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Plankensteiner 2.0.
Sinner und die Herabwürdigung der anderen

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Der Südtiroler Tennis-Star Jannik Sinner ist ein Sympathieträger. Und in der Tat hat der “Puschtra Bui” in den letzten Jahren vieles richtig gemacht. Potentielle Fettnäpfchen hat er größtenteils gekonnt umschifft und auch diverse Vereinnahmungsversuche hat er diplomatisch und geschickt pariert. Jedoch an der nationalen Identitätsfrage scheitert auch er und lässt sich – ob von sich aus oder auf Druck kann ich nicht beurteilen – zu schiachen Verfehlungen hinreißen.

Laut Tuttosport hat Sinner kürzlich folgendes gesagt:

Io sono orgoglioso di essere italiano, sono molto felice di essere nato in Italia e non in Austria o da un’altra parte, perché ho sempre detto e lo ribadisco con tanta onestà che questo paese si merita molto di più anche di quello che sto facendo io. Abbiamo le strutture, gli allenatori, i giocatori. Abbiamo tantissime mentalità differenti che però sono anche la nostra forza.

– Jannik Sinner

Als was sich Sinner fühlt, ist seine persönliche Entscheidung. Und wenn er seine individuelle Identität als Italiener wahrnimmt, so ist das zu akzeptieren. Von mir aus kann er auch “stolzer Italiener” sein, wobei ich persönlich nie verstanden habe, wieso man auf etwas stolz sein soll, was der Geburtslotterie geschuldet ist. Ich halte es diesbezüglich mehr mit George Carlin, der meinte:

I could never understand ethnic or national pride. Because to me pride should be reserved for something you achieve or attain on your own, not something that happens by accident of birth. Being Irish isn’t a skill, it’s a fuckin’ genetic accident. You wouldn’t say “I’m proud to be 5’11”. I’m proud to have a predisposition for colon cancer.” So why the fuck would you be proud to be Irish, or proud to be Italian, or American or anything?

– George Carlin

Hätte es Sinner beim “Io sono orgoglioso di essere italiano, sono molto felice di essere nato in Italia” belassen, wäre alles gut. Doch indem er “non in Austria o ad un’altra parte” anfügt, wird sein pathetischer Patriotismus zu toxischem Nationalismus, der nicht ohne die Herabwürdigung anderer auskommt. Warum macht sich Sinner unnötig klein, indem er seine Größe durch die Abwertung des anderen unterstreichen muss?

Dazu kommt noch, dass Sinners Claim, wonach die Bedingungen in Italien so gut seien und die Diversität Italiens Stärke sei, rein faktisch nicht wirklich nachvollziehbar ist. Zum einen gibt es in den meisten Staaten besagte Diversität, die also bei Gott kein Alleinstellungsmerkmal Italiens ist, und zum anderen ist Sinner der erste Spieler aus dem 59-Millionen-Einwohnerland, der es an die Spitze des ATP-Rankings geschafft hat. Vor ihm war nicht einmal ein italienischer Spieler in den Top drei. Das etwas kleinere Spanien hat in der Geschichte vier Nummer-1-Spieler hervorgebracht und vier weitere schafften es in die Top drei. Diversitätsdetail am Rande: Sechs dieser acht Spieler stammen aus katalanischsprachigen Regionen. Und selbst das von Sinner gedisste kleine Österreich hatte mit Thomas Muster (Nr. 1 1996) und Dominic Thiem (Nr. 3 2020) zwei Spieler in den ATP-Top-3 bevor dies mit Sinner einem Spieler aus Italien gelang. Diese Feststellungen sollen keine Herabwürdigung Italiens sein, sondern einfach nur die Absurdität des nationalistischen Stolzes in Sinners Aussage belegen.

Sinners Statement erinnert ein wenig an die “Causa Plankensteiner” vor fast 20 Jahren. Damals war der Südtiroler Rodelolympiasieger Gerhard Plankensteiner ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, weil er die Mameli-Hymne nicht kannte, woraufhin er zum Singen derselben im TV-Studio genötigt wurde. Auch er hat laut Spiegel im Anschluss seine Italianità betont und – ganz im Sinne der hässlichen Rhetorik der Hymne – festgestellt, wie übel doch die anderen seien:

Ich liebe Italien, ich mag Italien. Es stimmt nicht, dass ich nur Augen für Südtirol habe. Ich könnte auch in Sizilien oder Kalabrien leben. Ich bin ein echter Italiener. […] Ich mag Österreich nicht. Dort will ich nicht leben. Ich möchte Italiener und nichts anderes sein.

– Gerhard Plankensteiner

Generell scheint es bei Südtiroler Spitzensportlerinnen keine Seltenheit zu sein, gerade in Bezug auf Österreich oder Deutschland feindselig und herablassend zu agieren, wenn ihnen – meist von nationalen Medien – bezüglich ihrer Identität aka. Italianità auf den Zahn gefühlt wird. Die Biathletin Dorothea Wierer glaubte vor einigen Jahren im Interview mit der Gazzetta dello Sport auch, dass Unfairness und Arroganz der beste Weg wären, die eigene Stärke und Italianität zu untermauern:

Meine Leidenschaft ist voll und ganz italienisch, angefangen beim Trikolore-Herz, das ich auf meinem Gewehr angebracht habe. Ich möchte nie starr wie eine Deutsche sein.

– Dorothea Wierer

Es ist unmöglich, zweifelsfrei festzustellen, ob die Sportlerinnen diese Aussagen freiwillig und aus Überzeugung treffen oder ob sie aufgrund des ausgeübten Drucks zustande kommen. Fakt ist, dass viele offenbar glauben, auf die Zweifel an ihrer Italianità mit übersteigertem Nationalismus und gleichzeitiger Herabwürdigung anderer reagieren zu müssen. Leider hat es der derzeit bekannteste Sportler Südtirols und Italiens ebenfalls nicht geschafft, diesem Reflex zu widerstehen, wie auch Landeskommandant Christoph Schmid in einem eloquenten offenen Brief der Schützen darlegt.

Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07



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Comentârs

7 responses to “Plankensteiner 2.0.
Sinner und die Herabwürdigung der anderen

  1. Stefan Schuetzinger avatar
    Stefan Schuetzinger

    Ich verstehe diesen Nachsatz auch nicht. Ich denke, Österreich ist Südtirol in der sehr schwierigen Zeit des Faschismus und auch danach mit viel politischer Unterstützung zur Seite gestanden, um für eine gute Zukunft dieses ehemaligen Teiles Österreichs mitzukämpfen. Es müssen Historiker beurteilen, ob Südtirol ohne die Unterstützung Österreichs diesen hohen Grad an Autonomie erreicht hätte, den es heute genießt. Es war jedenfalls extrem unschön mit anzusehen, welcher extreme Druck auf den blutjungen Spitzensportler Sinner ausgeübt wurde. An den Stimmen die hier laut wurden – sowohl in die eine als auch die andere Richtung -, konnte man auch sehr gut erkennen, wie nationalistisch vereinnahmend oder eben auch nicht einzelne italienische Persönlichkeiten wirklich denken. Sind Bruno Vespa und Corrado Augias jetzt zufrieden, daß der aktuell erfolgreichste Tennisspieler der Welt sich für Italien und gegen Österreich ausgesprochen hat ? Seine Steuern “zahlt” er auch weiterhin in Monaco und weder Herr Augias noch Herr Vespa spielen ab sofort besser Tennis. Was bei Allem aber Sorge macht, ist dieser extreme Nationalismus, der aktuell kein Halten zu kennen scheint.

  2. artim avatar
    artim

    Es hat wohl etwas mit der existenziellen Erfahrung des Andersseins, mit negierter Identität und mit der Ungleichwertigkeit der Südtirolerschaft im politischen Italien zu tun. Wer sonst muss sich als Bevölkerungsgruppe ständig erklären und bekennen. Früher hatte es dafür die Kirche.
    Eine Übergriffigkeit.
    Das gleiche Muster gilt auch bei der “razza sportiva”, die anders als zur Zeit Mussolinis noch, offenbar nicht mehr der “razza italiana” gleichgesetzt ist.
    Da helfen dann wohl nicht mal mehr die “Zugaben” Plankensteiners, Wierers und Sinners.

  3. Kritiker avatar
    Kritiker

    Wenn dies so ist, wie diese Sportler alle behaupten, schlage ich vor, sofort und unmittelbar die Autonomie abzuschaffen. Wir sprechen ab jetzt nur mehr Italienisch, sparen uns den ganzen Aufwand der eh nicht wirklich funktionierenden Zweisprachigkeit, werden eine stinknormale, italienische Provinz und haken das Ganze ab. Südtirol ist als Modell gescheitert. Ist es wirklich das, was wir wollen?

    1. Hartmuth Staffler avatar
      Hartmuth Staffler

      Der Sinner und die Wierer sind als Sportler und Geschäftsleute erfolgreich, als Persönlichkeiten sind sie bei allen sportlichen und geschäftlichen Erfolgen gescheiterte Existenzen. und damit nur zu bedauern.

      Moderationshinweis: Bitte auf Beleidigungen verzichten und Behauptungen mit Argumenten untermauern (vgl. Netiquette, Regeln Nr. 3 und 11).

      1. G.P. avatar
        G.P.

        Sie bringen es genau auf den Punkt. Beide geben in dieser Hinsicht eine erbärmliche Figur ab und sind zum Fremdschämen.

        Moderationshinweis: Bitte auf Beleidigungen verzichten und Behauptungen mit Argumenten untermauern (vgl. Netiquette, Regeln Nr. 3 und 11).

    2. Stefan Schuetzinger avatar
      Stefan Schuetzinger

      Was Sinner mit dieser Aussage – aus seiner Sicht sicherlich ungewollt – befeuert, ist die Vorstellung, dass Südtirol eigentlich eine ganz normale Region ist, so wie die Marken, oder die Toskana, usw. Das bedeutet dann aber im Umkehrschluß auch, dass mehr und mehr die Frage gestellt werden wird: Wozu diese ganze Autonomie, wozu diese vielen Vorteile, wozu diese Bevorzugung der deutschen Sprache, usw. Das ist das, was die italienischen Nationalisten hier befeuern, ja einfordern. Und ihr Druck hatte Erfolg. Österreich ist ja noch immer die Schutzmacht von Südtirol und Sinner hat die Notwendigkeit dieses Funktion mit seiner Aussage mehr als in Frage gestellt. Ich habe erst eine offizielle Stimme des Bedauerns gehört. Was sagt Kompatscher ?

  4. Martin Piger avatar
    Martin Piger

    Die Situation entbehrt auch nicht einer gewissen Komik. Dieser übersteigerte Nationalismus hat auch damit zu tun, dass die Italiener sehr wohl wissen, dass die Südtiroler keine “richtigen” Italiener sind, auch der Jannik Sinner nicht, und haben deshalb wirklich Angst, Südtirol wieder zu verlieren. Deshalb brauchen sie diese ständige Versicherung der Loyalität, die man anderen Minderheiten nicht abverlangen würde. Das man mit Tirol zur Vervollständigung der eigenen Nation einen anderen politischen und kulturellen Verband gewaltsam zerrissen hat, kann man zwar verdrängen, aber nicht wirklich vergessen. Viele Südtiroler hingegen glauben, die Messe ist gelesen, wir werden auf ewig Teil Italiens bleiben und sehen die Kritik an dieser ultranationalistischen Haltung als unnötige Provokationen und Gefahr für das friedliche Zusammenleben. Dass es zum Funktionieren der Autonomie aber auch den guten Willen der Gegenseite braucht, der in den wichtigsten nachweislich Punkten fehlt, wollen sie nicht wahrhaben. Wenn die Italiener wüssten, dass sich die meisten Südtiroler als Südtiroler bereits selber aufgegeben haben, würden sie nicht so vehement auf die Beweise der Italianität drängen. Mittlerweile habe ich mehr Angst vor der unbewussten Kollaboration mit den italienischen Nationalisten von Seiten der “gutwilligen” Südtiroler, die dadurch in ihrer Selbstwahrnehmung das friedliche Zusammenleben fördern wollen, als vor den italienischen Nationalisten selber. Am Ende können wir uns nur selber schlagen.

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