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  • Wenn Rom unser Wasser verscherbelt.

    In diesen Tagen wird durch eine Vertrauensfrage die sogenannte salva infrazioni Notverordnung der römischen Regierung durch das Parlament in ein Gesetz umgewandelt. Innerhalb 60 Tagen müssen Notverordnungen ja vom Parlament in ein Gesetz umgewandelt werden. Damit auch keine gründliche Diskussion stattfindet wird nun schon zum 28. Male in dieser Legislatur die Form der Vertrauensfrage gewählt. Salva infrazioni nennt sich das Sammelsurium, das in dieser Notverordnung enthalten ist. Unter anderem werden darin brisante Themen behandelt, wie die Privatisierung von lokalen öffentlichen Dienstleistungen. So müssen ab dem 31.12.2010 öffentliche Dienstleistungen wie die Wasserversorgung ausgeschrieben werden. Der öffentliche Anteil in den Versorgergesellschaften darf 30% nicht mehr überschreiten, der private Anteil nicht unter 40% liegen. In Zukunft werden also Private über unser Wasser und andere grundlegende öffentliche Dienstleistungen bestimmen. Ausnahmen sieht das Gesetz nur für die Gasversorgung, den regionalen Eisenbahnverkehr und einige andere Bereiche vor.

    Nicht einmal ein Jahr nachdem uns die neoliberale Weltordnung beinahe den Zusammenbruch des Weltfinanzsystems beschert hat, geht es in Italien per Liberalisierung ans Eingemachte. Es soll hier in Erinnerung gerufen werden, dass das Weltfinanzsystem vor einem Jahr nur deshalb nicht zusammengebrochen ist, da der Steuerzahler mit enormen, bis dahin unbekannten Summen, das Finanzsystem gestützt hat. Alle Hoffnungen, unser Wirtschaftssystem würde aus diesen Ereignissen die entsprechenden Lehren ziehen, haben sich bis heute zerschlagen. Es bleibt also zu befürchten, dass auch in Zukunft Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Besonders sensibel sind Privatisierungen in Bereichen, die der öffentlichen Versorgung dienen (Wasser, Energie, öffentlicher Verkehr, Gesundheit, Schule, Bildung usw.). Diese Bereiche sollten eigentlich in einem halbwegs funktionierenden Staatswesen von öffentlichen Betreibern gewährleistet werden, oder zumindest durch eine öffentlliche Aufsichtsbehörde derart strikt kontrolliert werden, dass das öffentliche Interesse zentraler Punkt der Auschreibung bleibt. In diesem Zusammenhang nur zwei Beispiele: Als Paradebeispiel gilt immer noch die Privatisierung des britischen Bahnwesens 1994. Es wurden nicht nur die Bahngesellschaft, also der Betreiber privatisiert, sondern auch das Bahnnetz. Dies war fatal. Die privaten Eigentümer hatten natürlich in erster Linie ihre Rendite im Hinterkopf. Über 15 Milliarden Euro kassierten die privaten Betreiber des Bahnnetzes, die staatlichen Ausgaben ins Netz stiegen sogar, die Investitionen ins Netz gingen drastisch zurück. Es kam zu tödlichen Unfällen und Railtrack (die Bahnnetzgesellschaft) ging 2003 pleite und musste wieder verstaatlicht werden. Seitdem ist das Bahnnetz in Großbritannien staatlich und die Betreiber (Bahngesellschaften) sind privat. Ins abgewrackte Bahnnetz wird seitdem wieder kräftig investiert und erste Resultate können sich durchaus sehen lassen. In Schweden zählt das Stromnetz zu den hoheitlichen Aufgaben des Staates (nicht die Stromproduktion). Eine kluge Entscheidung, denn erst ein unabhängiges, öffentliches Stromnetz garantiert einen Wettbewerb im Strommarkt und gewährleistet entsprechende Investitionen in die Infrastruktur. In Deutschland hat man das Stromnetz den Konzernen überlassen. So kann es dort vorkommen, dass in Schleswig Holstein Windräder stillstehen, da der Ökostrom aufgrund zu schwach ausgelegter Stromnetze nicht in die großen Zentren transportiert werden kann. Private betreiben prinzipiell keine Infrastrukturpolitik, sondern fällen ihre Entscheidungen aufgrund der Vorgaben von Analysten und sonstiger Berater, denen das öffentliche Wohl gleichgültig ist.

    Die Diskussion welche Dienstleistungen zu den staatlichen hoheitlichen Aufgaben zählen ist eine Seite des brisanten Gesetzes, das in diesen Tagen durch das römische Parlament gepeitscht wird. Der zweite Aspekt ist die Frage ob wir SüdtirolerInnen uns von Rom vorschreibern lassen müssen, ob unser Wasser privatisiert wird oder nicht. In dieser Frage erklärte Karl Zeller, der gestern (17.11.2009) über dieses Thema mit Elena Artioli in Pro & Contra diskutierte, dass ein Landtagsgesetz, das die Privatisierung von sogenannten hoheitlichen Aufgaben ausschließt, notfalls bis zum Verfassungsgerichtshof gebracht wird. Dieses Gesetz stünde ja im Wiederspruch zum neuen Staatsgesetz. Damit beginnt die eigentliche autonomiepolitische Diskussion:

    1) Ist unsere Autonomie derart schlecht aufgestellt, dass wichtige hoheitliche Aufgaben, wie die Wasserversorgung vom römischen Parlament entschieden werden können?

    2) Besteht die einzige Möglichkeit dagegen vorzugehen darin, ein Landesgesetz das die Materie zur völligen Zufriedenheit regelt, notfalls bis zum Verfassungsgerichtshof zu bringen, mit entsprechend ungewisser Entscheidung?

    3) Müssen wir in Südtirol nun darauf hoffen, dass in Italien wieder einmal nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird, oder sollten wir unsere Hoffnungen einem von der Opposition angekündigten gesamtstaatlichen, abschaffenden Referendum widmen?

    4) Müssen wir in Südtirol unser Wasser privatisieren, nur weil in vielen italienischen Regionen die öffentlichen Versorger keine akzeptable Leistung erbringen oder weil der Staat in Italien schon seit Jahrzehnten
    nicht mehr seiner Aufgabe gerecht wird, dem Bürger funktionierende öffentliche Dienstleistungen zu garantieren?

    Fakt ist, dass Südtirol in verschiedensten Bereichen eine sehr unvollständige Autonomie hat. Infrastrukturen oder Dienste, die von staatlichen Behörden oder Dienstleistern erbracht werden, sind nicht in der Lage den Eigenheiten unseres Landes gerecht zu werden oder eine akzeptable Qualität zu garantieren. Die Eisenbahn wird in Südtirol nie Schweizer Niveau erreichen, solange die Brennerbahnlinie, die Meraner Linie und die Pustertaler Linie von RFI (Rete Ferroviaria Italiana) verwaltet werden. Das Postwesen wäre ein ähnlicher Fall. Behörden wie Polizei, Gerichtsapparat oder die Finanzbeamte kriegen nicht einmal einen funktionierenden zweisprachigen Dienst auf die Reihe. Selbst im Bereich Bildungswesen verfügen wir nur über eine sehr mangelhafte sekundäre Kompetenz und müssen einen Großteil der Kapriolen aus Rom zwangsweise übernehmen.

    Diese Tatsache wird insgesamt viel zu wenig diskutiert. An dieser Diskussion würde sich auch sehr schnell herauskristallisieren, wer wirklich an einer Erweiterung unserer Autonomie interessiert ist, oder wer sich nur verbal dazu bekennt. Frei nach Romano Viola: Bestimmte Kreise in Südtirol würden ja lieber auf Straßen mit Schlaglöchern unterwegs sein, als diese Zuständigkeit dem Land zu überlassen.



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  • Respekt?

    Autor:a

    ai

    |

    9 Comentârs → on Respekt?

    Toscani Sensibilisierungskampagne.

    Das Land hat bei Starfotograf Oliviero Toscani, bekannt durch seine kontroversen Benetton-Plakate, eine Sensibilisierungskampagne gegen Mobbing unter Jugendlichen in Auftrag gegeben. Diese ist Teil einer breiter angelegten Initiative des Ressorts von LR Tommasini zugunsten von Legalität, Mehrsprachigkeit und gegenseitigem Respekt. Einmal vom Motiv abgesehen, das ich angesichts der Zielgruppe — beileibe nicht aus moralischen Gründen — nicht unbedingt passend finde, frage ich mich, wo denn bei der Anzeige die Mehrsprachigkeit, und somit der Respekt geblieben ist. Welche Glaubwürdigkeit vermittelt eine Kampa, die den Plurilinguismus vermitteln soll, dann aber sogar selbst die elementarsten Gebote der Zweisprachigkeit verletzt?

    Die landesweit angebrachten Plakate gibt es nämlich nur auf Italienisch. Somit ist die Mitteilung einem großen Teil der Bevölkerung gar nicht zugänglich. Ich selbst (der ich mich der italienischen Sprache einigermaßen mächtig fühle) dachte ursprünglich, dass »Bullo« mit »Macho« zu übersetzen wäre, was meiner Ansicht nach auch besser zum Motiv gepasst hätte.

    Oder soll hier gar suggeriert werden, dass die Problematik nur eine Sprachgruppe — und außerdem nur ein Geschlecht — betrifft?

    Toscani :bbd:.

    Cëla enghe: 01



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  • Das Pferd von hinten aufgezäumt.

    Da plant jetzt die italienische Regierung, die Prozesse zu verkürzen. Und welche Maßnahmen ergreift sie: Vereinfacht sie die Gesetze? Beschleunigt sie Prozeduren? Reduziert sie die Bürokratie? Stellt sie zusätzliche Richter und Staatsanwälte ein oder werden neue Computer angeschafft? Nichts von alledem! Man beschränkt die Dauer eines Prozesses pro Instanz einfach auf zwei Jahre, nach deren Ablauf der Angeklagte wieder auf freien Fuß gesetzt, das Verfahren endgültig eingestellt wird. Das könnte absurd klingen, wenn man nicht genau wüsste, welche Absicht hinter dieser Maßnahme steckt. Um den einen Unantastbaren zu schützen, scheut man nicht davor zurück, das gesamte System auf den Kopf zu stellen, der Gerichtsbarkeit den Todesstoß zu versetzen und die Arbeit von Richtern und Staatsanwälten ad absurdum zu führen, indem man Kriminelle massenhaft in die Straffreiheit entlässt.

    In Südtirol gibt es aber nach wie vor Zeitgenossen, die das italienische Justizsystem als eine Garantie für die Rechtssicherheit betrachten. Auch das könnte man unter Umständen absurd finden.

    Cëla enghe: 01



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  • Landesreferenda auf Ladinisch.

    In Südtirol muss immer von neuem für Rechte gekämpft werden, die eigentlich längst selbstverständlich sein sollten — und das ist derart mühsam, dass man oft mittelfristig ganz aufgibt. Die Ermüdungstaktik steckt denn wohl des Öfteren bewusst hinter den immer wieder festzustellenden Unzulänglichkeiten. Bei den kürzlich abgehaltenen Landesreferenda hat es die Ladinerinnen erwischt, die ihre Sprache auf den Stimmzetteln vergeblich gesucht haben, obwohl die Fragestellungen bei staatsweiten Befragungen meist dreisprachig abgedruckt sind.

    Erst jetzt hat sich die Landesregierung auf Druck der Partei Ladins Dolomites nachträglich dafür ausgesprochen, bei kommenden Befragungen auch die kleinste Sprachgruppe zu berücksichtigen. Dies bleibt jedoch auf die ladinischen Täler beschränkt. Die SVP Ladina hatte sich bei der Verabschiedung des Landesgesetzes zur direkten Demokratie ganz offensichtlich nicht für die Berücksichtigung der ladinischen Sprache eingesetzt. Fragt sich noch, mit welcher Begründung sich die Volkspartei als Vertretung der ladinischen Minderheit definiert.

    Cëla enghe: 01



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  • Watchdog für das Haus Athesia.

    Der Link ist schon seit einigen Tagen in der -Seitenleiste, jetzt möchte ich die Leser auch ausdrücklich auf das hervorragende neue Tschüssdolo-Blog aufmerksam machen. Dem bekannten Bildblog nachempfunden, das seit geraumer Zeit dem größten deutschen Boulevardblatt (und immer mehr auch anderen Zeitungen) auf die Finger schaut, hat sich der neue Wachhund des Südtiroler Massenblatts die Kontrolle der stark zentralisierten Südtiroler Medienlandschaft auf die Fahne geschrieben. Somit erfüllt endlich auch hierzulande das sogenannte Web zweinull seine Rolle als Garant der Meinungsfreiheit durch die Zerstreuung und Hinterleuchtung von Medienkonzentration. Dies war gerade in Südtirol längst überfällig, wo sich zuletzt bei den soeben gescheiterten Volksbefragungen gezeigt hat, welche Macht das Zusammenspiel von Einheitsblatt und Einheitspartei entfalten können. Diese schmerzliche Erfahrung war denn wohl auch der Startschuss für Tschüssdolo.

    Unbestätigten Vermutungen zufolge steckt hinter dem Pseudonym des Bloggründers (Sigi Steinbock) kein anderer als unser streitbarer Zeitgenosse Markus Lobis, dem ich auf diesem Wege meine Bewunderung für seine neueste Initiative ausspreche. Für diese These sprechen auch die Organisation des Blogs, der Schreibstil und selbstverständlich der Inhalt.

    Selbstverständlich ist auch ein Watchdog nicht vor Watchdogs geschützt.



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  • Kruzifix-Urteil stärkt Europa.

    Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am gestrigen Dienstag entschied, können Kruzifixe an öffentlichen Schulen die Religionsfreiheit und die Erziehungsfreiheit der Eltern verletzen. Insbesondere könne die Anbringung der Kreuze die Freiheit der Kinder “zu glauben oder nicht zu glauben” einschränken, weil sie dadurch einem nicht menschenrechtskonformen Anpassungsdruck ausgesetzt seien. Damit gaben die Richter einer aus Finnland stammenden italienischen Bürgerin recht und sprachen ihr eine Entschädigung von EUR 5.000,- zu. Sie hatte vor dem EGMR geklagt, nachdem sie vor italienischen Gerichten gescheitert war. Dass im Klassenraum ihres Kindes ein Kreuz hing, fand die bekennende Atheistin inakzeptabel.

    Die italienische Regierung hat bereits Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt, das jedoch nicht die automatische Entfernung aller Kreuze fordert. Es richtet sich vielmehr gegen zwei nach wie vor gültige verbindliche Anordnungen des faschistischen Unterrichtsministeriums von 1924 und 1928, in allen Klassenräumen Kruzifixe anzubringen.

    Verwaltungsgericht, Staatsrat und Verfassungsgericht hatten zuvor argumentiert, das Kreuz sei Ausdruck der italienischen Kultur und daher nicht ausschließlich als religiöses Symbol zu verstehen. Sie lehnten die Klage der Mutter ab. Der EGMR schloss sich dieser Linie jedoch nicht an, da das Kruzifix eindeutig dem Christentum zuzuordnen sei.

    Wenn man davon ausgeht, dass sich die westliche Kultur seit der Aufklärung durch eine allmähliche Überwindung des konfessionellen Staates auszeichnet, geht sie jedoch aus dem Urteil — anders als allgemein dargestellt — gestärkt hervor.



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  • Neue Töne.

    Autor:a

    ai

    |

    16 Comentârs → on Neue Töne.

    Freiheitliche: Freistaat.

    Niwo macht mich auf diesen neuen Aufkleber der Freiheitlichen aufmerksam.

    Wenngleich

    • ich (wie niwo selbst) noch lange nicht glaube, dass diese Kampagne und das damit zusammenhängende Konzept in irgendeiner Form mit dem Projekt von vereinbar sind;
    • ich die ausländerfeindliche und teilweise antisemitische Ausrichtung der Freiheitlichen verabscheue;
    • diese Partei in meinen Augen nach wie vor unwählbar ist;

    muss auch anerkannt werden, dass die Entwicklung in die richtige Richtung zeigt. Noch vor wenigen Jahren, als aus der Taufe gehoben wurde, wäre ein dreisprachiger Aufkleber zur Unabhängigkeit unvorstellbar gewesen. Umso mehr von einer Rechtspartei. Ja, selbstverständlich ist das Opportunismus — doch was ist schlimm daran, dass es allmählich auch den Rechten opportun erscheint, alle Sprachgruppen in ein entsprechendes Projekt einzubeziehen? Wie ernst sie es damit meinen, wird sich freilich noch zeigen.



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