nationalstaatliche Umsetzung der europäischen Konsumentenschutzrichtlinie seit Dezember 2014 eine Mindestschriftgröße und zahlreiche zusätzliche Angaben (Allergene, Nährwerttabellen usw.) vor — selbstverständlich nur auf Italienisch. Nicht nur MPreis-Kundinnen dürfte schon aufgefallen sein, dass deshalb italienische Zusatzetiketten in letzter Zeit noch einmal wesentlich größer geworden sind — sodass es meist auch bei gutem Willen faktisch unmöglich geworden ist, deutsche Etiketten nicht zu überkleben. Noch absurder ist, dass nun ab Werk mehrsprachig (!) beschriftete Produkte in vielen Fällen nicht die Mindestschriftgrößen erfüllen, weshalb auch diese (obwohl unter anderem auf Italienisch originalbedruckt) noch einmal überklebt werden müssen. Die Südtiroler, aber auch die europäische Mehrsprachigkeit insgesamt wird somit aufgrund der nationalstaatlichen Einsprachigkeit unterdrückt.

Derselbe Händler teilte mir außerdem mit, dass Ordnungskräfte in Südtirol besonders penibel auf die Italianità achteten — oft mehr, als auf dem restlichen Staatsgebiet. Laut seinen Lieferanten gebe es hierzulande Beanstandungen wegen der italienischen Kennzeichnung auch bei Produkten, die mit identischer Aufmachung in ganz Italien jahrelang ohne Beanstandung vertrieben wurden. Dies bestätigt einen entsprechenden Hinweis der Handelskammer Bozen. Der Druck, auf Produkte aus Italien — mit einsprachiger Beschriftung — umzustellen, sei immer größer, dem stets verkündeten Plurilinguismo zum Trotz. Weder von der Südtiroler Mehrheitspartei SVP, noch von zuständigen Stellen wie der Verbraucherzentrale ist mir ein ernsthaftes Engagement bekannt, diese beschämende und minderheitenfeindliche Situation wie von der Handelskammer angeregt zu ändern. Entsprechende Anfragen und Anregungen von blieben meist unbeantwortet.

Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 || 01 02 03



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Comentârs

14 responses to “Die überklebte Landessprache.
Gesetzeslage noch einmal deutlich verschlechtert

  1. Sigmund Kripp avatar
    Sigmund Kripp

    kann man nur zustimmen! Uns Weinproduzenten machen sie die Hölle heiss, aber beim Medikament gilt da nichts mehr….

  2. niwo avatar
    niwo

    Die Vorzeigeautonomie scheint wieder mal wunderbar zu funktionieren.

    Der Händler teilte mir außerdem mit, dass Ordnungskräfte in Südtirol besonders penibel auf die Italianità  achteten — oft mehr, als auf dem restlichen Staatsgebiet.

    Dies scheint wohl eine der Hauptaufhaben der Ordnungshüter zu sein. Polizeiliche Kernbereiche scheint man ja weniger konsequent abzudecken.

  3. ProEuregio avatar
    ProEuregio

    … als aufmerksamer Zeitgenosse kann man hier nur zustimmen! – Ich erinnere mich noch immer an meine Münchner Jahre (Anfang der 1970er) wo sämtliche Medikamente in allen gängigen Weltsprachen, aber penibel auch in den Sprachen der Gastarbeiter aus dem Balkan, Griechenland und der Türkei (es wurde wirklich an alle gedacht) beigefügt war!
    Was die praktisch angewandte Mehrsprachigkeit angeht wäre wieder einmal die Schweiz als “Traumland” zu nennen!
    Was die Durchsetzung hierzulande, im Land der Musterautonomie anbelangt, zeigt sich gerade bei der Erfüllung der Mehrsprachigkeit, dass die Mehrheit auch hier “eingelullt” von den Mandataren der Mehrheitspartei ist und zur Problemlösung einfach bewußt oder (viel öfter) unbewußt nach nördlich des Brenners zum Einkaufen gefahren wird!

  4. a@a@a avatar
    a@a@a

    Ich weiß “Don’t blame the messenger”. Aber gibt es auch mal gute Nachrichten? Man redet von der vielgepriesenen Mehrsprachigkeit, scheitert an einfachen Aufgaben, fordert jedoch die Zusammenlegung der deutschen und italienischen Schule.
    Man braucht nun wirklich kein Hellseher sein, um erahnen zu können wohin dieser Zug im heutigen politischen Kontext führen würde.
    Auf diesem sensiblen Gebiet diese Salamitaktik zu fahren ist äußerst untergriffig und die Früchte dieser Vorgehensweise kann man heute bereits ernten. Kaum zeigen Personen Missstände auf, die die Zweisprachigkeit betreffen hagelt es Kommentare in Richtung “Deutschtümelei”, “Wohl nichts besseres zu tun”, “Tscheggl” etc… Es scheint als würde sich ein Pawlow’scher Reflex breitmachen, jene, die die vielbesungene Mehrsprachigkeit mit Füßen treten auch noch zu verteidigen.

    1. Steve avatar
      Steve

      Es scheint als würde sich ein Pawlow’scher Reflex breitmachen, jene, die die vielbesungene Mehrsprachigkeit mit Füßen treten auch noch zu verteidigen.

      Das scheint nicht nur so. Mann/Frau von Welt muss sich schließlich avantgardistisch geben aka deutsch = nazi (oder zumindest hinterwäldlerisch).
      Da hilft alles nix mehr, einen alten Baum verpflanzt man nicht. Hoffnung macht mir aber die junge Generation, welche weniger Berührungsängste mit fremden (und vor allem der eigenen) Sprachen und Kulturen zu haben scheint. Stellt sich halt die Frage, ob diese Generation nun nicht zu spät kommt bzw. aufgrund der grotesken Zustände hierzulande gleich im Ausland studiert und dort bleibt.

  5. Libertè avatar
    Libertè

    Die Frage bleibt weshalb man sich nicht direkt auf EU-Ebene um Dinge wie Mindestschriftgröße usw. kümmert, ich sehe keinen Grund weshalb das die Länder zu entscheiden haben. Oder sehen Deutsche besser als Esten?

    1. ProEuregio avatar
      ProEuregio

      … übrigens, – wo die EU so vieles reglementiert damit wir überall die selben (Qualitäts-)Standards haben, könnte diese auch einmal daran denken grundsätzlich in Grenzregionen auf Mehrsprachigkeit zu achten!
      Es gibt immer noch Ware in den Regalen – meist aus D – wo die Texte in mehreren Sprachen draufstehen aber nicht in deutsch!
      – Zumindest in Norditalien, – möchte man meinen – will man die zahlreichen Gäste und Besucher aus dem angrenzenden deutschsprachigen Ländern höflich berücksichtigen ! ?

  6. Senoner avatar
    Senoner

    Hab grad eine Dose “Macedonia” in der Hand (bei Despar gakauft), die italienisch, spanisch und portugiesisch beschriftet ist. Ich vermute hier, dass der Lieferant verschiedene Etiketten vorsieht: it+es+pt für den Süden Europas und de+en+fr für den Norden-Westen, dann vielleicht noch eine dritte Etikette mit skandinavischen Sprachen für die dortigen Länder und so weiter. Wir zählen eben zum Mittelmeer, nicht zum deutschen Sprachgebiet, also finden wir eher portugiesisch oder griechisch auf den mehrsprachigen Etiketten als deutsch oder englisch.

    Wie ist das eigentlich in der Schweiz: werden in den Tessin anders etikettierte Dosen geliefert als nach Genf oder Zürich?

    1. pérvasion avatar

      In den Supermärkten sind — auch in einsprachigen Kantonen — fast alle Produkte dreisprachig beschriftet. Und auch sonst findet man in der Schweiz viel Dreisprachiges. Darüberhinaus ist es im Tessin aber auch gestattet, einsprachig italienisch etikettierte Ware zu vertreiben.

      In Südtirol gäbe es zwei Möglichkeiten, eine substanzielle Gleichstellung der Sprachen zu erlangen:

      • Alle Produkte müssen Deutsch und Italienisch beschriftet sein, also müsste man nicht mehr nur einsprachig deutsch, sondern auch einsprachig italienisch ausgezeichnete Ware nachetikettieren.
      • Alle Produkte müssen mindestens in einer Landessprache etikettiert sein.

      In Katalonien wurde letzteres umgesetzt. Ich wäre auch für eine Gleichstellung des Ladinischen.

      1. Senoner avatar
        Senoner

        Ich wäre auch für eine Gleichstellung des Ladinischen.

        Vergiss hier das Ladinische. Es gibt keine Übersetzung für Monokaliumglutamat, Ascorbinsäure, Molkepulver und all die anderen Zutaten. Und eigens neue “ladinische” Begriffe zu erfinden, würde nur dazu führen, dass niemand mehr die Inhaltsstoff-Liste versteht.

      2. pérvasion avatar

        Ich find’s bedauerlich, dass es auffallend oft die Ladiner selbst sind, die eine stärkere Berücksichtigung ihrer Sprache ablehnen. Gewisse Bezeichnungen gab es bestimmt auch im Katalanischen oder Baskischen (ja selbst im Deutschen oder im Italienischen) ursprünglich nicht.

    2. pérvasion avatar

      Hier noch ein paar gute Beispiele aus einem älteren Blogbeitrag.

  7. Hartmuth Staffler avatar
    Hartmuth Staffler

    Interessant finde ich, dass Interspar in Innsbruck zweisprachig (Deutsch-Italienisch) beschriftete Produkte verkauft, während das gleiche Produkt bei Interspar in Südtirol nur Italienisch beschriftet ist. In diesem Fall ist die mangelnde Zweisprachigkeit also nicht Folge von Polizeischikanen, sondern eine ganz bewusst getroffene Entscheidung, mit der man sich wohl einschleimen will (um eventuell in anderen Fällen Nachsicht zu erhoffen?).

  8. konrad avatar
    konrad

    Früher beim Kauf von Apple Notebooks (MacBooks Pro) waren die Stromstecker
    Schuko; seit einiger Zeit (ca. 2 Jahren) werden nur noch die III Stromstecker mitgeliefert, die nicht in alle Schukosteckdosen leisten ohne Adpater passen.

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