Jannik Sinner und sein gar nicht überraschendes Bekenntnis
Sinner demonstriert bei den aktuellen Wettbewerben seine Weltklasse. Entsprechend auch die euphorischen Schlagzeilen, er ist wieder der tennista azzurro. Laut einer letzten italienischen Umfrage würdigen ihn mehr als 60 Prozent der Befragten als ihren »Helden«.
Genauso viele verübelten Sinner seine Nicht-Teilnahme am Davis-Cup für Italien. Wohl ein Sündenfall, darauf ließen die Reaktionen schließen — fast schon ein vilipendio, ein Verrat. Die Sport-Tageszeitung Gazzetta dello Sport schrieb das zur Staatsaffäre hoch, zum caso nazionale. Das geht gar nicht.
Bruno Vespa, eine der Rai-Größen, kanzelte Sinner deshalb ab. Auf X teilte Vespa Italien mit, er verstehe nicht, wie man zu Sinner halten kann, dieser spreche Deutsch. Ein Deutsch sprechender azzurro, eine unbeschreibliche Ungeheuerlichkeit.
Vespa scheint ein Problem mit Südtirol zu haben. Kurz nach seiner Wahl zum Landeshauptmann 2014 war Arno Kompatscher (SVP) Gast der Rai-Sendung Porta a Porta von Bruno Vespa. Der »Star-Moderator« führte Kompatscher regelrecht vor; seine und die Darstellung Südtirols waren weder sachlich noch fair, sagte Kompatscher auf Salto. Als Kompatscher die Filmbeiträge über Südtirol kommentieren wollte, ließ Vespa sein Mikrophon abdrehen.
Vespa, der »Brandstifter«, provozierte Nachahmer. So faselte die Verbrauchervereinigung Codacons wegen der Davis-Cup-Absage Sinners von einem »Schlag ins Gesicht Italiens und in die Gesichter von Millionen Tennisfans.« Codacons forderte die Aberkennung aller italienischen Auszeichnungen für Sinner. Ja und warum nicht die Staatsbürgerschaft entziehen?
Über Sinner schwappte ein ekliger Shitstorm hinweg. Ein weiteres Beispiel: Auch ein anderer Großer des italienischen Journalismus, Corrado Augias, machte Sinner, weil Südtiroler, nieder. Sinner ein »widerwilliger Italiener«, der nur ein »holpriges Italienisch« spreche. Als Schuldigen dafür machte Augias Sinners Vater aus, denn der spreche nur ein »verkümmertes Italienisch«.
Was Augias darf, kann auch ein Rapper, dachte sich Fedez. In seinem neuen Song beschrieb er Sinner als einen »reinrassigen Italiener mit dem Akzent von Hitler«. Das sagt viel über Fedez aus.
Im Jahr 2021 stellte gar das Onlineportal Fanpage fest, dass Sinner Italiener ist. Nachdem er beim Wiener ATP-Turnier vom Platzsprecher als Südtiroler vorgestellt und auf Deutsch angefeuert wurde, kommentierte Fanpage: »Obschon die Organisatoren des Wiener Turniers wissen, dass Sinner Italiener ist, halten sie ihn offenbar für einen Südtiroler Spieler mit deutscher Muttersprache.« Wo soll man sich da noch hingreifen?
Das Sinner-Bashing ist kein Einzelfall nationaler Besoffenheit, um Alexander Langer zu zitieren. Als die siegreiche Katharina Zeller (SVP) als Bürgermeisterin von Meran bei der Amtsübergabe die Trikolore zu schnell ablegte, folgte eine staatsweite Entrüstung samt beleidigter Aufwallung. Zellers »Vergehen«, die »Entstellung« der Trikolore. Nationale Betroffenheit pur, Zeller missachte die Republik, hasse Italien, ein Grüner rief gar den Innenminister an, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ließ Zeller unmissverständlich wissen, die Trikolore sei das Symbol der nationalen Einheit.
Katharina Zeller reagierte — beeindruckt von der hysterischen Wut — mit einem Kniefall. Nein, sie meint es so: Die Trikolore steht für Italien, mein Heimatland, beteuerte sie im Interview mit der Tageszeitung La Repubblica und auf einer Pressekonferenz betonte Zeller, sich europäisch, italienisch und südtirolerisch zu fühlen.
Während Zeller, mit wenigen Ausnahmen, den Anfeindungen allein ausgesetzt war, erhielt Sinner doch gewichtige Unterstützung verschiedener italienischer Persönlichkeiten. Mit sehr unterschiedlichen Argumenten, aber doch mit großer Sympathie für Sinner.
Und hier im Land? Arnold Tribus charakterisierte Sinner in der Neuen Südtiroler Tageszeitung als stolz und souverän, der sich nie auf ein ethnisches Hickhack eingelassen hat, weil Weltenbürger. Wie Zeller auch bekennt sich Sinner zu seinem Italienischsein, so nach seinem erfolgreichen Turnier in Wien.
Um nochmals die bereits erwähnte Fanpage zu zitieren. Im Februar 2024 schreibt Fanpage unter der Schlagzeile »Sinner e la madre lingua tedesca: Orgolioso di essere italiano, anche in Sicilia parlano dialetto: A Jannik Sinner viene chiesto senza mezzi termini se si sente italiano al 100%, il campione azzurro spazza via ogni dubbio: ‘Sempre, sono molto orgoglioso di esserlo’.« Na dann, aber warum wird das nicht geglaubt?
Sinner fühlt sich, wie vermutlich die meisten Südtiroler:innen auch, als Italiener deutscher Muttersprache. Warum wird das aber immer wieder in Zweifel gezogen, in Frage gestellt? Warum müssen deutschsprachige Persönlichkeiten aus Sport und Politik der Provinz Bozen bei Nachfrage ihren Italianità-Nachweis erbringen? Kritik und Protest an den Beschimpfungen und Beleidigungen halten sich in Südtirol in Grenzen, sind überschaubau. Eine Bestätigung obiger Behauptung.
»Wir« können was von Jannik Sinner lernen, behauptet Elmar Pichler-Rolle, Chefredakteur der Tageszeitung Dolomiten. »Jannik hat nie repliziert oder gar polemisiert«, lobt er den Tennis-Star. Denn seine Antworten »formuliert« er immer am Spielfeld, »allein mit seinen Leistungen.« Da sollten »wir« etwas mitnehmen, empfiehlt »uns« Pichler-Rolle, »dass man nämlich nur durch Leistung die richtige Antwort gibt.«
Denn ohne Zähne zusammenbeißen und Kämpfen gehe es nicht — im Spiel wie auch im Leben, psychologisiert/philosophiert Pichler-Rolle. Ein doch schräger Versuch, zu entkrampfen. Wobei für den Ethno-Krampf nicht Sinner verantwortlich ist, sondern die zitierten verschiedenen Größen. Im Gegenteil, Sinner beteuert auf Nachfrage doch immer wieder, Italiener zu sein. Das scheint nicht zu reichen, vielleicht sollte er sich einen neuen Namen zulegen, mit seinen Eltern nicht mehr Deutsch sprechen und seinen Wohnsitz zurück nach »Sesto« verlegen.
Dann wird Sinner zum uneingeschränkten italienischen Helden.

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