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Allesamt Nazis.
Italienische Linke und ihr gestörtes Verhältnis zu Südtirol

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Ja, es lebe die Meinungsfreiheit, die auch Beleidigungen zulässt und Unterstellungen. Damit muss »man« leben. Trotzdem, manches auf den Community-Seiten von Salto ist mehr als verwunderlich.

So langt der fleißige Schreiber Luca Marcon in seinem Artikel Il patto violato kräftig zu. Die Deutschsprachigen verletzten das Autonomiestatut, analysiert Marcon. Warum? Weil »sie« statt Standarddeutsch — wie im Statut festgeschrieben — den Dialekt gebrauchen. In allen Lebenslagen, auch in der öffentlichen Verwaltung.

Nachvollziehbar die Kritik, an den italienischen Schulen wird nicht Dialekt gelehrt, sondern die deutsche Hochsprache. Dialektredende Beamte werden von altoatesini nicht verstanden. Zurecht der Hinweis von Marcon, deutschsprachige Südtiroler sollten als Beamte die Standardsprache verwenden.

Der Hinweis, dass italienische Sicherheitskräfte oft ihren Dialekt im Gespräch verwenden, wäre jetzt billige Polemik.

Unerträglich wird es aber, wenn Luca Marcon dialektsprechenden Südtirolern das wenig schmeichelhafte Prädikat »völkisch« verpasst. Völkisch steht für nationalsozialistisch. Der Dialekt als Ausdruck für die »völkische Gemeinschaft«. Marcon scheint nicht mitbekommen zu haben, dass es diese von ihm konstruierte Gemeinschaft »die Südtiroler« nicht gibt. Es gibt Bürger, die sich als Südtiroler definieren, einige wenige als Österreicher, sehr viele als Italiener »deutscher Muttersprache«, manche als Europäer und Weltbürger. Trotzdem verpasst der angebliche progressive Humanist Marcon dieser nicht existierenden Südtiroler Gemeinschaft das verunglimpfende Markenzeichen »völkisch«.

Diese völkische Truppe bedrängt also die »italienische Gemeinschaft«, weil sie deren Forderung nach einer zweisprachigen Schule ablehnt. Marcon findet offensichtlich den Dialekt als ein Instrument, um eine weitere Hürde zwischen den Sprachgruppen aufzubauen. Der von den Südtirolern »gepflegte« Dialekt im institutionellen Bereich ist für Marcon eine gravierende Verletzung des Autonomiestatuts, das ja das friedliche Zusammenleben fördern soll.

Franz Lanthaler und Aldo Mazza von der Weiterbildungsorganisation Alpha Beta regten vor Jahren an, auch den Dialekt in den Deutschunterricht an den italienischen Schulen aufzunehmen. Zwei Durchgeknallte?

Zusammengefasst, dialektsprechende Südtiroler sind allesamt »völkisch«, also Nazis.

Der Autonomie-Vater war ein Nazi

Marcon, mit ihm im Schlepptau Simonetta Lucchi und Liliana Turri, führt auf den Salto-Seiten einen antinazistischen Befreiungskampf gegen das Südtiroler Kollektiv.

Seinen nächsten Nazi-Vorwurf konkretisierte Marcon am Tag des Gedenkens, dem 27. Jänner, in Erinnerung an die Opfer der Shoah. Er wirft der »Südtiroler Gemeinschaft« vor, sich der Aufarbeitung der eigenen braunen Vergangenheit zu verweigern. Während die Gemeinde Bozen sich kontinuierlich mit der Shoah beschäftige, lobt Marcon die Bozner Stadtregierung, glänze hingegen die Landesregierung durch Abwesenheit.

Marcon zitiert eine Aussage von Federico Steinhaus, dass »es nicht einfach gewesen sein muss, während der ‘Magnago-Ära’ Jude zu sein«. Steinhaus erinnerte auch daran, dass der Vater der Autonomie allen »Exponenten der SVP verboten hatte, an jeder Veranstaltung der jüdischen Gemeinde teilzunehmen.«

Der aus Protest aus der SVP ausgeschiedene Hubert Frasnelli kann sich ein solches Verbot nicht vorstellen. In einem Gespräch betonte Frasnelli, dass sich Magnago nie antisemitisch geäußert habe. Auch die Historikerin und langjährige SVP-Politikern Martha Stocker dementiert, es gab kein Magnago-Veto.

Für Marcon ist die von Steinhaus kritisierte Haltung von Magnago nicht verwunderlich. Magnago, ein »Freiwilliger der NS-Armee«, war ein »potenzieller Antisemit« und auch Autor einer Dissertation mit dem Titel »Verbrechen gegen Rasse und Erbgut in der nationalsozialistischen Gesetzgebung«. Magnago gelang es, die Südtiroler nur als Opfer zu zeichnen. Dabei waren sie nach dem Einmarsch der Wehrmacht Nazi-Deutschlands auch Täter. Ja, Südtiroler Nazis verfolgten in Kooperation mit italienischen Faschisten in Meran — darüber erzählte oft Romano Beer — die Angehörigen der jüdischen Gemeinde. Ein Großteil wurde in den KZ ermordet, Meraner Bürger eigneten sich jüdisches Eigentum an, »arisierten« es, so der Nazi-Jargon.

Wiedergutmachung gab es für den Raub keine. Und Marcon strickt weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden einige NS-Wurzeln nie ganz ausgerissen. Anders formuliert, der Nazi-Baum blüht weiterhin im Land der Etsch und Rienz. Südtirol setzt sich nicht mit dieser Vergangenheit auseinander, stattdessen gerieren sich die »Henker als ewige Opfer«.

Magnago wird wohl einer dieser Henker gewesen sein, der seiner Nazi-Vergangenheit treu geblieben ist, kommt der nächste Vorwurf daher. Magnago, der Henker, bekämpfte hasserfüllt Alexander Langer von der Neuen Linken, die Fortsetzung der braunen Südtiroler Geschichte.

Folgt man Marcon, rächte sich Magnago also an Alexander Langer, weil dessen jüdischer Vater Artur vor den mordenden Nazis erfolgreich in die Schweiz flüchten konnte. Der Vater der Autonomie als später Vollstrecker der Nazis?

Magnago und seine Leichen

Marcon ist davon überzeugt, dass Magnago Leichen in seinem Keller hatte. Eine der Leichen ist die bereits erwähnte Dissertation, mit der er am 4. Juni 1940 sein Studium an der Juristischen Fakultät in Bologna beendete: »Verbrechen gegen Rasse und erbliches biologisches Eigentum in der nationalsozialistischen Gesetzgebung«. Diese Dissertation gibt es nicht in materieller Form. Magnago legte diese angebliche Dissertation mündlich ab. Es gibt keine schriftliche Dissertation, keine Abschrift, aber Marcon kennt den Inhalt?

Ein weiterer polemischer Einwurf: Der ehemalige DC-Ministerpräsident Amintore Fanfani, der auch Außenminister und Präsident der UN-Generalversammlung war, unterzeichnete 1938 das antisemitische Manifesto della razza. Er veröffentlichte in Serie Artikel in der faschistischen Zeitschrift La difesa della razza, in der dottrina fascista und rechtfertigte den faschistischen Angriffskrieg gegen Äthiopien.

Fakt ist, und auch belegt, Magnago meldete sich freiwillig zur deutschen Wehrmacht. Klartext zur NS-Armee. Hier kommt nur der Holzhammer des antinazistischen Widerstandskämpfers: »Unter diesem Gesichtspunkt bekommt der politische Kampf zwischen Alexander Langer und Silvius Magnago eine ganz andere Bedeutung,« schreibt Marcon.

Während Langer der Sohn eines jüdischen Vaters war, der der Vernichtung in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager wegen seiner »jüdischen Rassen-Zugehörigkeit« nur durch eine erfolgreiche Flucht entkam, stand Magnago für die Ausübung der nationalsozialistischen Ideale — zu denen die Vernichtung der ‘jüdischen Rasse’ gehörte — durch freiwillige Einberufung in Hitlers Armee.

Simon schreibt:

Der Nazi Silvius Magnago habe die beanstandeten Maßnahmen eingeführt und Alexander Langer, dessen jüdischer Vater vor den Nazis in die Schweiz geflüchtet war, habe sie — nicht zufällig — bekämpft.

Nazi-Instrument Proporz und Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung

Dieser Magnago prägte dann auch als SVP-Obmann und Landeshauptmann die »ideologische Struktur der Südtiroler Autonomie«. Der Geist des Zweiten Autonomiestatuts wäre somit — kurz und bündig formuliert — braun, Magnago war doch vom ideologischen Erbe des Nationalsozialismus kompromittiert worden.

In einem weiteren Gastbeitrag auf Salto belegte Marcon diesen Vorwurf: Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung und Proporz sind Maßnahmen nationalsozialistischen Ursprungs.

Liliana Turri, eine ehemalige Kandidatin der Südtiroler Grünen, stimmte Marcon unterstützend zu:

Wer von ausserhalb der Provinzgrenzen kommt (aber auch einige, die innerhalb dieser Grenzen wohnen), sehen in der ethnisch-sprachlichen Trennung ein Zeichen für den Einfluss der NS-Ideologie … Und diejenigen, die es nicht sehen, ist es, weil sie es nicht sehen wollen.

Marcon und mit ihm die Ex-Grüne Turri blenden die Fakten aus, »die beiden zusammenhängenden Minderheitenschutzmaßnahmen wurden im Sinne des Gruber-De-Gasperi-Abkommens erlassen — nachdem Italien von Österreich auf Betreiben eines sozialdemokratischen jüdischstämmigen Außenministers vor die UNO gezerrt worden war, weil es nach dem Zweiten Weltkrieg die Italianisierungspolitik fortgeführt hatte«, wie Simon hier in diesem Blog schrieb.

Das Südtirol-Pakt schrieb Magnago mit, es wurde in der Neunzehnerkommission ausgehandelt und ausgearbeitet. In dieser saßen elf Mitglieder des italienischen Staates, sieben deutschsprachige Südtiroler und ein Ladiner.

Ist der Europarat auch nationalsozialistisch verseucht, weil er den Südtiroler Proporz als Good Practice im Minderheitenschutz erwähnt hat?

Versagt die deutsche Mittelschule?

Die üble Südtiroler Nazi-Geschichte werde auch nicht in der Schule aufgearbeitet. Dieses angebliche »ohrenbetäubende Schweigen der deutschen Schulwelt« zum Thema Shoah findet Marcon peinlich. Ausschließlich die Italienischlehrer an den deutschen Mittelschulen konfrontierten die deutschsprachigen Schülerinnen und Schülern mit der Nazi-Vergangenheit ihrer Vorfahren.

In dieses Bild des blühenden NS-Baumes passt die Forderung der Bozner Stadträtin Johanna Ramoser (SVP), von nicht-deutschsprachigen Schülerinnen und Schülern einen Sprachtest zu verlangen. Genauso der Hinweis einer Direktorin einer deutschsprachigen Grundschule in Bozen an SchülerInnen-Eltern, dass Deutsch die Verkehrssprache sei.

Zweifelsohne, diese »Südtiroler Gemeinschaft« ist aufgrund ihrer laut Marcon verdrängten Geschichte nazi-faschistisch verseucht. Im Jahr 1939, bei der Option, stimmten 85 Prozent der Südtiroler für das Auswandern. Also für Nazi-Deutschland. 85 Prozent Nazis. Die restlichen 15 Prozent optierten für das Dableiben, im faschistischen Italien. 15 Prozent Faschisten. Südtirol, eine nazi-faschistische Brutstätte.

Die Folge, die Gemeinde Algund schafft es nicht, das geplante Treffen des Dachverbandes der deutschen Burschenschaften — diplomatisch formuliert nationalpopulistisch, ungeschminkt Neo-Nazis — im September loszuwerden. Skandalös ist es, wenn Bürgermeister Ulrich Gamper (SVP) davon schwadroniert, dass die Demokratie eine solche Belastung aushalten müsse.

Noch schwerwiegender ist die hypothetische Folge, dass die SVP nach den Landtagswahlen im Herbst mit den neofaschistischen Fratelli d’Italia möglicherweise eine Koalition eingeht.


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Comentârs

One response to “Allesamt Nazis.
Italienische Linke und ihr gestörtes Verhältnis zu Südtirol

  1. Simon avatar

    Ehrlich gesagt hätte ich persönlich diesen Herrn nicht der Linken zugeordnet… doch das ist natürlich subjektiv.

Scrì na resposta

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