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»Juden werden hier nicht bedient!«

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Sind die antiisraelischen Proteste Brandbeschleuniger für einen neuen Südtiroler Antisemitismus?

Auf einem Schaufenster unter den Bozner Lauben stand der unmissverständliche Satz »Juden werden hier nicht bedient!«. Eine unzweideutige Anleihe aus dem antisemitischen Arsenal der Nationalsozialisten in den 1920er und 1930er Jahren. Die Folgen des eliminatorischen NS-Antisemitismus sind bekannt, die Shoah mit mehr als sechs Millionen ermordeten jüdischen Europäer:innen. Die meisten Angehörigen der Opfer fanden eine Heimstatt in Israel.

Der ausgeforschte Täter soll psychische Probleme haben. Schrieb der Mann mehrere inkriminierte Sätze auf Schaufenster und Infotafeln, weil das Umfeld dementsprechend ist? Wegen der herrschenden antisemitischen Stimmung? Eine zuordenbare Aktion, weil Folge einer Krankheit und deshalb halb so schlimm? Trifft die Reaktion von Elisabetta Rossi von der jüdischen Gemeinde von Meran also nicht zu?

Rossi zeigte sich über den antisemitischen Schriftzug gar nicht überrascht. Der Antisemitismus sei nie wirklich überwunden worden, kommentierte Rossi die Tat. Denn in Südtirol schwele der Antisemitismus latent im Untergrund. Den »traditionellen« Südtiroler Antisemitismus heizte beherzt die katholische Kirche an, Humus für den Antisemitismus der Nazis. Dieser war für viele Jüdinnen und Juden in Meran zwischen 1943 und 1945 tödlich. Nicht von ungefähr trägt die Recherche von Sabine Mayr und Joachim Innerhofer über den Antisemitismus in Südtirol den Titel Mörderische Heimat. Südtiroler Nazis verfolgten jüdische Meraner:innen, die in den KZ ermordet wurden; ihr Eigentum raubten, sie »arisierten« es. Wiedergutmachung, »Vergangenheitsbewältigung«? Fehlanzeige.

Der nationalsozialistische antisemitische Humus blieb fruchtbar/furchtbar im Land liegen. Historiker Leopold Steurer richtete in seiner wissenschaftlichen Forschung sein Augenmerk auf die erfolgreiche auch amtliche Verdrängung des Südtiroler Antisemitismus. Er überlebte den Nationalsozialismus, die angebliche Entnazifizierung und den demokratischen Neustart nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie in Deutschland auch, immer wieder belegten Studien, dass ein Viertel der Deutschen antisemitische Ressentiments pflegen. Das wird in Südtirol wahrscheinlich nicht viel anders sein. In der von Anti-Nazis gegründeten SVP richteten sich auch Nazis ein, wegen dessen Kritik an Proporz und Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung warfen SVP-Politiker dem Grünen Alexander Langer seine jüdische Abstammung vor. Jüdischsein, ein Makel?

Der im Untergrund wabernde Antisemitismus brach immer wieder nach oben. Die inzwischen selbständig gewordene Südtiroler Filiale der FPÖ bediente immer wieder den Antisemitismus, verpackt als antizionistische Israelkritik. Vor einigen Jahren durfte auf einer Pressekonferenz der Freiheitlichen in Bozen ein antizionistischer Rabbi aus Wien ungeniert und uneingeschränkt auf Israel schimpfen, die anwesenden Freiheitlichen freuten sich tierisch. Die Freiheitlichen polemisierten heftig gegen die Errichtung einer Erinnerungsstele an die ermordeten Juden am Bozner Friedhof.

Die Patin der Südtiroler Freiheitlichen, die FPÖ, galt seit ihrer Gründung als Sammelbecken alter Nazis. Die Partei habe definitiv eine antisemitische Geschichte, ist Moshe Kantor vom Europäischen Jüdischen Kongress überzeugt. Vor einem Jahr befand Oskar Deutsch von der österreichischen Israelitischen Kultusgemeinde, dass es sich bei der FPÖ um »Keller-Nazis« handle. Bewusst setzte FPÖ-Chef Herbert Kickl bei den Kundgebungen gegen die Corona-Politik der österreichischen Regierung antisemitische Codes ein, verglich die Impfkampagne mit der Ausgrenzung jüdischer Kinder im Dritten Reich. Die Rechte, nicht nur in Österreich, hantierte mit dem Instrument Antisemitismus, die Juden seien schuld an der Pandemie. Also die »jüdische« Pharmaindustrie, Pfizer und Moderna, die Politiker:innen als deren angeblichen Handlanger, usw.

»Volkskanzler« Kickl fand Nachahmer in Südtirol. Der damalige Landtagsabgeordnete Josef Unterholzner von der Liste Enzian, abgespalten vom Team K, verglich – schräger geht es kaum – die Ungeimpften mit Holocaust-Opfern. Auf Kundgebungen trugen Demonstranten den Davidstern als Symbol ihrer angeblichen Verfolgung durch den Staat. Die Impfgegnerszene, ein Sammelsurium wütender Rechter wie links-alternativer Aufgewühlter, bediente den Antisemitismus in ihrem Widerstand gegen die Gesundheitsbehörden. Die Nazis des 21. Jahrhunderts. Ein Einschub: Diese Szene unterstützt seit dem Ende der Pandemie begeistert den russischen Eroberungskrieg in der Ukraine und die palästinensische Hamas in Gaza.

Regelrecht erhitzt wird der Antisemitismus seit dem 7. Oktober 2023. Damas überfielen Killer der klerikal-faschistischen Hamas – gesponsert von der Türkei, vom Iran und von Katar – aus Gaza heraus benachbarte israelische Weiler, Dörfer und mehrere Kibbuze. Mehr als 1.200 Menschen wurden abgeschlachtet, Mädchen und Frauen vergewaltigt, während der Vergewaltigung stachen die Hamas-»Kämpfer« auf ihre Opfer ein und entführten mehr als 250 Menschen. Auf ihrem »Siegeszug« in Gaza applaudierten Menschenmassen den Hamas-Terroristen zu.

Seitdem überzieht Israel mit einer Feuerwalze die Stadt-Landschaft von Gaza. Ein unverhältnismäßiger Krieg einer rechts-rechten israelischen Regierung gegen die Hamas, die sich bewusst strategisch hinter der Bevölkerung verschanzt. Seitdem dominieren pro-palästinensische Demonstranten Straßen und Plätze in Europa. Hamas-Sympathisanten und Linke demonstrieren Hand in Hand gegen Israel, ihr Slogan: From the river to the sea, Palestine must be free. Klartext: Israel muss verschwinden. Damit stellen Teile der europäischen Linken das Existenzrecht des Staates Israel in Frage. Dieser angebliche linke Antizionismus ist nichts anderes als linker Antisemitismus:

…aber das Recht des jüdischen Volkes auf einen eigenen Staat zu bestreiten und immer Israel als Sündenbock für jedes Problem mit den Arabern hinzustellen oder Israel gar als Apartheids-Staat zu bezeichnen, das ist Antisemitismus

sagte Federico Steinhaus, ehemaliger Vorsitzender der jüdischen Gemeinde von Meran, in einem Interview mit der Neuen Südtiroler Tageszeitung.

Auch auf den verschiedenen pro-palästinensischen – pro Hamas? – Kundgebungen in Bozen, organisiert von italienischen Linken, schimmerte dieser verkappte Antisemitismus durch. Genauso auf Salto, wie auch letzthin wieder. Der israelische Krieg in Gaza soll die Hamas treffen, trifft aber mehrheitlich Kinder und Frauen. Die Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung, Opfer der Hamas und die Leidtragenden des Krieges, wuchert sich aber zu einem weit verbreiteten Antisemitismus aus. Patrizia Zambai widmet in ihrem Salto-Text I bambini di Gaza zurecht ihre Aufmerksamkeit den Schwächsten in diesem unverhältnismäßigen Krieg. Verräterisch aber ist ihre Formulierung zu den Hamas-Massakern vom 7. Oktober, sie schreibt darüber »le azioni di Hamas«. Die Aktionen? Manche Linke bejubelten diese »Aktionen« als eine »Befreiungsaktion«. Muss ja so sein, der islamistische Präsident der Türkei, Erdogan, würdigte die von ihm geförderte Hamas als eine Befreiungsbewegung. Der Antisemitismus, Kitt für die »antikolonialistische« Linke, für Islamisten und für Rechtsradikale in Europa.

Israel, Kinderkiller, ein Maurer-Slogan in Bozen. Eine alte antisemitische »Erzählung«, Juden töten Kinder.

Der Antisemitismus stirbt nicht aus, das haben wir im Laufe der Jahrhunderte gelernt. Er kommt zum Vorschein, wenn etwas im Leben schief geht oder wenn es eine Krise, sei es wirtschaftlicher oder anderer Art, gibt, die Unsicherheit mit sich bringt

versuchte Federico Steinhaus im Interview mit der Neuen Südtiroler Tageszeitung eine Erklärung.

Wegen der eingangs erwähnten antisemitischen Sätze rief Guido Margheri, Präsident der Partisanenvereinigung ANPI, dazu auf, »sich in jeder Weise und auf allen Ebenen dem Antisemitismus und jeglichem alten und neuen Rassismus zu widersetzen«, und zwar mit den zur Verfügung stehenden Gesetzen. Margheri zitierte das Scelba- und das Mancino-Gesetz. Ersteres verbietet faschistische Symbole, zweiteres die Anstiftung zu rassischer, ethnischer, nationalistischer oder religiöser Diskriminierung und Gewalt sowie auch faschistische Propaganda und das Zeigen von Symbolen faschistischer und nationalsozialistischer Organisationen. Papiertiger. Das Kassationsgericht, Italiens Höchstgericht, sieht im »römischen Gruß«, dem Faschistengruß, keine Gefahr. Auf jeden Fall keine Straftat. Trotz wachsender Judenfeindlichkeit.


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