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Südtirol, Hinterhof des Bauernbunds.
SBB als Taktgeber

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Es ist kein Zufall. Marco Galateo, Landtagsabgeordneter von Fratelli d’Italia und Nachfolger von Alessandro Urzì, bot dem Bauernbund eine konkrete politische Zusammenarbeit an. Galateo kann sich vorstellen, Vertreter des Bauernbundes auf seine Liste für die Landtagswahlen zu setzen. Die Fratelli wollen wie der Bauernbund ein wolfs- und bärenfreies Land. Die offene Frage, wie frei wird das Land, anders formuliert, wie autonom wird dieses Land dann noch sein?

Galateo kennt die Macht des Bauernbundes mit seinen mehr als 40.000 Mitgliedern. Eine Großmacht, vertreten in allen Gemeinden. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass Bauernbundmitglieder fast ein Drittel der Gemeindereferenten und -referentinnen stellen. Zum Vergleich: Der bäuerliche Anteil an der Bevölkerung — geschätzt auf Grundlage von SBB-Daten — beträgt gut sieben Prozent.

Eine doch zahlenmäßige Minderheit, die aber straff kapillar organisiert ist und kompakt auftritt. Mitgliedsbetriebe und Mitglieder sind flächendeckend organisiert, ein unglaublich dichtes Netzwerk auf Orts-, Bezirks- und Landesebene. Getragen von 1.200 Funktionärinnen und Funktionären. Dieses Netzwerk schweißt Tal- und Bergbauern zusammen, ganz kleine, kleine und mittelgroße Betriebe. Der SBB, ein Sammelverbund wie die Sammelpartei Südtiroler Volkspartei (SVP).

Der Bauernbund ist ein eigenständiges Gestirn im Politsystem. Der »Heimatroman« in Folgen der Wochenzeitung ff bringt es in der Folge Der Wiederholungstäter (ff 2022) ironisch, aber deshalb nicht weniger realistisch, auf den Punkt. In Bozen, findet der Heimatdichter, zeichnete sich nach den Gemeindewahlen »eine Dreierkoalition ab mit SVP, SBB und irgendeiner italienischen Partei« ab. Der Bauernbund, nicht nur die wirkmächtigste Interessenorganisation, sondern auch eine Partei — in Koalition mit der SVP. Eine satirische, aber doch treffende Analyse.

Seine bäuerliche Interessenvertretung und seinen Anspruch auf Teilhabe beschreibt der SBB unmissverständlich: »Die Interessenvertretung auf politischer Ebene erfolgt durch die Entsendung von Vertretern des Bauernbundes in die gesetzgebenden Organe auf Gemeinde-, Bezirks-, Landes-, Staats- und EU-Ebene.« Sehr selbstbewusst. Klarer und mit einem Höchstmaß an Selbstverständlichkeit kann ein Anspruch auf umfassende Teilhabe wohl nicht formuliert werden.

Politische Bauern-Phalanx

Eine ganze Reihe von Mandataren und Mandatarinnen setzt die SBB-Wünsche in praktische Politik um. Herbert Dorfmann als SVP-Abgeordneter im Europaparlament, Senator Meinhard Durnwalder, Obmann des starken SVP-Bezirks Pustertal wie auch der SVP-Kammerabgeordnete Manfred Schullian im italienischen Parlament.

Die bäuerliche Stärke ist im Landtag unübersehbar und deshalb auch entsprechend spürbar. Eine regelrechte landwirtschaftliche Phalanx sorgt für eine konsequente bäuerliche Interessenvertretung. Allein sechs der 15 SVP-Abgeordneten verstehen sich als Vertretung des Bauernstandes: Landesrätin Maria Hochgruber-Kuenzer, Franz Locher, Manfred Vallazza und Josef Noggler. In ein Naheverhältnis zu dieser Gruppe gehört der ehemalige Gesundheitslandesrat Thomas Widmann. Landesrat Arnold Schuler — nicht der Wunschkandidat des SBB — gilt beim SBB als wenig verlässlich. Der Obstbauer kennt die Branche und die Wünsche, sieht sich aber nicht als Erfüllungsgehilfe.

Die Bauernmandatare und der Bauernbund als Rammbock setzen ihre Forderungen in praktische Politik um: Raumordnung, Bettenstopp, Urlaub auf dem Bauernhof. Der grüne Landtagsabgeordnete Riccardo Dello Sbarba beschreibt dieses Lobbying als knallharte Interessenpolitik.

Gegen Wolf und Bär

Seit Monaten betreibt der Bauernbund in Abstimmung mit dem Medienunternehmen Athesia eine landesweite Kampagne, mit der Bär und Wolf als der Tod der Berglandwirtschaft hochgeschrieben werden. Nicht die EU-Agrarpolitik und ihre Förderung der Agrarkonzerne, nicht der Markt und die unverschämt niedrigen Preise würgen die Berglandwirtschaft ab, sondern Bär und Wolf. Jungbauern fürchten um ihre Zukunft, titelt konsequenterweise im Oktober 2022 das SBB-Blatt Der Landwirt.

Keine Frage, manche Wölfe kommen dem Menschen gefährlich nahe. Keine Frage auch, dass niemand einen Wolf in unmittelbarer Nachbarschaft haben möchte. Sind sie aber tatsächlich die Ursache für den angeblichen Niedergang der Berglandwirtschaft? Im publizistischen Kampf gegen den Wolf kooperierte der Bauernbund schon mit der Lega. Letzthin wurde gar Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida von der politisch weit rechts angesiedelten Regierungspartei Fratelli d’Italia zum Bündnispartner, weil er bei einem Treffen mit der Bauernjugend angeblich drastische Maßnahmen versprach. Eine mächtige Front aus Athesia, Lega, Fratelli d’Italia und Bauernbund schießt auf den Wolf — und auf Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP).

Wächst zusammen, was zusammengehört?

Der bedrohliche Wolf führt zusammen, was eigentlich nicht zusammenpasst. Ein Vorurteil, das wie viele Vorurteile so nicht stimmt. Nach den Landtagswahlen 2018 zählte der Bauernbund zu einer der treibenden Kräfte, die die SVP zur Koalition mit der Lega drängte. Dieses Zusammenwachsen beschreibt der SBB euphorisch: »Diese neue Landesregierung enthält viel Landwirtschaft, inhaltlich und personell. Die landwirtschaftlichen Themen nehmen viel Raum ein«, als ob frühere Landesregierungen die Landwirtschaft vernachlässigt hätten. Verantwortlich dafür ist laut digitalem Landwirt (2019) der federführende mitverhandelnde Bauernbund-Direktor Siegfried Rinner, berichtete Salto.

Der Bauernbund hat inzwischen abwinkend auf die Einladung des Kameraden Galateo reagiert. Die Kandidaten stehen bereits fest, so die nüchterne Entgegnung des SBB. Und wenn sich nicht festgestanden hätten?

Vorstellbar aber ist, dass sich der Bauernbund — wie schon vor fünf Jahren zugunsten der Lega — für einen Koalitionspartner Fratelli d’Italia stark macht. Der Aufwand dafür wird gering sein, der Bauernbund rennt eh nur offene Türen ein. Die SVP liebäugelt offensiv mit einer Koalition mit den in Rom regierenden Fratelli. Wird Marco Galateo nach den Landtagswahlen stellvertretender Landeshauptmann?

Der Bauernbund ist stolz auf seine Tradition. Zu dieser zählt auch die politische Einflussnahme. Wohl kaum ein Wirtschaftsverband nutzt seine Kraft wie der Bauernbund so ungeniert und auch so aggressiv. Die Organisation scheint tatsächlich der Maschinenraum der SVP zu sein, um die Wochenzeitung ff zu zitieren.

Die starken Männer des SBB

Die Verflechtung zwischen Bauernbund und SVP zählt zur politischen Tradition, liegt in deren Genen. Einige Beispiele: 1967 wird Luis Durnwalder SBB-Direktor, 1973 in den Landtag gewählt, 1989 bis 2014 Landeshauptmann. Vom Bauernbunddirektor zum allmächtigen und erfolgreichen Landeshauptmann, eine Art Personalunion, die aus dem Bauernbund mehr macht als nur ein Vorzimmer zur Macht im Land.

Thomas Widmann wird 1991 Bauernbunddirektor. Die Direktion wird zum Sprungbrett in die SVP. Widmann wird Landessekretär der Volkspartei, dann Landesrat, dazwischen Landtags- und Regionalratspräsident, um dann 2022 über sein Netzwerk Freunde im Edelweiß aus der Landesregierung zu stolpern. Seitdem profiliert er sich im Landtag als partei- und fraktionsinterner Gegner des Landeshauptmannes.

Im Jahr 1997 folgt auf Widmann Herbert Dorfmann, der sich dank der vielköpfigen Kraft des Bauernbundes und seines Umfelds 2009 bei der SVP-Basiswahl um die Europaparlamentskandidatur gegen seinen Konkurrenten Christoph Perathoner durchsetzen kann und seitdem Europaparlamentarier ist. Er sitzt derzeit über eine Listenverbindung mit Forza Italia im Europaparlament.

Für Kleinbauern oder Agrarkonzerne?

Dorfmann gilt als Mann der kleinteiligen Südtiroler Landwirtschaft in Brüssel. Die niederländische NGO Corporate Europe Observatory warf ihm hingegen 2021 in der ff und auf Rai Südtirol vor, Fürsprecher der Agrarlobby zu sein — der industrialisierten Landwirtschaft. NGO-Sprecherin Nina Holland führt Buch, Dorfmann trifft sich öfters mit den Lobbyisten der Agrarlobby, so ihre Kritik, aber höchst selten mit den NGOs.

Deshalb, schlussfolgerte der deutsche BUND Naturschutz in seiner Analyse (2012), »wer viel Fläche hat, bekommt viel Geld«, ist die Agrarindustrie die Nutznießerin des millionenschweren EU-Landwirtschaftsbudgets und nicht die bäuerlichen Familienbetriebe.

Es war deshalb auch nicht verwunderlich, dass Dorfmann gegen das Renaturierungsgesetz im Europaparlament stimmte. Die Volkspartei und die rechten Europafeinde wetterten heftig dagegen, heizten mit Fakes an, Bauern würden enteignet, von Bürokraten gegängelt, die Ernährungssicherheit sei gefährdet.  Das sind nicht Fakes, sondern kaltschnäuzige Lügen.

Die einstige Sammelpartei SVP von Silvius Magnago entwickelte sich in eine Partei der Wirtschaftsakteure, der Bauern, Handwerker, Kaufleute und Hoteliers. Die Verbände nutzen die Partei für ihre Sonderinteressen — früher war es umgekehrt, lautete damals der Vorwurf. Die Partei hielt sich die Verbände. Im Fall des Bauernbundes wird das politische Agieren gekonnt ideologisch verbrämt. Die Landwirtschaft, Quelle des Einkommens bäuerlicher Familienbetriebe, die auch noch ökologisch unterwegs ist, gilt als Säule für den Erhalt der typischen Kulturlandschaft, das Markenzeichen der Südtiroler Identität.

Dieser Text ist in unter dem Titel Bauernland in Bauernhand in Politika 2023 – Südtiroler Jahrbuch für Politik (Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft) erschienen und wurde für bearbeitet.


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