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Lässt sich der ethnische Proporz reformieren? – II
Autonomiereform (5/10)

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Anknüpfend an einige Betrachtungen zur aktuellen Entwicklung beim öffentlichen Dienst und zur Einschätzung des Proporzes seitens der Bevölkerung (Sprachbarometer 2014) in der Folge 4 stehen hier denkbare Alternativen zur Diskussion, die den Proporz in naher oder mittlerer Zukunft ersetzen könnten. Dabei sei an die drei wichtigsten Anwendungsbereiche des Proporzes erinnert. Er gilt vor allem als Aufteilungsschlüssel der Stellen im öffentlichen Dienst (inkl. Staatsdienst mit Ausnahme der Polizei und der Streitkräfte), bei der Vergabe einiger Sozialleistungen (vor allem im Sozialwohnbau) und bei der Besetzung der Kollegialorgane der öffentlichen Körperschaften. Am ehesten kann der Proporz bei den Sozialleistungen zurückgesetzt werden, wo ohnehin schon jetzt der Bedarf das wichtigste Zuteilungskriterium bildet. Bei der Besetzung der Kollegialorgane und Kommissionen des öffentlichen Dienstes wird man auf ein Quotensystem kaum verzichten können. Zu diesem Zweck müsste bei Abschaffung des Proporzes sogar eine eigene Form der Sprachgruppen-Zuordnungserklärung erfunden werden. Im Parlament Nordirlands z.B. erklärt sich jeder Abgeordnete ad hoc bei Amtsantritt als »Nationalist«, »Unionist« oder »other« und darf höchstens einmal pro Legislatur seine »Zugehörigkeit« wechseln. Quotensysteme und aktive Anti-Diskriminierung bei der Personalaufnahme gibt es nicht nur in Nordirland, sondern auch in Indien, den USA, Südafrika, Malaysia, Kanada, Namibia, Fidschi, allerdings oft bezogen auf den gesamten Arbeitsmarkt, was in Südtirol nie zur Diskussion stand.

Somit geht es im Folgenden vor allem um den Proporz bei den Stellen des lokalen und staatlichen öffentlichen Dienstes. Die Verwaltung im engeren Sinn (Gemeinde-, Landes- und Staatsbeamte, die Staatsbürger sein müssen) bildet übrigens einen immer geringeren Teil des öffentlichen Dienstes. Der öffentliche Dienst insgesamt bietet nur einem Fünftel der Erwerbstätigen Südtirols einen Arbeitsplatz. Alternativen sind eigentlich nur drei zu nennen, wobei auch Kombinationen dieser Aufnahmeverfahren denkbar sind:

  1. die ersatzlose Abschaffung des Proporzes. Es gilt nur mehr die Fachqualifikation und der Zweisprachigkeitsnachweis (laut EuGH-Urteilen nicht nur das »patentino«);
  2. die Ersetzung des Proporzes durch eine Verstärkung des Kriteriums der Ansässigkeitsdauer im Land;
  3. die Ersetzung des Proporzes mit einer Verstärkung der sprachlichen Qualifikation als Zulassungs- und Wettbewerbskriterium.

Die erste Variante, also zeitweise Aussetzung des Proporzes, wird von den Grünen und von Francesco Palermo vorgeschlagen: Für kurze Zeit soll der Proporz ausgesetzt werden, um die Auswirkungen auf die Verteilung der Stellenvergabe nach Sprachgruppen zu beobachten. Auch Tila Mair spricht sich dafür aus, bei den gering qualifizierten öffentlichen Stellen und im Gesundheitswesen auf den Proporz zu verzichten. Nur die Qualifikation solle entscheiden, wobei die Zweisprachigkeit ohnehin nachgewiesen werden müsse. Mit dem Verzicht auf eine stärkere Betonung der Zweitsprachbeherrschung würde man allerdings bei dieser Option eine Chance auf mehr Qualität der Zweisprachigkeit und mehr Motivation beim Zweitspracherwerb vergeben.

Die zweite Variante würde die proporzmäßige Zuteilung von Stellen im öffentlichen Dienst stärker als bisher an die Dauer der Ansässigkeit des Bewerbers in Südtirol knüpfen. So gilt etwa für Nicht-EU-Bürger zwecks Zugang zu Sozialleistungen wie dem Wohngeld eine fünfjährige Anwartschaft mit ununterbrochener Ansässigkeit, die bei EU-Bürgerinnen nur 6 Monate beträgt. Für die Bewerbung für eine Stelle im öffentlichen Dienst in Südtirol spielt die Ansässigkeit keine Rolle. Eine nur kurze Frist wäre überdies wirkungslos. Andererseits kann die Mindestdauer der Ansässigkeit als Zulassungskriterium für eine Stelle im öffentlichen Dienst nicht beliebig erhöht werden, weil dann unweigerlich gegen die EU-Regeln zur Freizügigkeit verstoßen wird. Der Schutz des lokalen öffentlichen Dienstes vor zuviel Wettbewerb von außen mag verständlich sein, doch die strengen EU-Regeln für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gelten eben auch für Südtirol. Außerhalb des Landes profitieren auch viele Südtiroler von diesem Grundrecht.

Bleibt noch die dritte Variante, nämlich die Verstärkung der sprachlichen Qualifikation als die dritte wesentliche Zulassungsvoraussetzung für den öffentlichen Dienst in Südtirol. Heute wird entsprechend der vier Laufbahnen ein in vier Kategorien A-B-C-D unterteilter Zweisprachigkeitsnachweis verlangt. Für 2014 haben 38,3% der Südtiroler insgesamt angegeben, diesen Nachweis zu besitzen, bei der italienischen Sprachgruppe sind es 30% (Sprachbarometer 2014, S. 101). Nach EuGH-Rechtssprechung und entsprechenden Durchführungsbestimmungen kann dieser Nachweis auch mit Zertifikaten anderer anerkannter Institutionen außerhalb des Landes erbracht werden (z.B. Goethe- und Dante-Institut-Zertifikate).

In der heutigen Praxis richtet sich die Wettbewerbssprache nicht nach der ausgeschriebenen Stelle, sondern nach dem Bewerber. Dieser kann am Tage der schriftlichen Prüfung entscheiden, ob er oder sie die Prüfungen in italienischer oder in deutscher Sprache absolvieren möchte. Diese Entscheidung muss nicht im Vorhinein formalisiert werden, sondern wird implizit bei Erhalt des Fragenkatalogs getroffen. Die Sprache der schriftlichen Prüfung entspricht jener der mündlichen Prüfung. Dies bedeutet, dass die vom Bewerber gewählte Sprache nicht der Sprachgruppenzugehörigkeit, der Muttersprache oder der ausgeschriebenen Stelle entsprechen muss. Man kann ganz frei entscheiden, ob man die italienische oder die deutsche Sprache bevorzugt, mit anderen Worten kann sich ein deutschsprachiger Südtiroler, der sich der italienischen Sprachgruppe zugeordnet hat, für eine der italienischen Sprachgruppe vorbehaltene Stelle bewerben und den Wettbewerb auf Deutsch ablegen. Eigentlich seltsam.

Bei der Aufnahme erfolgt also kein Test, ob der Bewerber auch die Zweit- oder eventuell die Drittsprache fachspezifisch für die ausgeschriebene Stelle beherrscht. Es genügt der allgemeine Zweisprachigkeitsnachweis gemäß entsprechender Laufbahn. Es ist für mehrsprachige Regionen ziemlich ungewöhnlich, dass die Zweisprachigkeit eines Bewerbers ganz unabhängig vom angestrebten Arbeitsplatz und losgelöst vom Eignungstest bzw. Wettbewerb erfolgt.

Will man das Kriterium der Sprachbeherrschung verstärken, könnte der Wettbewerb durchaus in zwei Landessprachen abgehalten werden. Damit hätte der Bewerber auch seine sprachliche Qualifikation bezogen auf den konkreten, angestrebten Arbeitsbereich nachzuweisen. Den Wettbewerb würden jene Bewerber gewinnen, die sich dafür sowohl fachlich wie sprachlich am besten eignen. Vor allem bei den oberen Laufbahnen der Verwaltung würde diese Art Wettbewerb Sinn machen. Der Mehraufwand für einen solchen Wettbewerb ließe sich mit den besonderen Erfordernissen eines mehrsprachigen Landes begründen. Das vorgeschlagene Verfahren ähnelt jenem der Aufnahme in die oberen Beamtenlaufbahnen bei der EU (Infos zum Aufnahmeverfahren der EU). Noch verstärkt werden könnte das Sprachkriterium durch eine periodisch zu wiederholende Sprachprüfung, um das »Einrosten« der Zweitsprache bei Nichtverwendung zu verhindern, also das »patentino« ganz im Stil der regelmäßigen Erneuerung des »Patents« (Südtirolerisch).

Gewinnen würden bei dieser mit Sicherheit EU-konformen Lösung auf jeden Fall die Bürger, weil die öffentlichen Dienste in höherem Maß zweisprachig funktionieren würden. Durch die Fokussierung auf Sprache und Qualifikation würden Südtiroler auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern aus anderen Regionen und EU-Ländern bewahren: denn wo in der EU lassen sich Grundlagen- und fachspezifische Kenntnisse auf Deutsch und Italienisch besser erwerben als in Südtirol? Für den Schutz der ethnischen Minderheiten — Kern und Ursprung der Südtiroler Autonomie — würde sich dieses Verfahren deshalb rechtfertigen lassen, weil ein in den Landessprachen optimal funktionierender öffentlicher Dienst wichtiger ist als die Reservierung von Arbeitsplätzen für die aus dem Land stammenden Menschen. In diesem Sinn müssten dann sowohl das Statut als auch die Durchführungsbestimmungen abgeändert werden. Denkbar wären auch Kombinationen der hier angerissenen Reformoptionen, etwa im Sinne: zweisprachiger, arbeitsplatzbezogener Wettbewerb + periodische Erneuerung des Sprachnachweises.

Doch kehren wir zurück zur Abschlussbetrachtung in der Folge 4 und dem »Never change a winning horse«. Die Vorteile jeder neuen Regelung beim Proporz müssen die Risiken der Aufgabe dieses eigentlich bewährten Verfahrens aufwiegen.

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