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NZZ-Bericht über die Situation in Südtirol.

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Schon wieder ist in einem internationalen Medium ein — aus meiner Sicht — äußerst unausgewogener und schlecht recherchierter Bericht über Südtirol erschienen, diesmal in der NZZ. Allein schon, dass den Beitrag eine Karte ziert, auf der zwar die Region Trentino-Südtirol hervorgehoben, diese jedoch als »Südtirol« beschriftet ist, zeigt, wie tiefgreifend die Recherche und wie hoch die Ansprüche wohl waren.

Auch sonst wiederholt der von Rom-Korrespondentin Andrea Spalinger verfasste Artikel großteils die weithin bekannten Klischees (und manche Idealisierungen). Von einem Qualitätsmedium aus der ebenfalls mehrsprachigen Schweiz hätte man sich jedenfalls mehr erwarten dürfen.

Dass Bozen wie »eine deutsche Kleinstadt«, nur charmanter und lebensfreudiger wirke, lasse ich mal wohlwollend unkommentiert, es kann unter »harmlose Pauschalisierungen« verbucht werden.

Einige andere Passagen kann man aber kaum unwidersprochen lassen:

Die Autonomie hat nicht nur Frieden gebracht, sondern auch beeindruckenden Wohlstand. […] Und selbst im Vergleich mit dem benachbarten österreichischen Bundesland Tirol schneidet Südtirol deutlich besser ab.

Deutlich besser? Von der Arbeitslosigkeit über die Indikatoren für Forschung & Entwicklung bis hin zu BIP, Wertschöpfung und »verfügbarem Einkommen« schneidet das Bundesland Tirol in fast allen wirtschaftlich relevanten Bereichen besser ab, als Südtirol. Eindrucksvoll belegt durch offizielle Statistiken . Auf welche Quellen sich Frau Spalinger bezieht, ist hingegen unklar.

Noch mehr Unabhängigkeit dürfte Südtirol von Rom allerdings kaum bekommen. «Was wollen wir denn auch noch mehr?», fragt der Journalist Mair. «Wir haben bereits grosse finanzielle und gesetzgeberische Kompetenzen.»

Das ist eines der Lieblingsklischees hiesiger Politiker und Journalisten und wird im NZZ-Beitrag unhinterfragt übernommen. Dabei mögen die Zuständigkeiten im Vergleich zum sonst sehr zentralistischen Italien groß sein. Doch eigentlich ist die Autonomie in vielerlei hinsicht nicht einmal mit der eines normalen deutschen Bundeslandes vergleichbar, geschweige denn mit jener eines Schweizer Kantons. Landespolizei? Fehlanzeige. Primäre Schul- und Bildungskompetenz? Nicht vorhanden. Justiz? Keineswegs. Finanzhoheit? Höchstens ansatzweise.

und trotz obligatorischer Zweisprachigkeit beherrschen laut Studien die meisten Südtiroler die andere Sprache nur ungenügend.

Auch hier wäre es nett, wenn im Artikel eine Quelle genannt würde. Denn laut offiziellem Sprachbarometer nahmen die Zweitsprachkenntnisse im Laufe von zehn Jahren deutlich zu — und zumindest bei den Italienischkenntnissen der deutschsprachigen Bevölkerung kann von »ungenügend« kaum die Rede sein. Ob man noch besser werden könnte? Keine Frage.

Gemäss der letzten Volkszählung (2011) sind 63 Prozent der rund 500 000 Einwohner der Provinz Südtirol deutschsprachig, 23 Prozent italienischsprachig. 4 Prozent gehörten der ladinischen Minderheit an, die Romanisch spricht.

Leider wird gerade von internationalen BeobachterInnen immer wieder übersehen, dass diese Volkszählungsdaten keinerlei Aussagen über die tatsächlichen Sprachkenntnisse machen. Nachdem die Erhebung die Grundlage für den ethnischen Proporz bildet, kann davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angaben aus Opportunismus gemacht werden. Wie wenig die amtlichen »Volksgruppen« mit der Sprachlandschaft korrelieren, hatten wir zum Beispiel anhand des Sprachbarometers von 2004 aufgezeigt.

Dem Landeshauptmann bereitet das Erstarken dieser Ewiggestrigen Sorgen. Früher hätten diese argumentiert, innerhalb des italienischen Staates könne das deutsche Volkstum nicht geschützt werden, sagt Kompatscher. Mittlerweile sei das Gegenteil bewiesen.

UnabhängigkeitsbefürworterInnen pauschal als ewiggestrig darzustellen, ist ein Unding, an das wir uns nie gewöhnen werden. Inwiefern aber bewiesen sein soll, dass die deutsche Sprache in Italien geschützt werden kann, bleibt wiederum offen. Das hängt wohl auch davon ab, welche Maßstäbe man anlegt. Während nämlich die Bevölkerung immer zweisprachiger wird, nimmt die Bedeutung der italienischen Staatssprache in Südtirol zu, sodass sie nun (ungeachtet der oben erwähnten Volksgruppenstärken) von allen Sprachgemeinschaften schon als die wichtigste Landessprache empfunden wird. Die Gleichstellung von Deutsch und Ladinisch mit Italienisch ist nicht nur ungenügend, sondern verschlechtert sich zunehmend.

Jene, die sich von Italien loslösen wollten, brächten nun ökonomische Argumente vor. Italien gehe es schlecht und man wolle nicht mit dem sinkenden Schiff untergehen, heisse es.

Keine der im Artikel genannten Parteien, aber auch keiner der sonstigen gesellschaftlichen Akteure, die sich für die Unabhängigkeit aussprechen — ob sie nun rechts oder links einzustufen sind — bemüht ausschließlich oder vordergründig ökonomische Motive, sondern vor allem kulturelle, sprachliche und solche der Eigenverantwortlichkeit und Autonomie. Die einen tun dies mit egoistische(re)n Hintergedanken (die wir als ökosozial inspirierte Plattform heftig kritisieren), die anderen mit Blick auf ein solidarisches, inklusivistisches, subsidiäres Europa. Dagegen muss schon mehr her, als der Vorwurf der »Ewiggestrigkeit«.

Die historisch gewachsene Sonderbehandlung wird im Parlament aber kaum infrage gestellt.

Das ist nun wirklich hanebüchen. Immer wieder werden im römischen Parlament Vorlagen zur Abschaffung der Sonderautonomien präsentiert. Sowohl der heutige Ministerpräsident Renzi, als auch Reformministerin Boschi hatten sich solchen Forderungen bereits angeschlossen. Auch sonst ficht Rom (Regierung oder Parlament) immer wieder Landesgesetze vor dem Verfassungsgericht an und kürzt einseitig die Finanzmittel.



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Comentârs

11 responses to “NZZ-Bericht über die Situation in Südtirol.”

  1. @schierhangl avatar
    @schierhangl

    Tja wahrheit tut weh. Pervasion du widersprichst Dir selbst: du gibst ja selbst zu, dass vordergründige Forderungen nach kultureller, sprachlicher Autonomie und Eigenverantwortlichkeit häufig mit egoistischen Hintergedanken (=Atomkraftbefürworter) formuliert werden.

    1. Finanzsituation: neben dem Durchschnittseinkommen wäre interessant das Medianeinkommen von Nord-und Südtirolern zu vergleichen. Hat Südtiroler eine bessere Umverteilung?

    2. ISt Südtirol der Beweis dafür, dass der öffentlicher Sektor Garant für Wohlstand ist?

    3. Autonomie: die derzeitigen Möglichkeiten der Autonomie sind durchaus schon weitreichend, allerdings wird der Spielraum oftmals nicht benutzt (Einkommenssteuer, grüner Korridor EVTZ, grenzüberschreitende Zusammenarbeit öffentlicher Körperschaften). Zu oft wird parteipolitisch die Rute ins Fenster gestellt und ein Drohszenario des Nationalstaats aufgebaut um politisches Kleingeld zu ergattern (teils gezielte oder unbewusste Desinformation von Seiten eines Senators zumFlughafenreferendum: bei Nein zurück an den Staat)

    1. pérvasion avatar

      Tja wahrheit tut weh.

      Welche genau? Wo genau hatte die NZZ recht und ich unrecht?

      Pervasion du widersprichst Dir selbst: du gibst ja selbst zu, dass vordergründige Forderungen nach kultureller, sprachlicher Autonomie und Eigenverantwortlichkeit häufig mit egoistischen Hintergedanken (=Atomkraftbefürworter) formuliert werden.

      Das eine schließt doch das andere nicht aus, das ist kein Widerspruch. Im Übrigen sind es sehr häufig die Unionisten, die ökonomisch-egoistische Argumente (gegen die Eigenstaatlichkeit) vorbringen.

      1. Finanzsituation: neben dem Durchschnittseinkommen wäre interessant das Medianeinkommen von Nord-und Südtirolern zu vergleichen. Hat Südtiroler eine bessere Umverteilung?

      Weiß ich nicht. Das würde die Aussage der NZZ aber auch nicht richtig machen.

      2. ISt Südtirol der Beweis dafür, dass der öffentlicher Sektor Garant für Wohlstand ist?

      Weiß ich auch nicht. Was hat das mit dem Beitrag zu tun?

      3. Autonomie: die derzeitigen Möglichkeiten der Autonomie sind durchaus schon weitreichend, allerdings wird der Spielraum oftmals nicht benutzt (Einkommenssteuer, grüner Korridor EVTZ, grenzüberschreitende Zusammenarbeit öffentlicher Körperschaften).

      Welche Möglichkeiten hätte Südtirol bei der Einkommenssteuer? Was ist der grüne Korridor für eine Zuständigkeit? Grenzüberschreitende Zusammenarbeit siehe hier.

      Zu oft wird parteipolitisch die Rute ins Fenster gestellt und ein Drohszenario des Nationalstaats aufgebaut um politisches Kleingeld zu ergattern (teils gezielte oder unbewusste Desinformation von Seiten eines Senators zumFlughafenreferendum: bei Nein zurück an den Staat)

      Karl Zeller behauptet, mehrere Ministerien hätten ein negatives Gutachten zum Übergang ans Land abgegeben. Ich weiß nicht, ob das stimmt und du? Hast du Beweise?

      1. @schierhangl avatar
        @schierhangl

        Pröseler Worte:
        Zustimmung: es gibt eine Reihe von KArteileichen, welche am Papier gut ausschaen, aber in keiner Weise in die Tat umgesetzt bzw. ratifiziert wurden. Genau diese glit es im Konvent zu verfestigen……
        1. Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen
        2. Ratifizierung der drei wichtigen Zusatzprotokolle von 1995, 1998 und 2009 steht noch immer aus, letzteres — das den Grundstein für »Verbünde euroregionaler Zusammenarbeit« (VEZ) legt
        3. grüner Korridor: http://www.europaregion.info/de/gruener-brenner-korridor.asp

        Flughäfen mit nationalem Interesse:
        http://www.repubblica.it/economia/2015/08/27/news/il_governo_sceglie_i_38_aeroporti_di_interesse_nazionale-121746192/

        Zukunft für regionale und nationale Flughäfen:
        http://www.mit.gov.it/mit/mop_all.php?p_id=13916

        P.S.: die Fragen der Finanzen hatten eher suggestiven Charakter. ICh möchte hier keine Neiddebatte führen, aber bei allen Zahlen liegt Südtirol vorne auch im Vergleich zu Nordtirol…

      2. pérvasion avatar

        3. grüner Korridor: http://www.europaregion.info/de/gruener-brenner-korridor.asp

        Und inwiefern werden hier vorhandene Zuständigkeiten nicht wahrgenommen?

        Zukunft für regionale und nationale Flughäfen:

        Laut Karl Zeller gilt dies nicht (automatisch auch) für autonome Provinzen, da laut mehreren Ministerien zuerst das Autonomiestatut entsprechend abzuändern (und die Zuständigkeit für den Flughafen einzubauen) wäre. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Du scheinst jedoch zu wissen, dass das falsch ist.

        bei allen Zahlen liegt Südtirol vorne auch im Vergleich zu Nordtirol

        Bei allen Zahlen? Hast du dir den statistischen Vergleich angeschaut?

      3. @schierhangl avatar
        @schierhangl

        @pervasion
        Der grüne Korridor bzw. MAssnahmen in diesem Bereich werden bis jetzt nicht umgesetzt obwohl es eine Abmachung auf euregionaler Ebene dazu gibt. Ganz im Gegenteil es läuft derzeit eine Klage der Handelskammer Bozen gegen das Land Tirol wegen transiterschwerender massnahmen.
        Fritz Gurgiser hat wohl Recht wenn er eine wesentlich stärkere Zusammenarbeit in der Verlagerung des Transits auf die Schiene anmahnt. Auch werden öffentlich nicht Massnahmen wie Erdwärme aus dem BBT, HGÜ-Leitung durch BBT, Solaranlagen an e-bike Tankstellen, Solarmodule an Bahnhöfen, Windräder in Strommasten u.ä. diskutiert, obwohl wie gesagt ein Grundsatzpapier “grüner Korridor” existiert.

        Um derartige Verzögerungen zu verhindern wäre im Rahmen des Autonomiekonvents auch eine Diskussion darüber wünschenswert welche Kompetenzen sinnvollerweise auf euregionale Ebene verlagert werden könnten um Synergieeffekte und zu nutzen.

    2. Fritz Jörn avatar

      Liebe eigenwillige (= separatistische … ) Südtiroler! In das Klein-Klein soziopolitischer Argumente mag ich mich nicht einmischen. Nur: Das Binnen-I wie in »PolitikerInnen« usw. gibt’s nicht in der deutschen Rechtschreibung, bitte meiden. Ob derartige »politische Korrektheit« einem Südtiroler wichtiger ist als die deutsche Sprache, zu der auch die rechte Schreibung gehört, ist zumindest fraglich, gell. Nichts für ungut. Anasonsten fallen mir als »ausländischem« Südtiroler ganz andere Dinge ein als das am NZZ-Artikel gemeinhin Monierte. Etwa die Unterwanderung weniger mit Italienisch sondern mit dem elenden italienischen Amtsstil, der barocken Satzbildung, der oder die oder wer auch immer dann ein Kleistsches Ewiglangdeutsch zeitigt, dessen Inhalt keine Sau versteht. Nicht bei Ihnen, den Profischreibern und Möchtegernvordenkern, sondern bei dem gemeinen Volk, das was sagen will und’s nicht schreiben kann. Obwohl: Was issn eine »Quotation«? Wohl zuviel von Quoten geschrieben? Ich kann’s mir denken, aber deutsch is dös neet. – Südtirol ist so klasse, danke bezw. vergelt’s Gott! Grüße aus »NRW« (bevölkerungsreicher als ganz Österreich, und doch kein eigener Staat, s. http://blogabissl.blogspot.de/2016/06/ich-bin-ein-schengener.html) Fritz Jörn

      1. hunter avatar
        hunter

        wir bemühen uns um korrektes deutsch (auch wenn’s kleingeschrieben ist). gleichzeitig sind zumindest für mich die standardwerke der deutschen rechtschreibung mehr deskriptiv als präskriptiv. sprache verändert sich. und das tut sie, weil menschen von der sprachlichen norm abweichen. irgendwann erklärt der duden die abweichung dann zur norm. so einfach ist das.

  2. Tirola Bua avatar
    Tirola Bua

    In diesem NZZ-Artikel ist so viel falsch. Fast schon zum Fremdschämen.

    1. Sandro R avatar
      Sandro R

      Dopo Alto Adige, Dolomiten e SZ anche la NZZ al servizio del perfido centralismo nazionalista italico 😂

      1. pérvasion avatar

        No, semplicemente superficiale.

  3. Gerhard avatar
    Gerhard

    Wie wäre es mit einer Darstellung der Lage aus der Sicht von BBD in Form eines Leserbriefes (o.ä.) in der NZZ (falls möglich)?

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