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Linkes Nein zur »differenzierten« Autonomie.
Teil I

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Das Lega-Projekt für eine weitere Regionalisierung Italiens stößt auf deftigen Widerstand

In der rechtsrechten Regierung von Ministerpräsident Giorgia Meloni (FdI) schlagen verschiedene, absolut gegensätzliche, Herzen. Die neo- oder postfaschistischen Fratelli d’Italia von Meloni wollen eine starke Präsidialrepublik, einen starken Staat, die rechtspopulistische Lega setzt auf Regionalisierung. Zwei sich widersprechende Konzepte, Teil eines politischen Tauschgeschäfts zwischen Fratelli und Lega.

Meloni tönt, nur in einem starken Staat kann es starke Regionen geben. Die Quadratur des Kreises.

Regionenminister Roberto Calderoli (Lega), nicht weniger rechts als seine Chefin Meloni, arbeitete an einem Gesetzestext zur »autonomia differenziata«. Der Text mit zehn Artikeln liegt vor. Calderoli greift in seinem Vorschlag auf Initiativen einiger Regionen zurück, die ihre Selbstverwaltung — wie in der Verfassung vorgesehen — ausbauen und stärken wollen.

Die Lombardei, Venetien, Emilia-Romagna, Piemont, Ligurien, Toskana, Marken, Umbrien und Kampanien drängten 2017 auf entsprechende Verhandlungen mit der Zentralregierung. So schreibt es wiederum die Verfassung vor. Also verfassungsrechtlich sauber, kurzum legitim.

Die Regierung beauftragte eine Expertenkommission. Ziel: Die regionale Initiative versanden zu lassen. Die Kommission war erfolgreich. Wegen des dürftigen Abschneidens der Lega des »Rechtspopulisten« Matteo Salvini bei dem Parlamentswahlen 2022 forderten traditionelle Leghisti die Rückkehr zum Föderalismus. Damit wurde die Regionalisierung, eigentlich kein Thema der Rechten, zum Regierungsprogramm.

Minister Calderoli betont, dass seine »differenzierte Autonomie« das Land nicht spaltet, sondern allen interessierten Regionen die Möglichkeit gibt, ihr Potenzial auszuschöpfen. Nicht alle Regionen sind an mehr Autonomie und somit an mehr Verantwortung interessiert. Manche hängen lieber alimentarisch am gesamtstaatlichen Tropf.

Zentralistische Linke

Es ist offen, ob die Regierung Meloni diese Lega-Regionalisierung offensiv betreiben wird. Die Opposition läuft bereits dagegen Sturm. Der Partito Democratico (PD) bekannte sich laut und deutlich zur einen und unteilbaren Republik, wie es im Artikel 5 der Verfassung heißt. PD-Vorsitzende Elly Schlein, aufgewachsen in der föderalistischen Schweiz, warnte vor der Regionalisierung der Lega, sie führe zum Zerfall des Landes in »viele kleine Vaterländer«. Ein Graus für rechte und linke Nationalisten.

Offensichtlich kennen sie die eigene Verfassung nicht. Gleich 14 Artikel beschäftigten sich mit den Regionen, die mit Gemeinden, Provinzen, Großstädten und den autonomen Regionen und Provinzen den Staat bilden. Interessierten Regionen können »weitere Formen und besondere Arten der Autonomie zuerkannt werden«. Minister Calderoli scheint diesen Artikel umsetzen zu wollen.

Nicht nur der orientierungslose Partito Democratico befürchtet den Zerfall der Republik. Eine ganze Reihe linker Organisationen läuft inzwischen Sturm. Die sogenannte »differenzierte Autonomie« «ist gefährlich für die schwächsten Gebiete und für das ganze Land«, warnt die »linke Zivilgesellschaft«. Für den 7. Oktober wird zu einer Großkundgebung gegen die Regionalisierung aufgerufen.

Für die linke Zivilgesellschaft ist die »autonomia differenziata« ein Instrument zur Spaltung Italiens, das in viele kleine Staaten zerlegt werde. Die angebliche Kleinstaaterei gefährde Bürgerrechte und schwäche Land und Gesellschaft. Notwendig hingegen sei eine solidarische Gesellschaft, um die sozialen Ungleichheiten zu entschärfen.

Linke Zentralisten strotzen vor intellektueller Arroganz, weil sie das Globale, das Ganze angeblich mitdenken. Autonomisten sind nur Vertreter »lokaler Realitäten«, Provinzialisten, letztendlich Egoisten, die nur ihre kleine Welt im Auge haben.

PD und linke Zivilgesellschaft lehnen also, die Argumente sind fadenscheinig, eine weitere Regionalisierung der Republik strikt ab. Sie warnen vor noch mehr Bürokratie, auf regionaler Ebene, auf Provinz- und Gemeindeebene. Diese vielschichtige Bürokratie werde die BürgerInnen-Gesellschaft erdrücken, malen die Gegner ein Horrorbild.

Im Aufruf zum Antiautonomieprotest am 7. Oktober im Rom heißt es, der Kampf gegen die differenzierte Autonomie sei ein Kampf für verfassungsmäßige Rechte. Die Autonomiegegner kümmert es wenig, dass auch die Selbstverwaltung, die Autonomie, Teil der republikanischen Verfassung ist.

Autonomie, verfassungswidrig?

Diese emotionale Aufregung der »linken Zivilgesellschaft« im Schlepptau des Partito Democratico ist mehr als verwunderlich. Es war eine Mittelinksregierung, die 2001 eine — wenn auch schlampig ausgearbeitete — regionalistische Verfassungsreform auf dem Weg brachte. Die Regionen mit Normalstatut, also ohne Autonomie, erhielten ein Stück weit mehr Selbstverwaltung. Vieles war schwammig formuliert, ungenau, regionale und staatliche Kompetenzen nicht fein säuberlich getrennt, eine Chance für den Verfassungsgerichtshof, Teile der Reform wieder zu kassieren.

Einen glatten reformerischen Gegenentwurf wagte 2016 Ministerpräsident Renzi und seine Mittelinksregierung. Renzi wollte damit den Zentralstaat stärken, auf Kosten der Regionen. Südtirol versprach er eine Schutzklausel, gemäß der die Autonomie nicht einseitig abgeändert werden darf. Die Autonomie sollte »blindato« werden. Die SVP stimmte deshalb für die im ganzen Land umstrittene Reform. Besonders sehr linke Organisationen mobilisierten gegen die Reform, weil sie sie als Angriff auf die Selbstverwaltung ablehnten. Schräges Italien, verlogene Linke.

Wegen der Umwandlung des Senats in eine Art Regionenkammer lief die Rechte gegen die Reform Sturm.

Der aostanische Autonomie-Politiker Luciano Caveri schrieb 2001 die Verfassungsreform mit, aufgrund seiner Vorschläge wurde der Verfassungsartikel 116 — Italiens Regionen — ergänzt und regionalistisch verstärkt. Die Rolle der Regionen mit Sonderstatut, also mit Autonomie, wird ausdrücklich betont (im Fall Südtirol gilt der österreichisch-italienische Pariser Vertrag als internationale Grundlage der Autonomie). Außerdem können den Regionen mit Normalstatut »bestimmte Formen … der Autonomie« zugewiesen werden. »Differenzierter oder asymmetrischer Regionalismus« deshalb, weil Regionen unterschiedliche Befugnisse beantragen und erwerben können.

Gegen diese Entwicklung zog 2014 PD-Regionenminister Francesco Boccia mit seiner »Koordinierung der öffentlichen Finanzen« eine hohe »Brandmauer« ein. Dieses Rahmengesetz betont die Einheit der Republik — bereits fixiert im Verfassungsartikel 5 — und das Solidaritätsprinzip. Die unmissverständliche Botschaft: Autonomien gefährden die eine und unteilbare Republik und kommen einer Aufkündigung der innerstaatlichen Solidarität gleich.

Was für eine Unterstellung. Südtirol beispielsweise zahlt jährlich für den Abbau der Staatsschulden 900 Millionen Euro, überweist jährlich mehr als eine Milliarde Euro an Steuern an die zentrale Steuerbehörde in Rom. In der Schweiz, in Österreich und in Deutschland unterstützen die starken Kantone und Bundesländer über einen Finanzausgleich die wirtschaftlich schwächeren Länder. Die intelligentere Form, die Einheit zu erhalten und die Solidarität zu organisieren.

Luciano Caveri wirft der Allianz der Autonomiegegner vor, künstlich Kontroversen anzuheizen. Er erinnert daran, dass es eine regionale Autonomie nur im Dialog gibt, zwischen Staat und interessierten Regionen und einer entsprechenden Zustimmung im Parlament. Sicherheitszäune mehr als genug, gleichzeitig permanente Unterstellungen, dass autonome Regionen den Staat zerstören könnten.

Die antiautonomistische Positionierung der verschiedenen Regierungen und des Parlaments ist auch gleichbedeutend mit einem Allmachtsanspruch. Immerhin haben die Lombardei, Venetien, Emilia-Romagna, Piemont, Ligurien, Toskana, Marken, Umbrien und Kampanien 2017 Autonomie eingefordert, auch mit Referenden.

Serie I II


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