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Tiefstes Mittelalter.

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In einem früheren Artikel hatte ich mich über zwei Dinge beklagt, an die ich mich in Südtirol einfach nicht gewöhnen möchte. Zum einen ist dies die Standardabsicherung der Stromanschlüsse auf 3 kW, zum anderen der Umgang mit Persönlichkeitsrechten in den Medien bzw. generell mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Unschuldsvermutung.

Eine Reihe konkreter Anlassfälle hat nun wiederum meine Aufmerksamkeit auf diese beiden mittelalterlich anmutenden Missstände gelenkt. Gleichzeitig habe ich noch andere interessante Beobachtungen gemacht. Zeit für einen weiteren Sammelsurium-Artikel mit dem Charme eines Omnibusgesetzes.

Unter Strom
Am 11. Juni 2014 hat der Südtiroler Landtag mehrheitlich beschlossen, dass sich die Parlamentarier in Rom – die Südtiroler Autonomie reicht nämlich nicht so weit, um die Stärke von Stromanschlüssen selbst festlegen zu dürfen – für eine Erhöhung der Grundleistung von 3 auf 4,5 kW starkmachen mögen, bei gleichbleibendem Grundentgelt versteht sich. (Zur Erinnerung: der Standardanschluss in Nordtirol liegt bei 6 kW, in Deutschland angeblich gar bei 13 kW).

Da seit diesem Beschluss mittlerweile einige Monate ins Land gezogen sind, ohne dass man in der Angelegenheit Bahnbrechendes hätte vernehmen können, hat die freiheitliche Abgeordnete Tamara Oberhofer in einer Anfrage einmal nachgehakt, um sich über den Stand der Dinge zu informieren. Die Anfrage wurde am 29. Jänner 2015 eingebracht und am 2. Februar an den zuständigen Landesrat Richard Theiner weitergeleitet. Für die Beantwortung der Anfrage ist eine Frist von 30 Tagen vorgesehen. Heute (27. März 2015), gut einen Monat nachdem die Frist verstrichen ist, ist auf der Internetseite des Landes nach wie vor noch keine Antwort abrufbar. Ein paar stichprobenartige Kontrollen haben mir dann gezeigt, dass das Verstreichenlassen besagter Fristen mehr Norm denn Ausnahme ist. Ob dies ein respektloses Versäumnis der Landesregierung ist, ob diese sich bisweilen eine Verlängerung der Frist erbittet, ohne dass dies auf der Webseite aufscheint oder ob die Antworten mit großer Verzögerung erst online gestellt werden, entzieht sich meiner Kenntnis.

Denkbar wäre natürlich auch – wofür man beinahe Verständnis aufbringen könnte – dass sich die Landesregierung grundsätzlich weigert, Anfragen, die in Comic Sans verfasst wurden, zu bearbeiten. Eine weitere stichprobenartige Kontrolle hat nämlich ergeben, dass die Freiheitlichen in aller Tatsächlichkeit viele ihrer Schriftstücke im Landtag im Kindergeburtstagseinladungsstil verfassen.

Anfrage

Wir halten fest:
In Südtirol ist die Absicherung von Standardstromanschlüssen halb so hoch wie im nördlichen Landesteil. Das “in den Keller gehen, um die Sicherung wieder einzuschalten”, kennt man dort nicht.

Südtirol verfügt nicht über die Zuständigkeit, den Richtwert für diese Anschlüsse selbst festzulegen.

Die Landesregierung benötigt mehr als zwei Monate, um die Frage zu beantworten, ob die SVP-Parlamentarier in der besagten Angelegenheit bereits mit der römischen Regierung Kontakt aufgenommen haben.

Die größte Oppositionspartei im Lande verfasst Landtagsanfragen in einer Schriftart, die für Comic-Sprechblasen erfunden wurde und bestätigt damit den Eindruck, dass die Landtagspolitiker, was Professionaltiät betrifft, sprichwörtlich auf Kindergartenniveau agieren.

Am Pranger
Das zweite Thema lässt hingegen überhaupt keinen Spielraum für Humor. Wie – mittlerweile nicht mehr nur – in italienischen bzw. Südtiroler Medien mit Persönlichkeitsrechten und Unschuldsvermutung umgegangen wird, ist beschämend und schockierend. Anlässlich des jüngsten Mordfalles in Bozen, werden der volle Name, unverpixelte Fotos und Facebook-Einträge der Tatverdächtigen (bis zur rechtskräftigen Verurteilung gilt jede(r) als unschuldig) gnadenlos publik gemacht. Ein solcher Pranger ist für besagte Person, die sich als Mordverdächtige in jedem Fall in einer psychischen Ausnahmesituation befindet, eine unvorstellbare Belastung. Ein solche Pranger ist existenzbedrohend. Man stelle sich vor, ein Gericht stellt in weiterer Folge fest, dass die Frau die Tat gar nicht begangen hat. Den “Makel” wird sie ihr Leben lang nicht mehr los.

Dass die Tageszeitung diesbezüglich wenig Skrupel hat und sich boulevardesquer als der tiefste Boulevard gebärdet, ist bekannt. Dass aber auch ein selbsternanntes “Qualitätsmedium” wie salto.bz sensationsgeil dem mitteralterlichen Pranger frönt, ist bestürzend. Noch dazu, wo sich das besagte Medium in jüngster Zeit als Retter der journalistischen Ethik aufspielt, nachdem das Boulevardblatt “Österreich” einen Rittner Eishockey-Goalie fälschlicherweise als Schläger identifiziert und in einem Artikel mit Foto und Namen an den Pranger gestellt hat.

Im Zuge der Flugzeugkatastrophe in Frankreich fielen dann endgültig sämtliche Schranken und Hemmungen was journalistische Ethik anbelangt. “Österreich” und “Krone” veröffentlichten ein unverpixeltes Bild, welches jedoch gar nicht den im Verdacht stehenden Co-Piloten, sondern einen völlig unbeteiligten Mann ähnlichen Namens, zeigt. Il Giornale zieht fragwürdige Vergleiche zur Costa Concordia. Nicht wenige Medien verzichten auf Unkenntlichmachung bei der Abbildung von Angehörigen der Opfer.

Mats Schönauer 01 02 von bildblog.de dokumentiert das mediale Fiasko penibel und bringt jene Problematik, die man in abgeschwächter Form auch auf den Bozner Mord übertragen kann, auf den Punkt:

Was in den vergangenen Tagen passiert ist, ist in weiten Teilen, in sehr weiten Teilen kein Journalismus mehr, sondern eine Jagd. Eine Jagd nach Informationen und Bildern, die für das Verständnis des Geschehens komplett irrelevant sind.



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Comentârs

9 responses to “Tiefstes Mittelalter.”

  1. Senoner avatar
    Senoner

    Und in der Schweiz zahlt man meines Wissens nur den Verbrauch. Kein Basistarif pro Kilowatt, für die Versorgung oder ähnliche “Zusatzleistungen”. Wenn man einen Monat lang nix verbraucht, so kriegt man dafür auch keine Rechnung. So einfach kann’s sein. Und bei der Wahl des Stromvertrags kann man wählen zwischen Atom-Strom, Strom aus Wasserkraft, Windkraft oder Kohle. Der billigste ist der Atomstrom.
    Und das tollste: während bei uns der Strompreis stark zugenommen hat, ist er in der Schweiz in den letzten 3 Jahren kontinuierlich um etwa 40% gesunken.

    1. G. P. avatar
      G. P.

      Der Strompreis bei uns ist eben ein “politischer” Preis. Da geht’s schon lange nicht mehr um Angebot und Nachfrage sowie Produktionskosten. Neben den Akzisen und der MwSt. enthält der Preis Abgaben für die Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, Abgaben für den Abbau der Atomkraftwerke und Abgaben für die Förderung der Produktion von Energie aus erneuerbaren und ähnlichen Quellen.

    2. rüegg avatar
      rüegg

      40%? DAS halte ich nicht für glaubwürdig.
      https://www.strompreis.elcom.admin.ch/Map/ShowSwissMap.aspx
      Von D weiss ich dass es dort auch einen Atomstromtarif eines Versorgers gibt, doch ist der teurer als Ökostrom.

  2. fabivS avatar
    fabivS

    Ich finde Du hast Recht. Wenn Stromkonsumgrenze rein umweltpolitisch bedingt wäre, könnte man es einigermaßen rechtfertigen… ich versteh aber nicht wieso das Land Südtirol nicht selbst bestimmen sollte was mit Stromverbrauch sein wird, zumal wir für den eigenen Bedarf mehr als genug produzieren. Und aus erneubare Quellen.

    1. G. P. avatar
      G. P.

      ich versteh aber nicht wieso das Land Südtirol nicht selbst bestimmen sollte was mit Stromverbrauch sein wird,

      Und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wieso du es nicht verstehst. Ist doch ganz einfach, Südtirol hat praktisch keine Autonomie (mehr). That’s it! Wir dürfen ja keinen Beistrich mehr ändern in einem Gesetz, ohne dass es von Rom angefochten wird. Wir dürfen – überspitzt gesagt – keinen Bleistift mehr kaufen, ohne die Genehmigung aus Rom.

  3. pérvasion avatar

    Ich staune, dass nicht mal der Südtiroler Landtag imstande ist, einen Eingangsstempel mit zweisprachiger bzw. sprachneutraler Monatsangabe anzuschaffen. Anhand solcher Details erkennt man, mit wie wenig Konsequenz und Ernsthaftigkeit gearbeitet wird.

  4. Walter avatar
    Walter

    Denkbar wäre natürlich auch – wofür man beinahe Verständnis aufbringen könnte – dass sich die Landesregierung grundsätzlich weigert, Anfragen, die in Comic Sans verfasst wurden, zu bearbeiten. Eine weitere stichprobenartige Kontrolle hat nämlich ergeben, dass die Freiheitlichen in aller Tatsächlichkeit viele ihrer Schriftstücke im Landtag im Kindergeburtstagseinladungsstil verfassen

    Kompliment an Harald Knoflach für seine Recherche, was die Schriftart angeht. Eine kleine Neckerei Richtung Freiheitlichen, aber der Inhalt stimmt.

    1. Harald Knoflach avatar

      hallo walter,

      du könntest uns vielleicht auch gleich darüber auskunft geben, ob die landesregierung anfragen tatsächlich meist nicht termingerecht abwickelt oder ob da einfach intern um aufschub gebeten wird, was auf der webseite dann aber nicht aufscheint. würden anfragen nämlich regelmäßig zwei bis drei monate nach fristende erst beantwortet, wäre das schon – sagen wir mal – frech.

      ad comic sans:
      ein kleiner schneller crashkurs in grafikdesign. es geht in dieser angelegenheit um form und inhalt. und die korrelieren nicht, wenn man eine landtagsanfrage in comic sans verfasst.
      schriftarten haben eine botschaft, eine aussage, sprechen eine sprache.


      so einfach kann ich aus einem fashionmagazin eine norwegische death-metal-band und aus einer australischen hard-rock-truppe eine modelabel machen. ich hab nur die schriftart getauscht.

      und dass schrift 1 eine andere autorität hat als schrift ”hochzeitseinladung” oder schrift ”kindergartenspeiseplan” ist auch klar, oder? mit comic sans in der landtagsanfrage macht man sich schon ein wenig lächerlich. zumindest stimmen form und inhalt nicht überein. wenn ein firmenchef ein bewerbungsschreiben in comic sans erhält, wandert dieses wohl ungelesen in den papierkorb, da es einiges über den bewerber aussagt.

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