In der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) ist vorgestern ein ausführlicher Beitrag von Giorgio Scherrer über den Umgang mit dem Faschismus in Italien erschienen. Titel: Die Illusion der »Italiani, brava gente«: Ein Land verharmlost seit achtzig Jahren den Faschismus – und kommt nicht von ihm los.
Ein Denkmal für einen Massenmörder, mitten in einer Demokratie: In Italien ist das normal. Ein gigantischer Obelisk in Rom, ein Mausoleum in seinem Geburtsort Predappio, Denkmäler und Inschriften im ganzen Land: Wer dem Duce und seinem Regime huldigen will, muss nicht lange suchen.
– Giorgio Scherrer
Dies sei kein Zufall, denn in Italien werde die Erinnerung an den Faschismus seit jeher »geschönt, verdrängt und vergessen«. Dafür seien zwei Lügen ausschlaggebend, dass sich nämlich Italien aus eigener Kraft befreit habe und dass die Verbrechen der Faschisten gar nicht so schlimm gewesen seien.
Die erste Lüge habe ihren Ursprung bereits 1943, als die Alliierten in Sizilien landeten und der italienische König Mussolini entließ, um noch schnell auf die Seite der Gewinner zu wechseln.
Ex-Faschisten hätten nach 1945 versucht, die Verbrechen als eine Korrumpierung des wahren und gutmütigen Faschismus darzustellen. Das demokratische Italien habe eigentlich an einer Art Krankheit gelitten, die einen Fremdkörper in der eigenen Geschichte darstelle.
Diese Sichtweise – popularisiert vom bekannten Philosophen und Antifaschisten Benedetto Croce – ist doppelt bequem. Denn an Krankheiten ist niemand schuld. Und sie lassen sich potenziell heilen – ist der Erreger einmal entfernt, sind sie bald vorbei.
In sein Tagebuch notiert Croce schon am 27. Juli 1943, am Tag von Mussolinis Absetzung: «Der Faschismus erscheint mir bereits als ein Stück Vergangenheit – als Kreis, der sich geschlossen hat. Einen Wunsch nach Rache verspüre ich nicht.»
– Giorgio Scherrer
Als der Resistenza-Mythos bereits bröckelte, sei in den 1990er Jahren dann noch die Lüge entstanden, dass die Faschisten Opfer eines von Nazi-Deutschland begonnenen, sinnlosen Krieges wurden.
Es ist die Zeit, als aus einer vergessenen eine glorifizierte Vergangenheit wird. In der ein Täterland sich einen Opfermythos schafft.
– Giorgio Scherrer
Damals habe Silvio Berlusconi die Neofaschisten in seine Regierung geholt und wiederholt Mussolini verharmlost. Nicht die Verbrechen des faschistischen Regimes, sondern die der Nazis einerseits und der Partisanen andererseits seien in den Vordergrund gerückt worden. Die Karsthöhlen hätten als wichtiger Beweis für den angeblichen Opferstatus gedient.
Mit diesem unkritischen, ja sogar verherrlichenden Umgang mit dem Faschismus hat bis heute auch Südtirol zu kämpfen. Von den kolonialen Ortsnamen bis zu den faschistischen Relikten — Aufarbeitung Fehlanzeige. Wo doch etwas gelungen ist, ging der Impuls dafür nicht vom italienischen Staat oder von der italienischen Sprachgruppe im Land aus.
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