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Bauernmisere Schuld der Ukraine?

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Die deutschen Bauern demonstrieren gegen die eigene ungeliebte Regierung. Hände weg von den verschiedenen Subventionen, warnen die »Bauernkrieger« die Ampel. Sie wehren sich gegen die Abschaffung der Steuerbegünstigungen auf Agrardiesel und andere Agrarsubventionen. Ein Kampf um Privilegien, die die Allgemeinheit finanziert. Die deutschen Bauern verteidigen auch die verschiedenen anderen Subventionen, jene der EU. Ein sattes Drittel des EU-Budgets fließt in die Landwirtschaft, 2019 betrug die Subventionssumme 54,4 Milliarden Euro, inzwischen sind es fast 60 Milliarden. Die europäische Landwirtschaft beschäftigt 9,4 Millionen Menschen, die Lebensmittelindustrie 3,7 Millionen Menschen. Das Europaparlament stellt fest, dass der Anteil des Agrarsektors am BIP der EU 2020 1,3 Prozent betrug. Eine überschaubare Größe.

Die Nutznießer dieser europäischen Subventionsbeglückung sind die Großen. Laut den Zahlen von 2021 machen die sogenannten Flächenprämien mit drei Vierteln der Fördermittel den größten Anteil aus. »Fakt ist, dass 99,6 Prozent der Antragsteller in Deutschland jährlich weniger als 300.000 Euro Direktzahlungen aus Brüssel erhalten haben und große Ackerbaubetriebe, mit einem hohen Eigenlandanteil und einer vergleichsweise geringen Wertschöpfungsintensität je Hektar, von den entkoppelten Zahlungen bis heute besonders profitieren«, analysiert Proplanta. Der Großgrundbesitz, egal, ob es sich um Agrarkonzerne, Kapitalanlagen/Großinvestitionen oder Spekulationsobjekte handelt, kassiert ab, nicht die kleinen und mittelständischen bäuerlichen Betriebe.

Das verwundert nicht. Tausende Lobbyisten sind in Brüssel aktiv, Nina Holland von der niederländischen NRO Corporate Europe Observatory wirft den Konzernen vor, ungeniert und kaltschnäuzig in Brüssel zu intervenieren. In der Wochenzeitung ff warf Holland dem SVP-Europaparlamentarier Herbert Dorfmann (SVP) vor, sich öfters mit den Lobbyisten der Agrar- und Lebensindustrie zu treffen als mit Verbraucherorganisationen.

Von der Politik bevormundet?

Die EU reserviert also viel Geld für die Landwirtschaft, gleichzeitig wehren sich die Bauern gegen EU-Vorgaben wie Tierwohl, ökologischen Umbau, Schutz der Vielfalt durch Renaturierung, geringeren Einsatz von Pestiziden. Die Politik mische sich auf ungehörige Weise in Ställe und Felder ein, lautet die bäuerliche Kritik. Man fühle sich von der Politik bevormundet.

Die Politik ist im Visier der bäuerlichen Demonstranten, generell und spezifisch. So wird auf den bäuerlichen Kundgebungen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine protestiert. Was hat nun der russische Krieg gegen und in der Ukraine mit den Bauern zu tun? Die Antwort darauf lieferte die streitbare niederländische Bäuerin Sieta van Keimpema von den Dutch Dairymen (Mitgliedsorganisation des European Milk Board) und von der Farmers Defence Force auf Salto. Sie fordert das Ende der bisherigen Agrarpolitik und spricht sich vehement gegen den Import von ukrainischem Getreide aus. Niemand wolle diese Getreide haben, weiß die Niederländerin, auch nicht die anderen ukrainischen Landwirtschaftsprodukte. In der Ukraine zähle das Tierwohl nichts, genauso wenige kümmere man sich dort um Pestizidvorgaben. »Ich verstehe jeden Bauer, der erklärt, dass das nicht sein darf«, verteidigt van Keimpema diese antiukrainische Haltung der europäischen Bauern. Sie ist überzeugt, dass das billige ukrainische Getreide die Landwirtschaft in der EU gefährde.

Sieta van Keimpema wirft der Ukraine vor, mit ihren Getreideexporten Europa zu vergiften. Auf den Riesenfeldern würden verbotene Pestizide wie Chloropyrifos eingesetzt. »Laut eines Beitrages (sic) in der österreichischen Fachzeitschrift Landwirt (Ausgabe 17/2023) war in einem Fall der Toxingehalt so hoch, dass das Getreide nur für die Fütterung von Biogasanlagen taugte […] Es landet sowohl in den Futtertrögen der Tiere, als auch auf den Tellern der Verbraucher«, begründet van Keimpema ihren drastischen Vorwurf. Gleichzeitig wirft sie den »Mainstream-Medien« vor, darüber zu schweigen. Ein nicht gänzlich unbekannter Sager.

Van Keimpema hantiert mit Halbwahrheiten. Chlorpyrifos ist ein Pestizid gegen Insekten und Milben. In Europa gehört es zu den meistverwendeten Produkten für eine Reihe von Pflanzenarten. Seine Rückstände lassen sich häufig in Früchten, Gemüsen, Zerealien und Milchprodukten sowie im Trinkwasser nachweisen.

Die Europäische Chemikalienagentur, aber auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit stufen Chlorpyrifos als »sehr giftig für Wasserorganismen mit langfristiger Wirkung« ein. Inzwischen ist diese Substanz verboten. Fakt ist aber auch, dass in südlichen EU-Ländern weiterhin Chlorpyrifos zum Einsatz kommt.

Bauernfeinde Ukraine und Grüne

Van Keimpema hat die Ukraine als Feind ausgemacht. Im Salto-Gespräch erinnert sie daran, dass sich die niederländische Bevölkerung mit einem Referendum 2016 gegen einen Assoziierungsvertrag der EU mit der Ukraine ausgesprochen hat. Weil die Ukraine den Wettbewerb gefährde, den europäischen Markt mit vergifteten Produkten flute, weil in der Ukraine Großkonzerne das Sagen hätten. Ein Zwischenruf: Und in der EU? »Die Welt wird nicht besser, wenn die Ukraine der EU beitritt, weil nicht die ukrainischen Bürger davon profitieren, sondern einige wenige Player auf den großen Märkten. Zudem zählt die Ukraine nach wie vor zu den korruptesten Ländern der Erde und alle Anstrengungen seitens der EU, hier Verbesserungen zu erreichen, sind ins Leere gelaufen und hatten keinerlei positive Effekte«, wirft die niederländische Bäuerin der Ukraine pauschal Versagen vor. Die niederländische Bäuerin scheint den totalen Durchblick zu haben.

Van Keimpema sagt es unmissverständlich, sie ist gegen einen EU-Beitritt der Ukraine. Putins Applaus ist ihr damit sicher. Ihr Beweggrund ist eindeutig, ein Großteil der EU-Fördergelder würde in die Ukraine abfließen. Keimpema verweist auf eine Analyse der Financial Times. Bisherige Nettoempfänger würden Nettozahler werden, warnt die niederländischen Milchbäuerin. Die ukrainischen Gipftpanscher gefährdeten die Gesundheit der Europäer:innen, das wirtschaftliche Überleben der Bauern und überhaupt das Überleben der Menschheit, also die Ernährungssicherheit. Keimpena prophezeit, »der uneingeschränkte Zugang der Ukraine zum europäischen Markt wird jedoch dazu führen, dass weniger Lebensmittel produziert werden. Für jene, die nur über ein geringes Einkommen verfügen, wird der Zugang zu leistbaren Lebensmitteln noch schwieriger werden.«

Die anti-ukrainische Bäuerin wirft der EU vor, gemeinsam mit der ukrainischen Politelite in der Ukraine herrschende Missstände legalisieren zu wollen. Wahrscheinlich wohl auf Kosten der europäischen Bauern und Verbraucher, so die wenig verklausulierte Botschaft der Dutch Dairymen-Frontfrau. Während die EU bestimmte Pflanzenschutzmittel verboten sowie Tierwohlstandards eingeführt hatte zum Schutz von Mensch, Natur und Umwelt, kümmere sich die Ukraine nicht darum. Während in der EU die Käfighaltung seit Jahren verboten sei, sei sie in der Ukraine jedoch erlaubt. Trotzdem, Lebensmittel aus dieser Produktion würden in die EU importiert »und machen die hiesigen Bauern kaputt«. Van Keimpena scheint Märchen der Realität vorzuziehen, die Käfighaltung beispielsweise von Hühnern ist die gängige »Produktionsweise« auch in der EU, kritisiert die Tierschutzorganisation PETA. Unwidersprochen durfte van Keimpena auf Salto ihre Fake News verbreiten.

Die Ukraine muss stellvertretend herhalten, denn van Keimpemas Kritik zielt eigentlich auf den Green Deal der EU-Kommission. Sie zitiert in ihrem Kampf dagegen die Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), die die EU angeblich aufgefordert habe, den Green Deal aufzugeben, weil dieser in eine weltweite Hungersnot führe. Seltsam, eine Google-Recherche ergibt genau das Gegenteil: Die FAO hofft auf entsprechende positive weltweite Impulse durch den Green Deal der EU. Wie dem auch sei, van Keimpema hofft, dass nach den Europawahlen im Juni mit dieser Politik Schluss sein wird. Die Gegner dieser Politik sind die verschiedenen rechten und sehr weit rechten politischen Gruppierungen in strategischer Kombination mit den Konservativen. Wie schon beim Widerstand gegen die Renaturierung aufgelassener landwirtschaftlicher Flächen und Gebiete.

Orbán-Ungarn für antiukrainische Bauernproteste

Kräftigen Applaus erhalten van Keimpema und die deutschen Bauern von Ungarn. Dort gefällt die Attacke gegen die Ukraine, wo es keine Regeln gebe. Der ungarische Landwirtschaftsminister, ein Großempfänger von EU-Milliarden, wirft der EU vor, mit ihrem Green Deal überzogene und ideologisch motivierte Klimaschutzmaßnahmen durchdrücken zu wollen. Minister István Nagy sieht durch diese Politik das Gleichgewicht »zwischen der Bewahrung der geschaffenen Welt, der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte und der Sicherstellung der Versorgung der EU mit hochwertigen Lebensmitteln« gestört. Die Landwirtschaftspolitik der EU sei noch nie so »ideologisch durchdrungen« gewesen. Besonders stört den Minister die »ideologische Aussage«, dass die Landwirtschaft die Hauptursache für den Klimawandel sei. So sagt das zwar niemand, die Landwirtschaft trägt aber zum Klimawandel bei, allein in Deutschland stammen 14 Prozent der Gesamtemissionen aus der Landwirtschaft.

Es gehe nicht mehr um die ukrainischen Landwirte, sondern um große kapitalintensive Unternehmen, darunter Amerikaner, Niederländer, Deutsche und Saudis, die in der Ukraine große Flächen aufgekauft haben und einen sicheren europäischen Markt brauchen. Sie kleiden das alles in eine grüne Ideologie und machen den europäischen Landwirten ein schlechtes Gewissen, sagte Nagy.

Erschreckende Thesen. Nicht weniger befremdend die Reaktionen auf die Salto-Aussagen der niederländischen Bauernkämpferin. Markus Lobis, einst Mitarbeiter des grünen Europaparlamentarier Sepp Kusstatscher, führt die westliche Unterstützung zugunsten der überfallenen Ukraine auf die — nicht nur — landwirtschaftlichen Großinvestitionen in der Ukraine zurück. Aus diesem Grund werde die Ukraine »auch so beherzt verteidigt und unterstützt«. Ein weiterer User ergänzt »nicht zu vergessen, die mit Uran angereicherte Munition die GB und USA an die Ukraine geliefert haben.«

Aber ja, die Ukraine ist schuld, zumindest an der europäischen Bauernmisere. Wahrscheinlich trägt die Ukraine auch die Verantwortung dafür, dass die von Sieta van Keimpema angelieferte Milch an die Genossenschaft FrieslandCampina von schlechter Qualität war. Deshalb wurde ihr Betrieb von der Genossenschaft ausgeschlossen.

Polemisches zum Schluss: Die nervigen Klimakleber stufte die Münchner Generalstaatsanwaltschaft als »organisierte Kriminelle« ein, nicht die Mafia. Seit Tagen manifestieren die Bauern in Deutschland, wer im Land das Sagen hat. Sie wollen von der Sparpolitik verschont werden. Inzwischen haben sich den protestierenden Bauern weitere Berufssparten angeschlossen, die Frächter beispielsweise. Ein unerlaubter, wahrscheinlich völlig überzogener, Vergleich: 1973 protestierten und demonstrierten in Chile Bauern und Frächter gegen die sozialistische Regierung Allende. Dann folgte der blutige Militärputsch. In Europa stehen »nur« Wahlen an, im Juni, zum Europaparlament.


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