Das bin ich auch, ich bin halt nicht Jannik Sinner
Corrado Augias hat in der linksliberalen Repubblica den Sextner Jannik Sinner fertig gemacht. Augias, der große Journalist und einst Europaparlamentarier der Democratici di Sinistra, findet, Sinner sei kein richtiger Italiener.
Italflag hingegen findet, Sinner sei der »gladiatore del tennis italiano«, »un gladiatore moderno che rappresenta l’Italia con orgoglio e passione«. Und Sinner selbst sagte, er sei »orgoglioso di essere italiano«. Das reicht Augias offensichtlich nicht.
Aber wer ist Augias? Ist er das Einwohnermeldeamt? Das Passamt? Ist er Mitglied der Jury der wahren Italiener? Er ähnelt da dem verstorbenen »Hauptschriftleiter« der Tageszeitung Dolomiten, Josef Rampold, der auch das Prädikat »echter Südtiroler« verlieh oder aber verweigerte. Genauso daneben.
Augias konstruiert in seiner Abrechnung mit Sinner ein monolinguales Italien, das es so nicht gibt. Laut dem Minderheitenschutzgesetz von 1999 leben in der Republik dreizehn anerkannte kulturelle, sprachliche und nationale Minderheiten. Alteingesessen oder aber zwangseingemeindet, also annektiert wie Südtirol. Seit den Flucht- und Migrationsbewegungen ist Italien noch diverser geworden.
Widerwilliger Italiener
Augias findet, Sinner sei ein »widerwilliger Italiener« und »Sohn der zwiespältigen Situation Südtirols«. Der große Augias attackierte dann auch noch Sinners Vater, weil er ein »verkümmertes« Italienisch spreche.
Ich weiß nicht, wie Jannik Sinner sich definiert, als deutschsprachigen Südtiroler, als Italiener deutscher Muttersprache, als Italiener oder was auch immer. Das ist allein seine Angelegenheit, wie er sich definiert. In einem Menschenrechtsdokument des Europarates heißt es unmissverständlich, dass nicht der Staat die sprachliche oder nationale Identität des einzelnen Bürgers definiert, sondern allein und ausschließlich der Bürger.
So legt das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten fest:
Jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, hat das Recht, frei zu entscheiden, ob sie als solche behandelt werden möchte oder nicht; aus dieser Entscheidung oder der Ausübung der mit dieser Entscheidung verbundenen Rechte dürfen ihr keine Nachteile erwachsen.
Ausgerechnet Augias, der als Verfechter der Bürger- und Menschenrechte gilt, macht Sinner, weil Südtiroler, nieder. Ausgerechnet ein Linker. Und das Niedermachen ist auch sehr untergriffig: Der »widerwillige Italiener« Sinner spreche nur ein »holpriges Italienisch«, kritisiert der große alte Mann des italienischen Journalismus. Ob Augias die Südtiroler Rodler:innen, die für Italien immer wieder Medaillen einfahren, mal gehört hat?
Sinner, ein »Zufallsitaliener«
Augias findet, Sinner sei ein »Zufallsitaliener«, der eben nur zufällig durch die Situation und Geschichte der Region Trentino Südtirol Italiener sei.
Das waren 1918, nach der Besetzung des deutschsprachigen Südens des Kronlandes Tirol durch die italienischen Truppen, wohl alle Südtiroler:innen. Mit der Annexion 1920 war es dann fix. Die Freude darüber hielt sich in Grenzen, widerwillig wurden die Südtiroler:innen zu Zufallsitalienern. Diese Analyse von Augias trifft zu.
Ja, die deutsch- und ladinischsprachigen Bürger:innen Südtirols sind Zufallsitaliener, sie haben nicht darum gekämpft, vom Habsburger Joch befreit zu werden, sie haben sich nicht dem Risorgimento der nationalen Erneuerung und Einheit angeschlossen.
Offen ist, wie sich die Südtiroler:innen heute definieren. Die Gruppe wächst, die sich als Italiener:innen deutscher Muttersprache fühlt. Kaum jemand fühlt sich als Österreicher. Gern wird aber in patriotischen Sonntagsreden der Begriff der »österreichischen Minderheit« für die Südtiroler bemüht. Wer wird wohl daran glauben? Wie auch immer, wer was wie fühlt, geht Corrado Augias nichts an.
In seiner äußerst behutsamen, fast schon sich entschuldigenden Stellungnahme zeigt sich Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) beunruhigt, dass noch immer die Vorstellung eines homogenen, national einheitlichen Volkes gepflegt wird. Eine bedenkliche Tendenz, warnt der Landeshauptmann.
Staatsweite nationalistische Aufwallung
Diese Tendenz findet eine Fortsetzung, in Meran. Die staatsweite nationalistische Aufwallung gegen die Meraner Bürgermeisterin Katharina Zeller (SVP) war dann gar nicht mehr überraschend. Die Zufallsitalienerin legte nämlich bei der Amtsübergabe die Trikolore ab, ein politisches Erdbeben und ein Shitstorm waren die Folge.
Die italienischen rechten Koalitionspartner der SVP in der Landesregierung schwafelten von einer Missachtung der Republik, Landesrat Christian Bianchi von Forza Italia sprach von einem »schwerwiegenden Akt … gegen alle Italiener in Meran«, Landeshauptmann-Stellvertreter Marco Galateo (FdI) gab sich tief empört und verurteilte entschieden den staatsfeindlichen Akt der neuen Bürgermeisterin von Meran. Für den starken Fratello vor Ort, Alessandro Urzì, sorgte der Fall Zeller für einen Schleier von Bitterkeit.
Der Vizepräsident der Abgeordnetenkammer, Fabio Rampelli von den Fratelli, machte bei Katharina Zeller einen »Hass gegen Italien« aus. Rampelli findet das Entfernen der Trikolore gar als ein Verbrechen der Missachtung der Flagge. »Sich für die Trikolore zu schämen, delegitimiert einen Bürgermeister«, sagte er und betonte die institutionelle Rolle, die ein Bürgermeister »im Namen und im Auftrag der italienischen Republik« spielt.
Das Geifern der Rechten gehört zu ihrem Repertoire. Die Linke versuchte, die Rechten in ihrem nationalistischen Wahn zu übertreffen. Der Grüne Angelo Bonelli versuchte die Rechtsrechten noch weiter rechts zu überholen. Er warf Katharina Zeller vor, die Trikolore verschmäht zu haben und forderte das Innenministerium auf, einzuschreiten. Soll sie zurücktreten, soll sie verhaftet werden? Soll der Innenminister einen Kommissar schicken, um Meran zu verwalten?
Auch Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den Fratelli äußerte sich zum Fall Zeller. Die Trikolore, ließ sie wissen, sei das Symbol der nationalen Einheit. Glücklich das Land, das sich mit solchen Problemen abgeben muss.
Die Frage bleibt: Warum muss man sich entschuldigen, Südtiroler:in zu sein, weil ein staatsfeindlicher Akt? Beruhigend, dass es Politiker wie Senator Luigi Spagnolli und Anwälte wie Nicola Canestrini gibt.
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